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Die Predigt vom 16. November 2005 (Buß- und Bettag):
»Spieglein, Spieglein an der Wand«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging den Buß- und Bettag. Sein Thema ist die gesellschaftliche Verantwortung vor Gott. Evangelium (1. Lesung) war das Gleichnis vom Feigenbaum und Epistel (2. Lesung) die Überzeugung des Paulus, dass sich niemand vor Gott verstecken kann. Der Predigttext dieses Sonntags (s.u.) war ein Abschnitt aus Matthäus 12:
Predigttext
Sie können den Text auch online nachlesen. Weitere Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.
Der Predigttext
33 Nehmt an, ein Baum ist gut, so wird auch seine Frucht gut sein; oder nehmt an, ein Baum ist faul, so wird auch seine Frucht faul sein. Denn an der Frucht erkennt man den Baum. 34 Ihr Schlangenbrut, wie könnt ihr Gutes reden, die ihr böse seid? Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über. 35 Ein guter Mensch bringt Gutes hervor aus dem guten Schatz seines Herzens; und ein böser Mensch bringt Böses hervor aus seinem bösen Schatz.
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Die Predigt
An die Gottesdienstbesucher wurde eine Postkarte mit einem Spiegelkreuz verteilt. Aus Urheberrechtsgründen möchte ich sie hier nicht abdrucken. Sie ist erhältlich beim Gottesdienstinstitut der Landeskirche. Wesentliche Gedanken zum Bild sind einer dort erschienenen Arbeitshilfe entnommen.

In den Spiegel schauen

Wie ist das, wenn Sie am Morgen aufstehn? Sehen Sie da schon etwas Rechtes? Sehen Sie schon scharf? Brauchen Sie vielleicht erst Ihre Brille, weil Sie vorher eher hilflos sind? Blinzeln sie erst einmal nur ein wenig, bis Sie sich den Schlaf aus den Augen gewischt haben? Und wohin geht dann der erste so richtig klare Blick? ... Für die meisten wahrscheinlich in den Spiegel.
Ist das nicht wieder typisch Mensch? Der erste Blick gilt meistens uns selber. Wir richten uns her, damit wir selber und andere uns anschauen können. Mancher gefällt sich nicht, wenn er sich am Morgen zum ersten Mal sieht. Manche sagen sogar spaßhaft, sie würden den oft gar nicht kennen, der sie da am Morgen anschaut.
Wer möchte nicht ein möglichst gutes Bild abgeben? Also „machen wir uns schön“. Aber was ist das eigentlich für ein Ausdruck: Wir machen uns schön. Sind wir’s oder sind wir’s nicht? Und ändert sich innerlich etwas, wenn wir uns äußerlich schön machen?
Aber so ist es. Es ist menschlich. Wir wollen, dass man uns ansehen kann. Wir möchten gerne an-gesehen sein. Und ganze Industriezweige leben davon. „Spieglein, Spieglein an der Wand. Wer ist die schönste im ganzen Land?“

Der zerbrochene Spiegel

Sie haben am Anfang eine Karte bekommen. Diese Karte ist wie ein Spiegel. Man kann sich in ihr anschauen. Doch eines ist anders: Wir sehen uns nicht wie im Spiegel daheim. Je nachdem, wie wir die Karte biegen oder bewegen, sehen wir uns verzerrt. Die Linien und Brüche auf der Spiegelfläche verändern unser Gesicht.
Welcher Spiegel zeigt uns richtig? Der schöne, vor dem und mit dem wir uns schön machen? ... Oder eher dieser gebrochene, zerbrochene? Welche der Spiegel zeigt etwas von unserem Wesen? Welcher zeigt, wie wir wirklich sind?
Ist dieser gebrochene Spiegel hier nicht der ehrlichere? Ziehen sich nicht durch unser Leben solche Risse und Sprünge, die wir selber kennen, die wir aber ungern nach außen zeigen, die wir lieber verbergen, die wir vor dem schönen Spiegel vielleicht sogar zukleistern, damit man sie nicht sieht?

Die Gebrochenheit des Lebens

Dieser ehrliche Spiegel erinnert mich an manches in meinem Leben, was bruchstückhaft ist und unvollkommen. Manche Schwäche, mancher Fehler, manche Eitelkeit, manche Rechthaberei, manche Versuchung. Das Bild nach außen ist oft anders als das ehrliche, schonungslose Bild nach innen, das nur ich kenne.

Das Kreuz auf dieser Karte ist, wie Sie der Rückseite entnehmen können, einem echten Spiegelkreuz nachempfunden. Etwa ein Meter hoch hat es ein Künstler aus lauter zusammengesetzten Spiegelscherben hergestellt, die in eine Holzplatte eingelassen sind.
Der Künstler hat diesem Spiegelkreuz den Titel gegeben: Ich (der Betrachter) zerbrochen in der Tiefe, gehalten durch das Kreuz. Die Spiegelscherben stehen für die Brüche meines (des Betrachters) Leben. Aber sie werden zusammengefügt und zusammengehalten durch das Kreuz. Meine Gebrochenheit wird aufgehoben, aber wie Narben kann ich sie nicht verstecken oder verbergen.
Ich bin gebrochen in der Tiefe meines Wesens. Aber ich bin gehalten durch das Kreuz. Das macht das Wesen eines Christen aus: Wissen, wer und wie ich in der Tiefe meines Herzens und Wesens bin. Dem nicht ausweichen. Es nicht beschönigen. Und mich doch geliebt, bejaht und gehalten wissen von Gott. Von Gott, der in Christus selber dem Leiden, dem Kreuz, der Zerbrochenheit nicht ausgewichen ist.

Von faulen und guten Bäumen

Den Pharisäern, die damals vor den Leuten ein möglichst perfektes Bild abgeben wollten, sagt Jesus in Matthäus 12 sehr kritisch:

33 Nehmt an, ein Baum ist gut, so wird auch seine Frucht gut sein; oder nehmt an, ein Baum ist faul, so wird auch seine Frucht faul sein. Denn an der Frucht erkennt man den Baum. 34 Ihr Schlangenbrut, wie könnt ihr Gutes reden, die ihr böse seid? Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über. 35 Ein guter Mensch bringt Gutes hervor aus dem guten Schatz seines Herzens; und ein böser Mensch bringt Böses hervor aus seinem bösen Schatz.

Vergessen wir am besten gleich wieder, dass das von Jesus zu den Pharisäern gesagt wurde. Sonst könnten wir vielleicht sagen: „Gott sei Dank, dann gilt es ja nicht uns.“

Innen und außen gehören untrennbar zusammen: Der Antrieb, mit dem ich etwas tue, und was ich dann tue. So zeigt es das Bild vom Baum und den Früchten. So zeigt es das Bild vom Herzen, das überläuft und Gutes oder Schlechtes hervorbringt.

Der Mensch: von Grund auf böse oder gut?

Aber wie sind wir nun: von Hause aus und im Herzen? Die alte Frage: Ist der Mensch von Hause aus gut oder schlecht?

Die Schöpfungs- und Urgeschichte, die Aussagen machen will über alle Menschen, sieht den Menschen mit seinem unausrottbaren Egoismus ziemlich nüchtern. So heißt es vor der Sintflut:
„Der HERR sah, dass der Menschen Bosheit groß war auf Erden und alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse immerdar.“ (Gen 6,5)
Und obwohl sich Gottes Urteil mit der Sintflut nicht ändert, bleibt er dem Menschen dennoch gnädig:
„Der HERR ... sprach in seinem Herzen: Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf.“ (Gen 8,21)

Gebrochene Existenz wie im Spiegelkreuz, aber doch aufgehoben und zusammengehalten von der Gnade Gottes.

Unausrottbar böse von Grund auf. Das heißt nach dem Neuen Testament nicht, dass Hopfen und Malz verloren wären, dass nichts zu ändern wäre. Die Frage „grundböse oder grundgut“ ist eher schwarz-weiß gemalt. Wir sind beides. Paulus sagt von dieser gebrochenen Existenz, von dieser Zerrissenheit:
„18 Ich weiß, dass in mir, das heißt in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt. Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht. 24 Ich elender Mensch! Wer wird mich daraus erlösen? 25 Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn!“ (Röm 7)
Also: Ich selber aus eigener Kraft kann diese Gebrochenheit nicht heilen, kann mich aus dieser Zerrissenheit nicht erlösen. Wohl aber Gott in Jesus Christus.
Paulus unterscheidet „Fleisch“ und „Geist“. Fleisch: Wir würden sagen, so sind wir von Natur aus. Geist: Das erleben wir im Glauben. Und für den Glaubenden, der sich selber ehrlich sieht und auf Gott vertraut, gilt:
13 ... wenn ihr aber durch den Geist die Taten des Fleisches tötet, so werdet ihr leben. 14 Denn welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder. (Röm 8)

Von der Heilung der Gebrochenheit

Aus eigener Kraft kann ich meine Gebrochenheit nicht heilen. Aber wenn ich mich auf Gottes verändernde Kraft einlasse, kann der Heilige Geist die Scherben meines Lebens Stück für Stück zusammenfügen. Ich muss nicht bleiben, der ich bin.

Beichte und Abendmahl laden ein, mit diesem Prozess immer neu anzufangen.
Der erste Schritt ist, ehrlich vor mir selbst und vor Gott meine Gebrochenheit zu sehen, meinem Bild im Scherbenkreuz nicht auszuweichen.
Der zweite Schritt ist, diese Gebrochenheit in der Stille vor Gott auszusprechen: Gott, ich halte dir die Scherben meines Lebensbildes hin. Ich vertraue darauf, dass du mein bruchstückhaftes Leben in deiner Hand hältst und vertraue auf deine verändernde Kraft.
Der dritte Schritt ist, Gottes Vergebung zu hören, indem wir frei, ledig und los gesprochen werden.
Der vierte Schritt ist das Abendmahl, wo wir dem Gekreuzigten begegnen, der spricht: „Mein Leib, für dich gegeben. Mein Blut, für dich vergossen.“
Und der fünfte Schritt ist, nach dem Abendmahl gestärkt in den Alltag zu gehen, und den Christus in mir an mir arbeiten und mich verändern zu lassen. Von Gott angenommen darf ich mich erhobenen Hauptes im Scherbenspiegel anschauen. Jeden Morgen neu.

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de