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Die Predigt vom 31. Juli 2005 (10. nach Trinitatis):
»Getragen wie auf Adlerflügeln«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging den 10. Sonntag nach Trinitatis. Er wird auch „Israelsonntag“ genannt. Sein Thema ist das Verhältnis zwischen Juden und Christen. Evangelium (1. Lesung) war das Gleichnis von Pharisäer und Zöllner und Epistel (2. Lesung) das Ringen des Paulus um sein Volk Israel. Der Predigttext dieses Sonntags (s.u.) war die Erzählung vom Bundesschluss Gottes mit Israel am Berg Sinai in 2. Mose 19:
Predigttext
Sie können den Text auch online nachlesen. Weitere Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.
Der Predigttext
1 Am ersten Tag des dritten Monats nach dem Auszug der Israeliten aus Ägyptenland, genau auf den Tag, kamen sie in die Wüste Sinai. 2 Denn sie waren ausgezogen von Refidim und kamen in die Wüste Sinai und lagerten sich dort in der Wüste gegenüber dem Berge. 3 Und Mose stieg hinauf zu Gott. Und der HERR rief ihm vom Berge zu und sprach: So sollst du sagen zu dem Hause Jakob und den Israeliten verkündigen: 4 Ihr habt gesehen, was ich mit den Ägyptern getan habe und wie ich euch getragen habe auf Adlerflügeln und euch zu mir gebracht. 5 Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein. 6 Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein. Das sind die Worte, die du den Israeliten sagen sollst.
Predigt
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Die Predigt
Rast auf dem Lebensweg

Wenn das Leben wie ein Weg ist, dann sind wir heute morgen sozusagen gemeinsam an einer Raststation. Wir machen Pause auf dem Weg. Wir ruhen für einen Moment aus und schöpfen neue Kraft. Wir bleiben stehen und vergewissern uns, wo wir uns befinden. Wir schauen zurück auf den bisherigen Weg und überlegen, was die nächsten Schritte sein könnten. Vielleicht müssen wir auch die Wanderkarte herausholen, um uns neu zu orientieren.
Auf dem Weg waren damals auch die Israeliten, die aus Ägypten freigekommen waren. Ihr Weg lädt ein, über unseren Weg nachzudenken:

Der Weg des Volkes Israel

1 Am ersten Tag des dritten Monats nach dem Auszug der Israeliten aus Ägyptenland, genau auf den Tag, kamen sie in die Wüste Sinai. 2 Denn sie waren ausgezogen von Refidim und kamen in die Wüste Sinai und lagerten sich dort in der Wüste gegenüber dem Berge.

Der erste Abschnitt des Weges zwischen der Befreiung aus Ägypten und dem gelobten Land, der versprochenen neuen Heimat ist zu Ende. Mose erreicht mit dem Volk den Rand der Wüste Sinai und den Gottesberg. Hier war ihm Gott im brennenden Dornbusch erschienen. Hier hatte er damals den Auftrag bekommen, sein Volk in die Freiheit zu führen. Wenn sie diesen Berg erreichen, dann sei das, so hatte ihm Gott damals gesagt, ein Beweis für seine Hilfe.

3 Und Mose stieg hinauf zu Gott. Und der HERR rief ihm vom Berge zu und sprach: So sollst du sagen zu dem Hause Jakob und den Israeliten verkündigen: 4 Ihr habt gesehen, was ich mit den Ägyptern getan habe und wie ich euch getragen habe auf Adlerflügeln und euch zu mir gebracht.

Mose steigt wieder auf den Berg, ganz allein wie damals, und sucht die Begegnung mit Gott.
Was Gott ihm damals angekündigt hat, ist eingetroffen: Sie haben Gottes Handeln an den Ägyptern mit eigenen Augen gesehen. Die Plagen und dann am Schilfmeer die Rettung aus letzter Not. Wie ein Adler seine Jungen auf seinen Flügeln trägt und sie zum Fliegen in die Freiheit ermutigt, so hat Gott sein Volk getragen und bis hierher gebracht.
Gott hat bewiesen, was sein Name sagt: Als der „Ich bin, der ich bin.“, hat er sich damals dem Mose am brennenden Dornbusch vorgesellt. „Ich bin der Ich-bin-da. Ich bin der Ich-bin-bei-euch.“ Gott ist Gott, indem er Menschen auf ihrem Lebensweg begleitet.

Glaube ist Antwort

5 Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein. 6 Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein. Das sind die Worte, die du den Israeliten sagen sollst.

Nun hat Gott seinerseits sein Versprechen erfüllt und er streckt dem Volk seine Hand zum Bund aus. Zu einem Bund gehören immer zwei. Ein Bund ist eine Sache auf Gegenseitigkeit. Lassen Sie sich auf diese ausgestreckte Hand ein, dann werden sie sein auserwähltes Volk sein. Sie müssen aber auch die Regeln des Bundes befolgen, die ihnen dann als die Zehn Gebote vorgelegt werden.
Erwählung ist ein Geschenk. Gott tut den ersten Schritt. Erwählung bedeutet aber auch, von Gott in Anspruch genommen werden. Erwählung bedeutet Freiheit, Freiheit von allen anderen Mächten, aber dann doch auch Gebundenheit an Gott.

Das ist eine Linie, die sich durch das Alte und das Neue Testament hindurch zieht: Glaube ist Antwort. Gott tut den ersten Schritt mit den Menschen. Er bewahrt. Er rettet. Er trägt auf Adlerflügeln. Und dann erst stellt er die Frage: Jetzt, wo du mich kennst, willst du dich nicht auf mich einlassen?

Vom alten und vom neuen Bund

5 Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein. 6 Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein. Das sind die Worte, die du den Israeliten sagen sollst.

Durch diesen ersten, den alten Bund ist Israel Gottes Volk, ein heiliges Volk, das er wie seinen Augapfel hütet.
Der 10. Sonntag nach Trinitatis erinnert daran, dass dieser Weg Gottes mit seinem Volk, dessen Ausgangspunkt wir hier vor uns haben, weitergegangen ist:
700 Jahre später werden die Israeliten durch die Babylonier in die Verbannung geführt. Und sie fragen: Sind wir immer noch Gottes Volk oder hat er uns entgegen seinem Versprechen allein gelassen? Ist der, der doch sagte, die ganze Welt gehöre ihm, gar schwächer als die Götter der Nachbarvölker?
Und noch einmal 500 Jahre später kämpft der Apostel Paulus als geborener Jude mit der bohrenden Frage, ob Israel immer noch Gottes Volk ist, nachdem es Jesus von Nazareth, in dem Gott sich ihnen zuwandte, abgelehnt hat. Gelten Gottes Verheißungen noch? Hat er sich gar von Israel ab- und den Christen zugewandt? So haben Sie es vorhin in der Epistel gehört:

9 1 Ich sage die Wahrheit in Christus und lüge nicht, wie mir mein Gewissen bezeugt im heiligen Geist, 2 dass ich große Traurigkeit und Schmerzen ohne Unterlass in meinem Herzen habe. 3 Ich selber wünschte, verflucht und von Christus getrennt zu sein für meine Brüder, die meine Stammverwandten sind nach dem Fleisch, 4 die Israeliten sind, denen die Kindschaft gehört und die Herrlichkeit und der Bund und das Gesetz und der Gottesdienst und die Verheißungen.

Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich

Und am Ende seines Ringens in den Kapiteln 9 bis 11 des Römerbriefs kommt er zu der Überzeugung:

11 26 so wird ganz Israel gerettet werden ... 29 Denn Gottes Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen.

Und er warnt gleichzeitig die Christen vor Überheblichkeit, die meinen, Gott habe sich von Israel abgewandt und ihnen zugewandt. In einem Bild sagt er es: Israel ist und bleibt die Wurzel und die Christen sind wie eingepfropfte veredelte Zweige:

11 17 Wenn aber nun einige von den Zweigen ausgebrochen wurden und du, der du ein wilder Ölzweig warst, in den Ölbaum eingepfropft worden bist und teilbekommen hast an der Wurzel und dem Saft des Ölbaums, 18 so rühme dich nicht gegenüber den Zweigen. Rühmst du dich aber, so sollst du wissen, dass nicht du die Wurzel trägst, sondern die Wurzel trägt dich.

Und so kommen die ersten Christen zu dem Fazit: Gottes Treue gegenüber seinem Volk bleibt bestehen. Der neue Bund, den er in Christus schließt, hebt den Alten Bund nicht auf. Die Verheißungen des Alten Bundes gelten weiter, aber sie gelten auch den Menschen des Neuen Bundes:
Mit Worten des Epheserbriefes:
„So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern a Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen.“ (Eph 2,19)
Oder wie es im 1. Petrusbrief heißt:
„Ihr aber seid das auserwählte Geschlecht, die königliche Priesterschaft, das heilige Volk, das Volk des Eigentums, dass ihr verkündigen sollt die Wohltaten dessen, der euch berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht.“ (1. Petr 2,9)

Getragen wir auf Adlerflügeln

Was heißt das nun für uns, die wir heute morgen hier sitzen und für einen Moment Rast machen auf der Wanderung unseres Lebens:
Auch uns, auch dir und mir gelten als Christen die Zusagen, die Gott seinem Volk gegeben hat. Durch unsere Taufe sind wir auch in seinen Bund gestellt. Durch das Heilige Abendmahl erneuert er diesen Bund immer wieder.
Uns gelten aber auch die Warnungen an die damaligen: Wehe, wir vergessen, dass das Judentum die Wurzel des Christentums ist. Wehe, wir meinen, wir stünden Gott näher als andere. Wehe, wir meinen, wir seien es ganz besonders wert, dass Gott sich uns zuwendet.

4 Ihr habt gesehen, was ich mit den Ägyptern getan habe und wie ich euch getragen habe auf Adlerflügeln und euch zu mir gebracht.

Wir sitzen hier, blicken zurück und fragen: Wo hat Gott mir auf meinem Lebensweg geholfen und mich auf Adlerflügeln getragen? Wo habe ich seine Rettung aus Ägypten auf meinem Weg erfahren? Durch welche Wasserwogen, die mir bis zum Hals standen, hat er mich hindurch geführt?
Inwiefern kann ich mit den Liederdichtern singen:
„Bis hierher hat mit Gott gebracht durch seine große Güte / bis hierher hat er Tag und Nacht bewahrt Herz und Gemüte, bis hierher hat er mich geleit‘, bis hierher hat er mich erfreut, bis hier mir geholfen.“
Oder:
„Lobe den Herren, der alles so herrlich regieret, der dich auf Adelers Fittichen sicher geführet, der dich erhält, wie es dir selber gefällt; hast du nicht dieses verspüret?“

So streckt Gott heute morgen einem jeden ganz persönlich die Hand entgegen und fragt wie damals am Berg Sinai: Was hast du bisher mit mir erlebt? Willst du dich auch für die Zukunft auf mich einlassen?

5 Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein. 6 Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein. Das sind die Worte, die du den Israeliten sagen sollst.

Wir hören die Botschaft, dass wir Gottes Volk sind, die Menschen, zu denen er steht, sein Eigen, sein Augapfel.
Wir hören die Botschaft, dass wir ein heiliges Volk sind, ein Königreich von Priestern. Auf deutsch: Nur die Priester als Mittler zwischen Gott und Mensch konnten ursprünglich Gott nahe kommen. Nun sind alle Priester. Es braucht keine Vermittlung mehr. Alle haben die gleiche Nähe und den gleichen Zugang zu Gott. Wir müssen ihn nur nutzen. Wir brauchen nur in die ausgestreckte Hand einschlagen. Nicht mehr und nicht weniger.

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de