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Die Predigt vom 20. August 2006 (10. Sonntag nach Trinitatis):
»Gott keine Ruhe lassen«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging den 10. Sontag nach Trinitatis, auch „Israelsonntag“ genannt. Sein Thema ist die bleibende Erwählung des Volkes Israel und das Verhältnis zwischen Christen und Juden. Evangelium (1. Lesung) war Jesu Trauer über Jerusalem oder Jesu Doppelgebot der Liebe und Epistel (2. Lesung) die Überzeugung des Paulus von der bleibenden Erwählung Israels. Der Predigttext dieses Sonntags (s.u.) war ein Abschnitt aus Jesaja 62::
Predigttext
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Der Predigttext
6 O Jerusalem, ich habe Wächter über deine Mauern bestellt, die den ganzen Tag und die ganze Nacht nicht mehr schweigen sollen. Die ihr den HERRN erinnern sollt, ohne euch Ruhe zu gönnen, 7 lasst ihm keine Ruhe, bis er Jerusalem wieder aufrichte und es setze zum Lobpreis auf Erden!
8 Der HERR hat geschworen bei seiner Rechten und bei seinem starken Arm: Ich will dein Getreide nicht mehr deinen Feinden zu essen geben noch deinen Wein, mit dem du so viel Arbeit hattest, die Fremden trinken lassen, 9 sondern die es einsammeln, sollen's auch essen und den HERRN rühmen, und die ihn einbringen, sollen ihn trinken in den Vorhöfen meines Heiligtums.
10 Gehet ein, gehet ein durch die Tore! Bereitet dem Volk den Weg! Machet Bahn, machet Bahn, räumt die Steine hinweg! Richtet ein Zeichen auf für die Völker! 11 Siehe, der HERR lässt es hören bis an die Enden der Erde: Saget der Tochter Zion: Siehe, dein Heil kommt! Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her! 12 Man wird sie nennen »Heiliges Volk«, »Erlöste des HERRN«, und dich wird man nennen »Gesuchte« und »Nicht mehr verlassene Stadt«.
Predigt
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Die Predigt
Friedenshoffnung für den Nahen Osten?

Gott sei Dank schweigen im Nahen Osten die Waffen weitgehend. Aber Waffenruhe ist nicht Frieden. Kann es jemals Frieden geben in dieser Region?
Jetzt, wo nach den vier Wochen Auseinandersetzung der gegenseitige Hass nur noch weiter geschürt worden ist.
Mit einer Hisbollah und mit einem Land wie dem Iran, die Israel von der Landkarte radieren wollen. Mit Palästinensern, die durch Selbstmordattentäter oder Raketen den Terror mitten in die unschuldige Bevölkerung hinein tragen.
Mit radikalen Siedlern auf der anderen Seite, die die alten biblischen Verheißungen so verstehen, dass ganz Palästina ihnen gehört. Mit israelischen Politikern und Militärs, denen man natürlich zugesteht, dass sie sich und ihr Land verteidigen, die dabei aber offensichtlich über das Ziel hinaus schießen.

Kann jemals Frieden werden im Nahen Osten? Gibt es noch Hoffnung? Ja, biblisch gesehen gibt es Hoffnung. Ein Hoffnungstext aus dem Buch des Propheten Jesaja aus einer Zeit, wo es für Jerusalem noch viel schlechter ausgesehen hat als heute: (siehe Text oben)

Damals gab es keine Hoffnung

Worte aus einer Zeit ungefähr 500 Jahre vor Christus. Das sog. Babylonische Exil war vorbei, also die Zeit, wo die Babylonier als damalige Weltmacht Jerusalem zerstört, Stadt und Tempel dem Erdboden gleich gemacht und die wichtigsten Bewohner in die Gefangenschaft nach Babylonien geführt hatten. 800 km weit weg von der Heimat war zwei Generationen lang ihre einzige Sehnsucht die Rückkehr nach Jerusalem, der Wiederaufbau der Stadt und des Tempels.
Nun hatten sich die politischen Verhältnisse endlich gewandelt. Unter der neuen Weltmacht, den Persern, durften die Verbannten in kleinen Gruppen wieder zurückkehren. Sie fingen an, aus dem Nichts heraus Jerusalem und den Tempel wieder aufzubauen. Alles sollte in ihrer Vorstellung wieder so herrlich werden wie früher. Aber die großartigen Erfolge blieben aus. Jerusalem blieb klein und armselig. Die Heimkehr der letzten aus Babylonien verzögerte sich immer mehr. Der jüdische Glaube derer, die 50 Jahre in der Fremde lebten, und der Glaube derer, die im Land bleiben konnten, hatte sich auseinander entwickelt.
In diese Situation hinein richtet der Prophet seine Worte. Er resigniert nicht angesichts der ärmlichen Lage der Gemeinde und der Stadt. Er verweist auf die immer noch gültigen Verheißungen Gottes. Gott hat seine Gemeinde nicht vergessen. Er lädt ein, Gott in den Ohren zu liegen, dass er doch endlich das versprochene Heil kommen lässt. Dann würde die Stadt Jerusalem ihre alte Bedeutung wieder gewinnen. Die Nachbarn würden wieder mit Hochachtung von ihr reden:
6 O Jerusalem, ich habe Wächter über deine Mauern bestellt, die den ganzen Tag und die ganze Nacht nicht mehr schweigen sollen. Die ihr den HERRN erinnern sollt, ohne euch Ruhe zu gönnen, 7 lasst ihm keine Ruhe, bis er Jerusalem wieder aufrichte und es setze zum Lobpreis auf Erden!

Hat sich Gott zurückgezogen?

Die Wächter auf den Mauern patrouillierten damals wohl wirklich Tag und Nacht, um die im Aufbau befindliche Stadt zu schützen. Im prophetischen Bild werden sie zu Hoffnungswächtern, zu Verheißungswächtern, die Gott Tag und Nacht in den Ohren liegen, dass er seine alten Verheißungen am Volk Israel endlich wahr macht.
Schläft Gott? Schweigt er? Hat er uns und seine Verheißungen vergessen? So hat man damals gefragt. Wie kann er es zulassen, dass die Nachbarvölker sich so über sein auserwähltes Volk erheben?

Schläft Gott? Schweigt er? Hat er sich gar schon aus dem Nahen Osten verabschiedet? So könnte man auch heute noch fragen?
Niemand kann ihm über die Schulter schauen. Aber vielleicht ist er einfach nur maßlos traurig über die Menschen dort, so wie wir es im Evangelium von Jesus gehört haben:
41 Und als er nahe hinzukam, sah er die Stadt und weinte über sie 42 und sprach: Wenn doch auch du erkenntest zu dieser Zeit, was zum Frieden dient! Aber nun ist's vor deinen Augen verborgen. (Lk 19,41-42)
Und das gilt nicht nur für die Israelis, die in ihrem Feldzug gegen den Libanon die Grenzen der Verhältnismäßigkeit überschritten haben. Dass sie nicht erkennen, was zum Frieden dient, gilt selbstverständlich genauso auch der palästinensischen und syrischen Seite.

Es braucht heute noch und heute wieder Menschen, die Gott geduldig in den Ohren liegen, dass er seine alten Verheißungen am Volk Israel wahr macht. Welche Verheißung: Die von einem Großisrael vom Sinai im Süden bis an das Gebirge Hermon im Norden, das die Palästinensergebiete und den Libanon mit einschließt? Sicher nicht. Sondern die Verheißung, dass Friede werde für alle in der Region Lebenden. Dass man, wenn schon nicht miteinander, wenigstens nebeneinander in Frieden leben kann: „Land gegen Frieden“.

Einfach unter dem Ölbaum sitzen

8 Der HERR hat geschworen bei seiner Rechten und bei seinem starken Arm: Ich will dein Getreide nicht mehr deinen Feinden zu essen geben noch deinen Wein, mit dem du so viel Arbeit hattest, die Fremden trinken lassen, 9 sondern die es einsammeln, sollen's auch essen und den HERRN rühmen, und die ihn einbringen, sollen ihn trinken in den Vorhöfen meines Heiligtums.
Bilder von zwei Fernsehberichten aus der letzten Zeit habe ich vor Augen: Jetzt erst vor ein paar Tagen Bilder aus Nordisrael, wo durch den Beschuss der Hisbollah Obstplantagen zerstört worden sind, Bäume verbrannt sind und das Obst am Boden verfault, weil sich vier Wochen lange niemand aus dem Haus und aus dem Bunker traute.
Und vor einiger Zeit der Bericht, wo man traurig mit ansehen musste, wie der Verlauf der israelischen Schutzmauer offenbar bewusst so gewählt wurde, dass vielen Palästinensern die Ölbäume zerstört und sie damit ihrer Existenz beraubt wurden.
So einfach und unspektakulär ist eigentlich seit Alters im Orient die Friedenshoffnung: dass jeder in Ruhe unter seinem Ölbaum sitzen, sein Land bebauen und die Früchte seiner Arbeit ernten darf.

Gegen die Resignation

Normale Augen konnten damals nur Resignation sehen. Doch so sicher sehen die Augen des Propheten damals schon die Wende zum Guten, das Kommen Gottes zum Heil, dass er die Menschen einlädt, sich darauf vorzubereiten:
10 Gehet ein, gehet ein durch die Tore! Bereitet dem Volk den Weg! Machet Bahn, machet Bahn, räumt die Steine hinweg! Richtet ein Zeichen auf für die Völker! 11 Siehe, der HERR lässt es hören bis an die Enden der Erde: Saget der Tochter Zion: Siehe, dein Heil kommt! Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her! 12 Man wird sie nennen »Heiliges Volk«, »Erlöste des HERRN«, und dich wird man nennen »Gesuchte« und »Nicht mehr verlassene Stadt«.
Nein, Gott schläft nicht. Gott schweigt nicht. Gott hat sich nicht verabschiedet. Er ist im Kommen. Also macht ihm Bahn bei euch!
Ich verstehe es so: Damit es einen Wandel geben kann, muss zuallererst einmal die Resignation überwunden werden. Wer resigniert, sieht auch die kleinsten Zeichen des Friedens nicht. Wer resigniert, traut auch Gott nichts mehr zu.

Das Alte Testament und seine Verheißungen gilt zusammen mit dem Neuen Testament auch uns Christen: Was können wir als Christen tun im Blick auf den Nahen Osten? Nach den Prophetenworten: Nicht resignieren. Nicht die Hoffnung fahren lassen. Gott in den Ohren liegen. Den Frieden im Nahen Osten in unser Gebet einschließen. Und den Frieden für die ganze Region im Blick haben: also nicht einseitig für eine Seite Partei ergreifen. Nicht in der Art eines Stammtischgeredes aus der Ferne zu wissen meinen, wer die Schuldigen sind.

Auch uns hat Gott nicht vergessen

Zum Schluss: Eigentlich müsste bei einer christlichen Auslegung dieser Jesajaworte noch eine zweite Predigt folgen, die ich nur andeuten kann. Am 10. Sonntag nach Trinitatis und noch mehr bei der momentanen politischen Lage im Nahen Osten steht der bleibende Zuspruch Gottes an Israel zwangsläufig bei der Auslegung im Vordergrund. Doch die Prophetenworte gelten dem Volk Gottes, zu dem auch wir durch die Taufe gehören. Wie gehen wir als einzelne Glaubende damit um, wenn wir in unserem konkreten Leben wie die Damaligen das Gefühl haben: Gott schläft. Er hört mich nicht. Er hat mich vergessen. Er hat vergessen, was er mir versprochen hat: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein.“ Oder: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“
Auch wir werden durch die Worte Jesajas aufgerufen: nicht resignieren, Gott geduldig in den Ohren liegen und ihm keine Ruhe lassen. Und wenn jemand selbst nicht oder nicht mehr beten und hoffen kann: wie die Wächter auf den Mauern stellvertretend zu Gott rufen für die, die uns am Herzen liegen. Ihnen Mut machen: Gott hat dich nicht vergessen. Er kommt. Er ist auf dem Weg zu dir.

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de