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Die Predigt vom 1. Mai 2005 (Rogate):
»Unverschämt bitten«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging den Sonntag Rogate („Betet“). Sein Thema ist das Beten, speziell das Vaterunser. Evangelium (1. Lesung) war die Bitte in Jesu Namen nach Johannes 16 und Epistel (2. Lesung) der Aufruf des Timotheusbriefs zur Fürbitte auch für die Regierenden. Der Predigttext dieses Sonntags (s.u.) waren zwei Gleichnisse Jesu zum Vaterunser in Lukas 11:
Predigttext
Sie können den Text auch online nachlesen. Weitere Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.
Der Predigttext
5 Und Jesus sprach zu seinen Jüngern: Wenn jemand unter euch einen Freund hat und ginge zu ihm um Mitternacht und spräche zu ihm: Lieber Freund, leih mir drei Brote; 6 denn mein Freund ist zu mir gekommen auf der Reise, und ich habe nichts, was ich ihm vorsetzen kann, 7 und der drinnen würde antworten und sprechen: Mach mir keine Unruhe! Die Tür ist schon zugeschlossen, und meine Kinder und ich liegen schon zu Bett; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben. 8 Ich sage euch: Und wenn er schon nicht aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, dann wird er doch wegen seines unverschämten Drängens aufstehen und ihm geben, soviel er bedarf. 9 Und ich sage euch auch: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. 10 Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan. 11 Wo ist unter euch ein Vater, der seinem Sohn, wenn der ihn um einen Fisch bittet, eine Schlange für den Fisch biete? 12 oder der ihm, wenn er um ein Ei bittet, einen Skorpion dafür biete? 13 Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben geben könnt, wieviel mehr wird der Vater im Himmel den heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!
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Die Predigt
Das Gebet und Gott

Der Predigttext - sie haben ihn auf dem Gottesdienstverteilblatt - heute als Erzählung. So könnte es mit ein wenig Phantasie damals gewesen sein:

Eines hatte die Jünger schon immer an Jesus begeistert: Nach jedem Getümmel, vor jeder schwierigen Aufgabe, bei Tag oder bei Nacht zog er sich zurück, um mit Gott zu reden. Aber wie Jesus mit Gott redete! So hatten es
die Jünger als Juden nicht gelernt. Man hatte ihnen Gott als den Allmächtigen beigebracht; als den strafenden und richtenden Gott, dem man mit Ehrfurcht begegnen muss, vor dem man die Augen senken muss. So waren sie als Juden gewohnt zu beten:

"Gepriesen seist du, höchster Gott, Gründer von Himmel und Erde, du bist ein starker Held.
Gepriesen seist du, der lebendig macht die Toten. Heilig bist du und furchtbar dein Name. Und es ist kein Gott außer dir.
Gepriesen seist du, heiliger Gott. Vergib uns, unser Vater, denn wir sündigen
an dir, wische weg unsere Verfehlungen vor deinen Augen.
Gepriesen seist du, Gott, denn wir wollen dir dienen in Furcht. Leg deinen Frieden auf Israel, dein Volk.
Gepriesen seist du, Gott, der da Frieden macht."

Vertrauensvoll beten

So hatten die Jünger im sog. Achtzehnbittengebet zu beten gelernt. Gut, da
war auch von Gott als dem Vater die Rede, aber vor allem war er doch der große und majestätische Gott, vor dem man sehr klein war. Ganz anders Jesus: "Abba" sagte er, wenn er mit Gott redete. "Abba", Papa, so redeten die kleinen Kinder damals ihren Vater an. Das war etwas ganz Neues für die Jünger. Ganz vertrauensvoll redete Jesus mit Gott, so wie ein kleines Kind mit seinem Vater redet, dem es voll und ganz vertraut.
Das gefiel den Jüngern. So ein Vertrauen zu Gott wollten sie auch haben. Und nachdem Jesus wieder einmal vom Gebet zurückkam, fassten sie sich ein Herz und redeten ihn an: "Meister, bring uns das Beten bei, so wie du
betest. Auch Johannes der Täufer hat seinen Jüngern ein Gebet beigebracht."

Was heute heute nötig ist

Und sie setzten sich miteinander hin in einen Kreis und Jesus fing an zu reden: "Wenn ihr betet, dann macht nicht viele Worte in der Öffentlichkeit, wie es viele unter eueren jüdischen Brüdern tun. Gott weiß schon,was ihr braucht. Betet nur für das Entscheidende. Betet z.B. so:
'Unser Vater. Sorge dafür, dass überall dein Name heilig gehalten wird. Sorge dafür, dass deine Herrschaft bald überall anbricht. Gib uns das Brot, das wir für den heutigen Tag brauchen. Vergib uns, wo wir an dir oder an Menschen
schuldig geworden sind. Wir vergeben auch allen, die an uns schuldig geworden sind. Bewahre uns vor der Versuchung, von dir abzufallen. Bewahre
uns vor der Macht des Bösen.`

Reden mit Gott wie mit einem guten Freund

Und entscheidend ist: Redet mit Gott wie mit einem guten Freund. Stellt euch Folgendes vor: Ein Mensch bekommt mitten in der Nacht noch Besuch. Ein alter Bekannter kommt ganz plötzlich vorbei. Er ist auf der Reise und braucht eine Bleibe für die Nacht. Doch der Mann kann ihm nichts anbieten. Er hat kein Brot mehr im Haus. Da geht er mitten in der Nacht zu seinem Freund in der Nachbarschaft. Er klopft und bittet um drei Fladenbrote für den überraschenden Gast. Was meint ihr? Wird der Freund drinnen sagen: 'Mach nicht so einen Krach. Du weckst mir noch die Kinder auf. Komm morgen früh wieder!` Oder wird er aufstehen und ihm mit dem Brot für den überraschenden Gast aushelfen?"
"Selbstverständlich wird er aufstehn", sagen die Jünger ganz spontan. "Die Gastfreundschaft ist heilig. Als guter Freund und Nachbar wird er ihn nicht wegschicken, auch mitten in der Nacht nicht. Das ist doch klar."
"Genau", sagt Jesus. "Ein guter Freund hilft auch, wenn es gerade ganz ungelegen kommt. Und wenn er ihm schon nicht aus Freundschaft hilft,
dann steht er allein deswegen auf, weil der andere ihn so drängt und ganz selbstverständlich mit seiner Hilfe rechnet."

Und Jesus fährt fort: "Genauso wie dieser gute Freund verhält sich auch Gott. Zu ihm könnt ihr kommen zu den unverschämtesten Zeiten und mit den unverschämtesten Bitten. Wie ein guter Freund wird er euch nicht abschlagen, was ihr wirklich braucht.
Merkt euch: Bittet nur immer wieder, dann bekommt ihr auch, was ihr nötig habt. Sucht Gott geduldig und er wird sich von euch finden lassen. Klopft an bei ihm. Er wird euch nicht abweisen."

Werden alle Wünsche erfüllt?

Die Jünger haben die ganze Zeit wie gebannt zugehört. So hat ihnen noch nie jemand von Gott erzählt. Gott als guter Freund. Das macht ihnen Mut. Mit dem Gott, der weit weg von ihnen allmächtig über allem thront, hatten sie schon immer Schwierigkeiten. Doch sie haben sich nicht getraut, das zu sagen.

Aber ein Problem war da noch: "Meinst du wirklich", fragten sie Jesus, "dass Gott alle Wünsche erfüllt, die man ihm vorträgt. Meinst du wirklich, dass man nur lange und unverschämt genug schreien muss wie ein trotziges Kind, dann bekommt man schon, was man will?"
"Ihr habt nicht genau hingehört", sagt Jesus. "Ihr sollt um das bitten, was ihr wirklich nötig habt. Was ihr zum Leben braucht, wird euch Gott geben. Bittet in eurem Gebet um das Auskommen für den heutigen Tag, um das tägliche Brot, das ist genug. Bittet nicht schon für die nächste Woche und den nächsten Monat. Beten hat etwas mit Vertrauen zu tun. Gott weiß schon, was ihr braucht; was Ihr heute braucht und was euch gut tut. Das wird er euch geben. Es ist bei ihm nicht anders als im Alltag:

Bekommen, was man braucht, nicht, was man haben will

Stellt euch vor, euer Sohn käme zu euch und würde euch um einen Fisch bitten, weil er Hunger hat. Würde dann einer von euch ihm eine Schlange
in die Hand drücken?" "Unmöglich", sagen die Jünger gleich. "Wo denkst du hin? Natürlich würden wir unserm Kind geben, was es braucht, wenn es Hunger hat. Ein hinterlistiger Vater - völlig undenkbar!"
"Oder weiter", sagt Jesus, "stellt euch vor, eure Tochter hätte Hunger und käme zu euch und würde euch um ein Ei zum Essen bitten. Würdet Ihr ihr einen Skorpion in die Hand drücken?" "Bist du verrückt?", schimpfen die Jünger. "Kein richtiger Vater würde das tun."
"Seht ihr, nicht anders ist es mit Gott", sagt Jesus. Wenn ihr als menschliche Väter euren Kindern gebt, was sie brauchen, wird Gott als
der himmlische Vater erst recht seinen Kindern geben, was sie nötig haben. Verlasst euch darauf.

Aber ihr wisst auch: Wenn ein Kind verwöhnt ist, wenn es ausgefallene Bitten hat, und es dauernd nach seinem Kopf gehen muss, dann erfüllt man ihm nicht jeden Wunsch. Als Väter wisst Ihr, wo die Grenzen sind und was ihm für die Zukunft gut tut. Und dann werdet Ihr ihm auch manchen Wunsch versagen, auch wenn es Euer Kind in dem Moment nicht versteht.

Aber für heute soll es genug sein. Wir reden ein andermal weiter. Da vorne kommen Menschen, die unsere Hilfe brauchen. Und das ist wichtiger als unsere eigenen Bedürfnisse."
Und Jesus stand auf und ging. Die Jünger blieben noch eine Weile sitzen. Das mussten sie erst einmal alles verdauen, was sie da von Jesus gehört hatten. Den ganzen Abend diskutierten sie noch miteinander. Zu neu und überraschend war es, was sie da gehört hatten: Gott als guter Freund und Vater. Manchen kam es immer noch sehr ketzerisch vor. Und: "Papa" sagen, das war doch sehr ungewohnt. Aber: Beten als Sache des Vertrauens. Das hat ihnen doch sehr geholfen. Amen

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de