Startseite | Impressum | Kontakt
predigt[e].de

Die Predigt vom 10. Dezember 2006 (2. Sonntag im Advent):
»Vom dreifachen Advent«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging den 3. Sonntag im Advent. Sein Thema ist das künftige Kommen Gottes. Evangelium (1. Lesung) war das Gleichnis vom Feigenbaum und Epistel (2. Lesung) ein Aufruf zu Geduld. Der Predigttext dieses Sonntags (s.u.) waren Worte aus Jesaja 35:
Predigttext
Sie können Texte auch online nachlesen. Weitere Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.
Der Predigttext
3 Stärket die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! 4 Saget den verzagten Herzen: »Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen.« 5 Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. 6 Dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch, und die Zunge der Stummen wird frohlocken. Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande. 7 Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein. Wo zuvor die Schakale gelegen haben, soll Gras und Rohr und Schilf stehen. 8 Und es wird dort eine Bahn sein, die der heilige Weg heißen wird. Kein Unreiner darf ihn betreten; nur sie werden auf ihm gehen; auch die Toren dürfen nicht darauf umherirren. 9 Es wird da kein Löwe sein und kein reißendes Tier darauf gehen; sie sind dort nicht zu finden, sondern die Erlösten werden dort gehen. 10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.
Predigt
Aktuelle Predigten

Gesamtübersicht der Predigten

Stichwortverzeichnis
zu den Predigten

Die Predigt
Die Seele nährt sich von Bildern

Wie halten Sie’s mit Träumen und Visionen?
Wenn Sie ein eher realistischer Mensch sind, ein Mensch des Kopfes, oder wenn Sie schon zu oft enttäuscht wurden, sagen Sie vielleicht: Ich kann mittlerweile bloß noch glauben, was ich sehe. Das Leben hat mir schon zu viel versprochen, was nicht eingetreten ist. Die Politiker im Laufe meines Lebens haben schon so viel versprochen. Ich bin endgültig geheilt.
Oder wenn Sie eher ein Mensch der Tat sind, sagen Sie vielleicht: Was helfen alle Träume? Was hilft schön reden und phantasieren? Anpacken müssen wir. Was nicht getan wird, gibt es nicht.
Oder wenn Sie vom Typ her eher ein Mensch des Herzens sind, sagen Sie vielleicht: Ja, mein Kopf braucht die Träume und Visionen nicht unbedingt, aber meine Seele. Mein Seele nährt sich von Bildern, von Träumen, von Visionen. Die machen mit Mut, der Zukunft zu trauen. Die machen mir auch Mut, anzupacken und etwas zu wagen.
Hören Sie eine Adventsvision aus dem Mund des Propheten Jesaja:
(Text siehe oben)

Gott kommt?!

Advent heißt übersetzt: „Ankunft“. „Gott kommt.“ Oder wie hier:
4 Saget den verzagten Herzen: »Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt ... und wird euch helfen.«
Wenn unsere Kinder und Jugendliche unbefangen fragen: „Ja, wo isser denn?“ Oder wenn die Zweifler und Enttäuschten, oder auch die Spötter fragen: „Ja, wo ist er denn?“ Dann dürfen wir die Frage nicht abwimmeln. Denn auch in uns selbst fragt ja manchmal das Kind oder der Enttäuschte: Wo sind denn die Blinden, die wieder sehend werden? Wo die Tauben, die hören? Wo brechen Wasser hervor? Breitet sich nicht die Wüste aus? Sind Schmerz und Seufzen wirklich entflohen?

Wir müssen ehrlich sein vor anderen und auch vor uns: Nein, in diesem wörtlichen Sinne ist Gott nicht da, noch nicht da. Das Leid und die Not der Menschen sind noch nicht aus der Welt geschafft. Aber genau das ist ja Adventszeit: Adventszeit ist die Zeit des Noch-nicht. Adventszeit ist die Zeit des ungeduldigen Wartens. Sie entspricht eigentlich der harten Realität unserer Welt. Sie entspricht ihr viel besser als die Weihnachtszeit.

Für Müde und Verzagte

An Menschen mit wackeligen Knien, an Müde und Verzagte hat der Prophet Jesaja damals diese Worte gerichtet. Besser: Gott hat ihm aufgetragen, den Menschen diese ermutigenden Worte zu sagen. Wir verstehen diese Worte im Jesajabuch am besten, wenn wir davon ausgehen, dass sie an die verbannten Israeliten in Babylonien gerichtet sind. Fern von der Heimat. Fern vom Tempel, wo Gott nahe war. Menschen, die gefragt haben: Wo ist Gott?
Eine großartige Heimkehrvision malt Jesaja ihnen vor Augen: Zwischen Babylonien und Israel liegt die lebensfeindliche syrische Wüste. Eigentlich konnte man nur weit außen herum am Euphrat entlang nach Hause kommen. Nein, nach Hause geht es auf dem direkten Weg: Die Wüste wird zum fruchtbaren Land werden. Eine direkte Bahn wird es geben, eine unmittelbare Verbindung. Kein wildes Tier darf sie bedrängen. Alle sind Gott gleich nahe: Wer damals behindert war, musste sich nämlich vom Gottesdienst und aus der Gemeinschaft fern halten. Deswegen: Es wird keine Lahmen, keine Blinden, keine Tauben und keine Stummen mehr geben.

Vom dreifachen Advent

Zurück auf den Boden der Tatsachen: Diese schönen Bilder sind nicht, noch nicht Realität. Was sagen wir also dem Frager und Zweifler in uns selbst oder dem von außen? Ich weiß keine bessere und ehrlichere Antwort als die alte Antwort vom dreifachen Advent. Was ist damit gemeint?
Dreifacher Advent: Gott ist gekommen. Gott kommt auch noch heute. Gott wird kommen.

In Jesus war Gott schon da

Gott ist gekommen. Gott ist da. Davon waren viele Menschen zur Zeit Jesu zutiefst überzeugt. Denn sie haben genau das erlebt, was im Jesajabuch stand: Stumme konnten durch die Begegnung mit Jesus wieder reden. Blinde konnten wieder sehen. Taube konnten wieder hören. Lahme konnten wieder springen. Und was entscheidend war: Nun waren sie im damaligen Sinne wieder rein, wieder gesellschaftsfähig. Sie durften in den Tempel. Sie durften in den Gottesdienst. Sie gehörten wieder ganz dazu.

Wie kommt Gott heute?

Aber auch das andere ist richtig: Es sind nur Einzelne gewesen, an denen das neue Heil exemplarisch Wirklichkeit geworden ist. Viele sind taub und stumm und blind und lahm geblieben. Deswegen zweitens: Gott kommt auch noch heute.
Was könnte damit gemeint sein? Zuallererst einmal natürlich, dass Gott bildlich gesprochen zu mir kommen und bei mir einziehen kann, wenn ich ihm die Herzenstür öffne. Wenn ich Zeit habe für ihn. Wenn ich ihm wie einem lange erwarteten Gast das Haus bereite. Wenn ich mich von innen heraus verwandeln lasse.

Aber wie könnte es zu verstehen sein von diesen Worten des Jesaja her? Vielleicht so, dass hier eine geistliche und seelische Blindheit, Taubheit, Stummheit oder Lahmheit gemeint ist. Wenn ich Gott heilend an mich heranlasse, dann lerne ich auf einmal die Dinge anders sehen. Ich bekomme ganz andere Ohren für die Zwischentöne der Menschen. Ich finde das rechte Worte zur rechten Zeit. Ich bekomme Mut zu neuen Schritten.

Aber ich meine, das alleine wäre zu billig. Es gibt nach den Erfahrungen aus den Gottesdiensten mit Salbung und Segnung, es gibt auch aus Berichten von Ärzten – nicht in Massen, aber doch da und dort – ganz spontane und unerklärbare körperliche Heilung.
Und vor allem: Warum muss es immer unerklärbar und spektakulär sein? Warum sollte Gott nicht durch ärztliche Kunst oder durch technische Errungenschaften handeln? Wie vielen wird durch neuzeitliche Hörgeräte wieder das Verstehen ermöglicht. Ja, was das Entscheidende ist: Sie gehören wieder zur Gemeinschaft. Sie können unter die Leute. Sie können wieder mitreden und müssen nicht dauernd freundlich nicken, weil sie eigentlich nichts verstanden haben.
Wie viele waren noch vor Jahren nach einem Oberschenkelhalsbruch zur Bettlägerigkeit verurteilt und jetzt springen 80-jährige durch ein künstliches Hüftgelenk wieder wie ein Hirsch.

Aber noch einmal zurück auf den Boden der Tatsachen: Auch das andere ist richtig: Was mit Jesus damals exemplarisch Wirklichkeit geworden ist, und was wir auch heute noch da und dort an Heilung erfahren können, sind nur Vorzeichen des Endgültigen, sind nur kleine Lichtblicke vom großen Licht. Auch heute noch wird der eine gesund und der andere bleibt krank, wird der eine froh und der andere bleibt traurig, und wir wissen nicht warum. Gott ist noch nicht endgültig da. Wir warten immer noch. Wir leben im Advent.
Deswegen auch das dritte:

Vom Leben mit Visionen

Gott wird kommen. Vieles von den großen Zukunftsbildern und Visionen unserer Bibel steht noch aus und ist noch nicht Wirklichkeit geworden. Wie gehen wir damit um? Was machen wir in der Zwischenzeit? Wie leben wir adventlich?
Vielleicht, indem wir tun, was damals schon Jesaja im Namen Gottes seinen Hörern aufgetragen hat:
3 Stärket die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! 4 Saget den verzagten Herzen: »Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt ... und wird euch helfen.«
Also: Kümmert euch als die im Stärkeren um die Schwächeren: Kümmert euch um die, deren Hände müde und deren Knie weich geworden sind. Redet mit den Verzagten und tröstet sie. Sagt ihnen, dass Gott sie nicht vergessen hat. Malt den Geplagten aus, wie sich ihr Schicksal wenden könnten, und dass noch nicht das letzte Wort gesprochen ist.
Zeigt den Müden und Verzagten durch eure Nähe, dass auch Gott sie nicht verlassen hat. Wenn Ihr als Christen ihnen nicht nah seid, wie können sie die Nähe Gottes glauben?

Ist so ein Trösten und Hinweisen auf die Nähe Gottes nur Ver-tröstung? Wenn jemand es so behaupten und sehen würde, man könnte das Gegenteil nicht beweisen. Wir sollen es wohl auch gar nicht. Es ist nicht unsere Aufgabe, die Verlässlichkeit Gottes zu beweisen. Das kann Gott nur selber und er tut es immer wieder und er wird es gewiss endgültig tun.

nach oben

Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de