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Die Predigt |
Ein Tanzlied zu
Weihnachten
1. Lobt Gott, ihr Christen alle gleich, / in seinem höchsten
Thron,
der heut schließt auf sein Himmelreich / und schenkt uns seinen
Sohn,
und schenkt uns seinen Sohn.
Im Gesangbuch die Nr. 27. Eines der bekanntesten Weihnachtslieder.
Bekannt wie so viele, doch wenn man sich um einzelne Formulierungen
Gedanken macht, dann kommen auch manche Fragen. Deswegen möchte
ich Ihnen heute dieses Lied in der Form einer Liedpredigt nahe bringen.
Wir singen die einzelnen Strophen schon in die Predigt hinein.
1. Lobt Gott, ihr Christen alle gleich, in seinem höchsten
Thron.
Mit einem Aufruf zum Gotteslob beginnt das Lied. Alle sollen gemeinsam
in die Freude einstimmen. Und zur Freude gehört eine freudige
Melodie. Sollten die Füße oder der Körper bei diesem
Lied verstohlen ein wenig mitwippen, dann haben Sie sich nicht getäuscht:
Eine volkstümliche Tanzweise seiner Zeit hat der Dichter seinem
freudigen Weihnachtslied zugrundgelegt. Nikolaus Herman – Sie
können es unter dem Lied nachlesen – übernahm die
Melodie 1554 und dichtete das Lied 1560. Viele Jahre war er Lehrer
und Kantor in Joachimsthal in Böhmen und lebte ungefähr
zur Zeit Martin Luthers. 1480 in Altdorf bei Nürnberg geboren
war er also zu diesem Zeitpunkt schon 80 Jahre alt. Es war ein Jahr
vor seinem Tod.
Viele bekannte Lieder von ihm haben wir im Gesangbuch u.a. das Passionslied
„Wir danken dir, Herr Jesu Christ, dass du für uns gestorben
bist“, das Osterlied „Erschienen ist der herrlich Tag“,
das Morgenlied „Die helle Sonn leucht’ jetzt herfür“
und das Abendlied „Hinunter ist der Sonne Schein.“
Der Himmel ist offen
1. Lobt Gott, ihr Christen alle gleich, / in seinem höchsten
Thron,
der heut schließt auf sein Himmelreich / und schenkt uns seinen
Sohn.
Das Lied bringt die Weihnachtsbotschaft kurz und prägnant auf
den Punkt. Weihnachten bedeutet: Der Himmel ist offen. Wer sich das
merkt, der braucht sich weiter nichts zu merken. Wer das begriffen
hat, der braucht nichts anderes mehr: Der Himmel ist offen.
In der Adventszeit haben wir noch sehnsüchtig gesungen: „O
Heiland, reiß die Himmel auf. Reiß ab vom Himmel Tor und
Tür.“
Doch der Himmel ist nicht ein Raum irgendwo oben in ferner Höhe.
Der Himmel ist, wo Gott ist. Der Himmel ist Gottes Nähe. Und
wenn der Himmel offen ist, dann berühren sich die Welt der Menschen
und die Welt Gottes. Gottes Welt und menschliche Welt kommen zusammen.
Gott und Mensch kommen zusammen. Gott wird Mensch. Er schenkt seinen
Sohn. Er schenkt sich selbst.
Die alte Frage, ob nun der Himmel leer ist, wenn Gott in Christus
auf der Erde ist, lässt sich verstandesmäßig nicht
beantworten. Sprachlich wird sie beantwortet durch den Ausdruck „Gottes
Sohn“. Menschen schauen in Kinderwägen und sagen: „Ganz
der Vater“. „Der zweite Soundso“. Jesus ist „ganz
der Vater“, „der ganze Vater“. In Jesus haben wir
Gott vor uns, der die Ferne seines Himmels verlässt.
Der Himmel ist offen. Singen wir die erste Strophe dieses Liedes 27.
Der nackte Gott
Dieses „Gott wird Mensch. Gott wird einer von uns“ wird
nun durchbuchstabiert in den nächsten Versen, bilderreich, damit
unser Verstand sich vielleicht ein wenig leichter tut mit dem Weihnachtsgeheimnis.
2. Er kommt aus seines Vaters Schoß / und wird ein Kindlein
klein,
er liegt dort elend, nackt und bloß / in einem Krippelein,
in einem Krippelein.
Gott wird einer von uns. Das heißt zuerst: Er beginnt wie jeder
Mensch: Er wird gezeugt. Aus seines Vaters Schoß kommt er. Entstanden
durch den Willen Gottes. Gezeugt durch den Heiligen Geist. Und er
wird geboren und wird ein Säugling: Hilfsbedürftig, nackt,
ungeschützt, allen Blicken offen. Bei Säuglingen kein Thema,
eher putzig. Aber später: Wer steht schon gerne nackt vor anderen?
Nacktheit ist ein Tabu. Ein nackter Gott? Nackt kam er auf die Welt.
Nackt starb er am Kreuz. Das Baby nackt zu zeigen, scheuen sich die
Künstler nicht. Am Kreuz aber bekommt er einen Lendenschurz.
Nach den Evangelien war es anders.
Wir singen die zweite Strophe des Liedes.
Der dienende Gott
3. Er äußert sich all seiner G'walt, / wird niedrig
und gering
und nimmt an eines Knechts Gestalt, / der Schöpfer aller Ding,
der Schöpfer aller Ding.
Gott wird einer von uns. Das heißt zweitens: Er wird ganz wehrlos
und hilflos. Hilfloser als alle Neugeborenen in der Tierwelt sind
die neugeborenen Menschen. Verletzlich, absolut angewiesen. Wenn einer
Schlimmes mit ihnen vor hat, dann sind sie ihm ausgeliefert.
Gleich das nächste, was diesem Kind widerfährt ist, dass
es gerade noch davon kommt vor der Eifersucht und Mordlust des Herodes.
Gott als machtloses Kind. Es schaut uns an aus den Augen all der missbrauchten
Kinder und Kindersoldaten dieser Welt.
„Er äußert sich all seiner G’walt“. Auf
deutsch: Freiwillig verzichtet er auf seine Macht, er gibt sie auf,
obwohl der doch der Schöpfer ist. Nikolaus Herman greift damit
Worte aus dem Philipperbrief auf:
6 Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für
einen Raub, Gott gleich zu sein, 7 sondern entäußerte sich
selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der
Erscheinung nach als Mensch erkannt. 8 Er erniedrigte sich selbst
und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.
Nicht mit Macht und Gewalt wird sich der erwachsene Jesus durchsetzen.
Ein Diener wird er. Als Diener, als Knecht wird er sich verstehen:
„Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse,
sondern dass er diene.“ Es ist ihm schon in die Wiege gelegt.
Dienen. Nur so werden auch wir politisch und wirtschaftlich weiterkommen:
nicht durch krampfhaftes Festhalten, nicht durch Be-dienungsmentalität,
sondern durch freiwilligen Verzicht. Das mögen sich alle Schröders
und Ackermanns ins Stammbuch schreiben lassen.
Wir singen die dritte Strophe des Liedes.
Der Gott aus Fleisch und Blut
4. Er wechselt mit uns wunderlich: / Fleisch und Blut nimmt er
an
und gibt uns in seins Vaters Reich / die klare Gottheit dran,
die klare Gottheit dran.
Gott wird einer von uns. Das heißt drittens: Er wird wirklich
ein Mensch aus Fleisch und Blut. Schon die Theologen der frühen
Kirche, die damit gedanklich ihre Probleme hatten, sagten: Nach außen
ist er ganz Mensch, von Anschauen her, aber innerlich und in Wirklichkeit
ist er Gott geblieben. Und auch am Kreuz, da ist er nur vordergründig
gestorben. Sein eigentliches Wesen war nicht davon betroffen. Nein,
so steht es im Evangelium nicht.
Ganz Mensch, Fleisch und Blut, das ist eine Anfechtung für den
Verstand. Für den jüdischen und noch mehr für den islamischen
Glauben ein Ärgernis, ja eine Gotteslästerung. Einzigartig
ist in dieser Hinsicht unser christlicher Glaube. Einzigartig ist
Gottes Nähe.
Wir singen die vierte Strophe des Liedes.
Der fröhliche Wechsel
5. Er wird ein Knecht und ich ein Herr; / das mag ein Wechsel
sein!
Wie könnt es doch sein freundlicher, / das herze Jesulein,
das herze Jesulein!
Gott wird einer von uns. Das heißt viertens im Umkehrschluss:
Wir werden ihm gleich. Von einem „fröhlichen Wechsel“
oder einem „fröhlichen Tausch“ spricht Martin Luther
und gibt damit Nikolaus Herman das Stichwort.
„Er wechselt mit uns wunderlich“ und „Das mag ein
Wechsel sein“. Wunderlich ist das: Also gegen alle Vernunft
und gegen alle Gerechtigkeit.
Gott wechselt damit nicht nur seinen Aufenthaltsort. Er vertauscht
nicht nur den Himmel mit dem Stall. Wir dürfen durch ihn Tod
gegen Leben, Hölle gegen Himmel und Gerechtigkeit gegen Sünde
tauschen. Er kommt uns nah, damit wir ihm nahe kommen: Er schenkt
uns die ursprüngliche Gottesnähe zurück, von der die
Paradiesgeschichte spricht. Die Gottesnähe, die der Mensch verloren
hat, weil er sein wollte wie Gott.
Wir singen die fünfte Strophe des Liedes.
Gott wird Mensch - Der Mensch wollte Gott werden
Mit dem Sündenfall wird das Paradies verschlossen. Mit Weihnachten
öffnet sich der Himmel wieder. Der Sündenfall ist also der
Gegenpol von Weihnachten: Verschlossen wurde das Paradies, weil der
Mensch Gott werden wollte. An Weihnachten wird es wieder geöffnet,
weil Gott Mensch wird. Der Cherub, der den Zugang bewacht, tritt auf
die Seite, und öffnet uns Adams und Evas den Himmel wieder.
6. Heut schließt er wieder auf die Tür / zum schönen
Paradeis;
der Cherub steht nicht mehr dafür. / Gott sei Lob, Ehr und Preis,
Gott sei Lob, Ehr und Preis!
Der Himmel ist offen seit jener Nacht auf dem Hirtenfeld. Und er bleibt
auch offen. Verschließen können wir ihn nur selbst, indem
wir uns Gott und dem Mitmenschen verschließen.
Gott in den Kindern
In einer alten jüdischen Legende fragt ein Schüler den Rabbi:
„Früher gab es Menschen, die Gott von Angesicht zu Angesicht
gesehen haben. Warum gibt es die heute nicht mehr?“ Und der
Rabbi antwortete: „Weil sich heute niemand mehr so tief bücken
will.“
An Weihnachten Gottes Nähe zu entdecken, heißt also, bereit
sein, sich tief zu bücken: Sich zu bücken über die
Krippe, wo Gott unscheinbar ein Mensch wird. Uns sich zu bücken
hinunter zu den Notleidenden und Schwachen unserer Zeit, in denen
uns das göttliche Kind begegnet.
Wenn einer ein geschundenes Kind sieht, dann soll er nicht fragen:
„Wo ist da Gott? Warum hilft er nicht?“ Sondern er soll
sagen: „Da ist Gott. Warum helfe ich nicht?“ Der Himmel
ist offen. Gott wird Mensch. Manchmal wohnt er nur ein paar Meter
weiter.
Wir singen noch einmal das Lied im Ganzen. Währenddessen wird
das Dankopfer eingesammelt. Es ist am 1. Weihnachtsfeiertag traditionell
für die Evangelischen Schulen, letztlich also für die Kinder
bestimmt. Näheres auf den schriftlichen Abkündigungen. |
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