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Die Predigt |
Menschen vom Abendmahl
ausschließen?
Noch bis zum Frühjahr dieses Jahres habe ich hier in dieser Kirche
gegen kirchliche Gesetze verstoßen: Ich habe Menschen das Abendmahl
gereicht, von denen ich wusste, dass sie aus der Kirche ausgetreten
sind. Ich habe einem Ehepaar, das seine Kinder noch nicht hatte taufen
lassen, das Abendmahl nicht verweigert. Und wer weiß, wie viele
von denen, die am Abendmahl teilnahmen, zu dieser Zeit ihrem Ehepartner
untreu waren.
Noch bis zum Frühjahr dieses Jahres musste nach dem Gesetz in
solchen und ähnlichen Fällen die sog. „brüderliche
Zucht“ geübt werden. Das heißt, ausgehend vom heutigen
Predigttext hätten erst Gespräche im kleinen Kreis, dann
im größeren Kreis geführt werden müssen. Und
am Ende hätte man dann die kirchliche Gemeinschaft aufgekündigt.
Deutliche Grenzen ziehen?
Das Gesetz ist weg, doch die Frage bleibt: Müssten wir nicht
manchmal deutlichere Grenzen setzen? Dürfen wir uns mit jedem
Verhalten in der Gemeinde zufrieden geben?
Die derzeit in Rom tagende Bischofskonferenz hat übrigens gestern
noch einmal bestätigt, dass ein Abendmahl zusammen mit Nichtkatholiken
nicht möglich ist, und dass auch wiederverheiratete Geschiedene
nicht an der katholischen Eucharistie teilnehmen dürfen.
Ziele dieser sog. brüderlichen Zucht war es aber nicht in erster
Linie, Grenzen zu ziehen und Menschen auszuschließen, sondern
sie in Liebe einzuladen und zurückzuholen, wie es ja in den Worten
des Matthäus auch heißt:
Sündigt aber dein Bruder an dir, so geh hin und weise ihn
zurecht 15 zwischen dir und ihm allein. Hört er auf dich, so
hast du deinen Bruder gewonnen.
Nicht über, sondern mit jemand reden
„Sündigt aber dein Bruder an dir“. Das heißt,
es geht hier eigentlich um das Verhältnis unter bewussten Christen.
Man kann die Worte aber wohl auch bis zu einem gewissen Grad auf den
menschlichen Umgang allgemein übertragen. Auf einen Nenner gebracht:
Nicht über, sondern mit jemand reden.
Der erste Schritt nach diesen Worten: Probleme ansprechen und nicht
hinunterschlucken. Wenn du das Gefühl hast, ein anderen hat dir
Unrecht getan, dann zieh dich nicht schmollend zurück. Sag nicht:
„Jetzt ist der andere dran. Erst muss er sich entschuldigen.
Vorher rede ich kein Wort mit ihm.“ Geh auf den anderen zu.
Tu den ersten Schritt. Warte nicht, bis er selber kommt. Vielleicht
kann er es nicht: aus Scham, oder weil ihm gar nicht bewusst war,
dass er Unrecht getan hat.
„Geh hin und weise ihn zurecht zwischen dir und ihm allein.“
Den Ärger nicht hintenherum loswerden, nicht auf dem Umweg
über andere, nicht hinter vorgehaltener Hand, oder gar an die
große Glocke hängen, sondern direkt, Auge in Auge. Muss
man daraus nicht wirklich eine Lebensregel machen: Sprich nicht über
einen Menschen, bevor du nicht unter vier Augen mit ihm gesprochen
hast.
Ohne Zeugen und ohne Öffentlichkeit. Das heißt, der andere
braucht sich nicht zu schämen. Man kann ihm eine goldene Brücke
bauen.
Mediation ist nötig
16 Hört er nicht auf dich, so nimm noch einen oder zwei zu
dir, damit jede Sache durch den Mund von zwei oder drei Zeugen bestätigt
werde.
Nach dem 5. Buch Mose sind, damit niemand öffentlich Unrecht
getan wird, einer oder zwei Zeugen notwendig (Dtn 19,15). Daran wird
hier erinnert. Und doch ist es hier ein wenig anders, denn die Genannten
sind ja nicht Zeugen des Unrechts gewesen. Als Vermittler werden sie
gebraucht, wenn zwei nicht ohne den nötigen Respekt allein miteinander
reden können. Moderation ist nötig, ein Moderator, der hilft,
dass das Gespräch geführt werden kann. Oder mit einem neuen
Begriff: Mediation ist nötig, bewusste Vermittlung, bevor es
öffentlich wird und vor Gericht geht.
Mediation wird z.B. immer öfter an Schulen geübt, indem
man Schüler zu Streitschlichtern ausbildet. Oder auch vor Gericht
wird in vielen Fällen erst ein Vergleich gesucht, bevor alles
öffentlich ausgetragen wird.
Im Zweifelsfall einen Schnitt machen?
Wenn auch das nichts hilft, dann muss eine Sache an die Öffentlichkeit.
Dann muss, wie hier, die ganze Gemeinde eingeschalten werden.
17 Hört er auf die (Zeugen) nicht, so sage es der Gemeinde.
Hört er auch auf die Gemeinde nicht, so sei er für dich
wie ein Heide und Zöllner.
Wir wissen nicht, welche konkreten schwierigen Probleme es in der
Gemeinde gegeben hat, für die Matthäus sein Evangelium geschrieben
hat. Wir wissen nicht, was los war, dass man einen so deutlichen öffentlichen
Schnitt machen musste. Wir können darüber auch nicht urteilen.
Doch wer im Gehorsam gegen diese biblischen Worte auch heute solche
öffentlichen Grenzen ziehen will, der muss auch andere biblische
Worte bedenken:
Nur wenige Verse später fragt Petrus Jesus, wie oft man jemand
vergeben soll, ob sieben mal reiche. Nein, sieben mal siebzig mal,
sagt Jesus, also grenzenlos. (Mt 18,21-22)
Oder denken wir an Jesus, der dem einen verloren Schaf nachgeht, bis
er’s findet. Oder an das sog. Gleichnis vom Unkraut unter dem
Weizen (Mt 22,24f), wo es heißt, dass nicht wir Menschen entscheiden
sollen, wo die Guten und wo die Bösen sind, sondern am Ende wird
Gott die Entscheidung treffen.
Deswegen ist auch das Verständnis schwierig, wenn es hier bei
Matthäus in der Fortsetzung heißt:
18 Wahrlich, ich sage euch: Was ihr auf Erden binden werdet, soll
auch im Himmel gebunden sein, und was ihr auf Erden lösen werdet,
soll auch im Himmel gelöst sein.
Wenn wir ernst nehmen, dass erst Gott am Ende die Scheidung vollzieht,
dann kann es nicht so gemeint sein, dass eine Trennung, die die Menschen
vollziehen, endgültige Bedeutung vor Gott hat. Es kann nicht
sein, dass Revision nicht zugelassen ist, und Gott kein anderes Wort
sprechen kann.
In der Geschichte der Kirche hat man sich deswegen nur selten auf
diese Stelle vom öffentlichen Ausschluss berufen. Es gab es in
kleinen, überschaubaren, strengen Gemeinschaften, in die man
freiwillig eingetreten war, z.B. in Klöstern. Es gibt es heute
v.a. in Sekten wie den Zeugen Jehovas, dass Abtrünnige öffentlich
ausgeschlossen werden und man sie behandelt, als wären sie Luft.
Wir sind Papst
Und doch steht hier etwas Überraschendes, wenn man den direkten
Zusammenhang einmal außer Acht lässt: Als Gemeinde dürfen
wir etwas, was an anderer Stelle nur dem Petrus (Mt 16,19) zugesprochen
wird: einander die Sünden zu vergeben.
In diesem Sinne gilt, was die Bildzeitung damals getitelt hat: Wir
sind Papst. Als Gemeinde sind wir Papst. Wir brauchen keinen Vermittler
mit besonderen Vorrechten. Seiner Gemeinde vertraut Gott es an und
er traut es ihr zu, Sünden zu vergeben und einen Menschen wieder
in die Gemeinschaft zurückzuholen. Deswegen meine ich auch nicht,
dass die katholischen Bischofssynode auf biblischen Wegen geht, wenn
sie jetzt die Abgrenzung beim Abendmahl so deutlich bestätigt
hat.
Denn Jesus ist nicht nur da, wo Papst und Bischöfe sind, sondern
auch zwei oder drei von uns. So enden ja die Worte:
20 Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da
bin ich mitten unter ihnen.
Einladende Gemeinde sein
Und so denke ich, unsere Kirche hat gut daran, dass sie das alte Gesetz
von der sog. brüderlichen Zucht nicht mehr aufrecht erhalten
hat. Menschen einladen, Menschen hereinholen in die Gemeinschaft,
nicht Menschen ausgrenzen ist unsere Aufgabe in der Nachfolge Jesu,
der dem verlorenen Schaf nachgegangen ist.
Wie wir noch mehr zu dieser einladenden Gemeinde werden, die die am
Rande Stehenden einlädt, ist unsere gemeinsame Aufgabe. |
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