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Die Predigt vom 23. Oktober 2005 (22. Sonntag nach Trinitatis):
»Wir sind Papst«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging den 22. Sonntag nach Trinitatis. Sein Thema ist die Vergebung und der gegenseitig Umgang in der Gemeinde. Evangelium (1. Lesung) war das sog. Gleichnis vom Schalksknecht und Epistel (2. Lesung) der Dank des Paulus für die Gemeinde in Philippi. Der Predigttext dieses Sonntags (s.u.) war ein Abschnitt aus Matthäus 18:
Predigttext
Sie können den Text auch online nachlesen. Weitere Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.
Der Predigttext
Jesus sprach zu seinen Jüngern: Sündigt aber dein Bruder an dir, so geh hin und weise ihn zurecht 15 zwischen dir und ihm allein. Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder gewonnen. 16 Hört er nicht auf dich, so nimm noch einen oder zwei zu dir, damit jede Sache durch den Mund von zwei oder drei Zeugen bestätigt werde. 17 Hört er auf die nicht, so sage es der Gemeinde. Hört er auch auf die Gemeinde nicht, so sei er für dich wie ein Heide und Zöllner. 18 Wahrlich, ich sage euch: Was ihr auf Erden binden werdet, soll auch im Himmel gebunden sein, und was ihr auf Erden lösen werdet, soll auch im Himmel gelöst sein.
19 Wahrlich, ich sage euch auch: Wenn zwei unter euch eins werden auf Erden, worum sie bitten wollen, so soll es ihnen widerfahren von meinem Vater im Himmel. 20 Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.
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Die Predigt
Menschen vom Abendmahl ausschließen?

Noch bis zum Frühjahr dieses Jahres habe ich hier in dieser Kirche gegen kirchliche Gesetze verstoßen: Ich habe Menschen das Abendmahl gereicht, von denen ich wusste, dass sie aus der Kirche ausgetreten sind. Ich habe einem Ehepaar, das seine Kinder noch nicht hatte taufen lassen, das Abendmahl nicht verweigert. Und wer weiß, wie viele von denen, die am Abendmahl teilnahmen, zu dieser Zeit ihrem Ehepartner untreu waren.
Noch bis zum Frühjahr dieses Jahres musste nach dem Gesetz in solchen und ähnlichen Fällen die sog. „brüderliche Zucht“ geübt werden. Das heißt, ausgehend vom heutigen Predigttext hätten erst Gespräche im kleinen Kreis, dann im größeren Kreis geführt werden müssen. Und am Ende hätte man dann die kirchliche Gemeinschaft aufgekündigt.

Deutliche Grenzen ziehen?

Das Gesetz ist weg, doch die Frage bleibt: Müssten wir nicht manchmal deutlichere Grenzen setzen? Dürfen wir uns mit jedem Verhalten in der Gemeinde zufrieden geben?
Die derzeit in Rom tagende Bischofskonferenz hat übrigens gestern noch einmal bestätigt, dass ein Abendmahl zusammen mit Nichtkatholiken nicht möglich ist, und dass auch wiederverheiratete Geschiedene nicht an der katholischen Eucharistie teilnehmen dürfen.

Ziele dieser sog. brüderlichen Zucht war es aber nicht in erster Linie, Grenzen zu ziehen und Menschen auszuschließen, sondern sie in Liebe einzuladen und zurückzuholen, wie es ja in den Worten des Matthäus auch heißt:
Sündigt aber dein Bruder an dir, so geh hin und weise ihn zurecht 15 zwischen dir und ihm allein. Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder gewonnen.

Nicht über, sondern mit jemand reden

„Sündigt aber dein Bruder an dir“. Das heißt, es geht hier eigentlich um das Verhältnis unter bewussten Christen. Man kann die Worte aber wohl auch bis zu einem gewissen Grad auf den menschlichen Umgang allgemein übertragen. Auf einen Nenner gebracht: Nicht über, sondern mit jemand reden.

Der erste Schritt nach diesen Worten: Probleme ansprechen und nicht hinunterschlucken. Wenn du das Gefühl hast, ein anderen hat dir Unrecht getan, dann zieh dich nicht schmollend zurück. Sag nicht: „Jetzt ist der andere dran. Erst muss er sich entschuldigen. Vorher rede ich kein Wort mit ihm.“ Geh auf den anderen zu. Tu den ersten Schritt. Warte nicht, bis er selber kommt. Vielleicht kann er es nicht: aus Scham, oder weil ihm gar nicht bewusst war, dass er Unrecht getan hat.

„Geh hin und weise ihn zurecht zwischen dir und ihm allein.“ Den Ärger nicht hintenherum loswerden, nicht auf dem Umweg über andere, nicht hinter vorgehaltener Hand, oder gar an die große Glocke hängen, sondern direkt, Auge in Auge. Muss man daraus nicht wirklich eine Lebensregel machen: Sprich nicht über einen Menschen, bevor du nicht unter vier Augen mit ihm gesprochen hast.
Ohne Zeugen und ohne Öffentlichkeit. Das heißt, der andere braucht sich nicht zu schämen. Man kann ihm eine goldene Brücke bauen.

Mediation ist nötig

16 Hört er nicht auf dich, so nimm noch einen oder zwei zu dir, damit jede Sache durch den Mund von zwei oder drei Zeugen bestätigt werde.

Nach dem 5. Buch Mose sind, damit niemand öffentlich Unrecht getan wird, einer oder zwei Zeugen notwendig (Dtn 19,15). Daran wird hier erinnert. Und doch ist es hier ein wenig anders, denn die Genannten sind ja nicht Zeugen des Unrechts gewesen. Als Vermittler werden sie gebraucht, wenn zwei nicht ohne den nötigen Respekt allein miteinander reden können. Moderation ist nötig, ein Moderator, der hilft, dass das Gespräch geführt werden kann. Oder mit einem neuen Begriff: Mediation ist nötig, bewusste Vermittlung, bevor es öffentlich wird und vor Gericht geht.
Mediation wird z.B. immer öfter an Schulen geübt, indem man Schüler zu Streitschlichtern ausbildet. Oder auch vor Gericht wird in vielen Fällen erst ein Vergleich gesucht, bevor alles öffentlich ausgetragen wird.

Im Zweifelsfall einen Schnitt machen?

Wenn auch das nichts hilft, dann muss eine Sache an die Öffentlichkeit. Dann muss, wie hier, die ganze Gemeinde eingeschalten werden.
17 Hört er auf die (Zeugen) nicht, so sage es der Gemeinde. Hört er auch auf die Gemeinde nicht, so sei er für dich wie ein Heide und Zöllner.

Wir wissen nicht, welche konkreten schwierigen Probleme es in der Gemeinde gegeben hat, für die Matthäus sein Evangelium geschrieben hat. Wir wissen nicht, was los war, dass man einen so deutlichen öffentlichen Schnitt machen musste. Wir können darüber auch nicht urteilen. Doch wer im Gehorsam gegen diese biblischen Worte auch heute solche öffentlichen Grenzen ziehen will, der muss auch andere biblische Worte bedenken:
Nur wenige Verse später fragt Petrus Jesus, wie oft man jemand vergeben soll, ob sieben mal reiche. Nein, sieben mal siebzig mal, sagt Jesus, also grenzenlos. (Mt 18,21-22)
Oder denken wir an Jesus, der dem einen verloren Schaf nachgeht, bis er’s findet. Oder an das sog. Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen (Mt 22,24f), wo es heißt, dass nicht wir Menschen entscheiden sollen, wo die Guten und wo die Bösen sind, sondern am Ende wird Gott die Entscheidung treffen.

Deswegen ist auch das Verständnis schwierig, wenn es hier bei Matthäus in der Fortsetzung heißt:
18 Wahrlich, ich sage euch: Was ihr auf Erden binden werdet, soll auch im Himmel gebunden sein, und was ihr auf Erden lösen werdet, soll auch im Himmel gelöst sein.
Wenn wir ernst nehmen, dass erst Gott am Ende die Scheidung vollzieht, dann kann es nicht so gemeint sein, dass eine Trennung, die die Menschen vollziehen, endgültige Bedeutung vor Gott hat. Es kann nicht sein, dass Revision nicht zugelassen ist, und Gott kein anderes Wort sprechen kann.
In der Geschichte der Kirche hat man sich deswegen nur selten auf diese Stelle vom öffentlichen Ausschluss berufen. Es gab es in kleinen, überschaubaren, strengen Gemeinschaften, in die man freiwillig eingetreten war, z.B. in Klöstern. Es gibt es heute v.a. in Sekten wie den Zeugen Jehovas, dass Abtrünnige öffentlich ausgeschlossen werden und man sie behandelt, als wären sie Luft.

Wir sind Papst

Und doch steht hier etwas Überraschendes, wenn man den direkten Zusammenhang einmal außer Acht lässt: Als Gemeinde dürfen wir etwas, was an anderer Stelle nur dem Petrus (Mt 16,19) zugesprochen wird: einander die Sünden zu vergeben.
In diesem Sinne gilt, was die Bildzeitung damals getitelt hat: Wir sind Papst. Als Gemeinde sind wir Papst. Wir brauchen keinen Vermittler mit besonderen Vorrechten. Seiner Gemeinde vertraut Gott es an und er traut es ihr zu, Sünden zu vergeben und einen Menschen wieder in die Gemeinschaft zurückzuholen. Deswegen meine ich auch nicht, dass die katholischen Bischofssynode auf biblischen Wegen geht, wenn sie jetzt die Abgrenzung beim Abendmahl so deutlich bestätigt hat.
Denn Jesus ist nicht nur da, wo Papst und Bischöfe sind, sondern auch zwei oder drei von uns. So enden ja die Worte:
20 Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.

Einladende Gemeinde sein

Und so denke ich, unsere Kirche hat gut daran, dass sie das alte Gesetz von der sog. brüderlichen Zucht nicht mehr aufrecht erhalten hat. Menschen einladen, Menschen hereinholen in die Gemeinschaft, nicht Menschen ausgrenzen ist unsere Aufgabe in der Nachfolge Jesu, der dem verlorenen Schaf nachgegangen ist.
Wie wir noch mehr zu dieser einladenden Gemeinde werden, die die am Rande Stehenden einlädt, ist unsere gemeinsame Aufgabe.

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de