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Die Predigt |
Die Seele nährt
sich von Bildern
Wie halten Sie’s mit Träumen und Visionen?
Wenn Sie ein eher realistischer Mensch sind, ein Mensch des Kopfes,
oder wenn Sie schon zu oft enttäuscht wurden, sagen Sie vielleicht:
Ich kann mittlerweile bloß noch glauben, was ich sehe. Das Leben
hat mir schon zu viel versprochen, was nicht eingetreten ist. Die
Politiker im Laufe meines Lebens haben schon so viel versprochen.
Ich bin endgültig geheilt.
Oder wenn Sie eher ein Mensch der Tat sind, sagen Sie vielleicht:
Was helfen alle Träume? Was hilft schön reden und phantasieren?
Anpacken müssen wir. Was nicht getan wird, gibt es nicht.
Oder wenn Sie vom Typ her eher ein Mensch des Herzens sind, sagen
Sie vielleicht: Ja, mein Kopf braucht die Träume und Visionen
nicht unbedingt, aber meine Seele. Mein Seele nährt sich von
Bildern, von Träumen, von Visionen. Die machen mit Mut, der Zukunft
zu trauen. Die machen mir auch Mut, anzupacken und etwas zu wagen.
Hören Sie eine Adventsvision aus dem Mund des Propheten Jesaja:
(Text siehe oben)
Gott kommt?!
Advent heißt übersetzt: „Ankunft“. „Gott
kommt.“ Oder wie hier:
4 Saget den verzagten Herzen: »Seid getrost, fürchtet
euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt ... und wird euch helfen.«
Wenn unsere Kinder und Jugendliche unbefangen fragen: „Ja, wo
isser denn?“ Oder wenn die Zweifler und Enttäuschten, oder
auch die Spötter fragen: „Ja, wo ist er denn?“ Dann
dürfen wir die Frage nicht abwimmeln. Denn auch in uns selbst
fragt ja manchmal das Kind oder der Enttäuschte: Wo sind denn
die Blinden, die wieder sehend werden? Wo die Tauben, die hören?
Wo brechen Wasser hervor? Breitet sich nicht die Wüste aus? Sind
Schmerz und Seufzen wirklich entflohen?
Wir müssen ehrlich sein vor anderen und auch vor uns: Nein, in
diesem wörtlichen Sinne ist Gott nicht da, noch nicht da. Das
Leid und die Not der Menschen sind noch nicht aus der Welt geschafft.
Aber genau das ist ja Adventszeit: Adventszeit ist die Zeit des Noch-nicht.
Adventszeit ist die Zeit des ungeduldigen Wartens. Sie entspricht
eigentlich der harten Realität unserer Welt. Sie entspricht ihr
viel besser als die Weihnachtszeit.
Für Müde und Verzagte
An Menschen mit wackeligen Knien, an Müde und Verzagte hat der
Prophet Jesaja damals diese Worte gerichtet. Besser: Gott hat ihm
aufgetragen, den Menschen diese ermutigenden Worte zu sagen. Wir verstehen
diese Worte im Jesajabuch am besten, wenn wir davon ausgehen, dass
sie an die verbannten Israeliten in Babylonien gerichtet sind. Fern
von der Heimat. Fern vom Tempel, wo Gott nahe war. Menschen, die gefragt
haben: Wo ist Gott?
Eine großartige Heimkehrvision malt Jesaja ihnen vor Augen:
Zwischen Babylonien und Israel liegt die lebensfeindliche syrische
Wüste. Eigentlich konnte man nur weit außen herum am Euphrat
entlang nach Hause kommen. Nein, nach Hause geht es auf dem direkten
Weg: Die Wüste wird zum fruchtbaren Land werden. Eine direkte
Bahn wird es geben, eine unmittelbare Verbindung. Kein wildes Tier
darf sie bedrängen. Alle sind Gott gleich nahe: Wer damals behindert
war, musste sich nämlich vom Gottesdienst und aus der Gemeinschaft
fern halten. Deswegen: Es wird keine Lahmen, keine Blinden, keine
Tauben und keine Stummen mehr geben.
Vom dreifachen Advent
Zurück auf den Boden der Tatsachen: Diese schönen Bilder
sind nicht, noch nicht Realität. Was sagen wir also dem Frager
und Zweifler in uns selbst oder dem von außen? Ich weiß
keine bessere und ehrlichere Antwort als die alte Antwort vom dreifachen
Advent. Was ist damit gemeint?
Dreifacher Advent: Gott ist gekommen. Gott kommt auch noch heute.
Gott wird kommen.
In Jesus war Gott schon da
Gott ist gekommen. Gott ist da. Davon waren viele Menschen zur Zeit
Jesu zutiefst überzeugt. Denn sie haben genau das erlebt, was
im Jesajabuch stand: Stumme konnten durch die Begegnung mit Jesus
wieder reden. Blinde konnten wieder sehen. Taube konnten wieder hören.
Lahme konnten wieder springen. Und was entscheidend war: Nun waren
sie im damaligen Sinne wieder rein, wieder gesellschaftsfähig.
Sie durften in den Tempel. Sie durften in den Gottesdienst. Sie gehörten
wieder ganz dazu.
Wie kommt Gott heute?
Aber auch das andere ist richtig: Es sind nur Einzelne gewesen, an
denen das neue Heil exemplarisch Wirklichkeit geworden ist. Viele
sind taub und stumm und blind und lahm geblieben. Deswegen zweitens:
Gott kommt auch noch heute.
Was könnte damit gemeint sein? Zuallererst einmal natürlich,
dass Gott bildlich gesprochen zu mir kommen und bei mir einziehen
kann, wenn ich ihm die Herzenstür öffne. Wenn ich Zeit habe
für ihn. Wenn ich ihm wie einem lange erwarteten Gast das Haus
bereite. Wenn ich mich von innen heraus verwandeln lasse.
Aber wie könnte es zu verstehen sein von diesen Worten des Jesaja
her? Vielleicht so, dass hier eine geistliche und seelische Blindheit,
Taubheit, Stummheit oder Lahmheit gemeint ist. Wenn ich Gott heilend
an mich heranlasse, dann lerne ich auf einmal die Dinge anders sehen.
Ich bekomme ganz andere Ohren für die Zwischentöne der Menschen.
Ich finde das rechte Worte zur rechten Zeit. Ich bekomme Mut zu neuen
Schritten.
Aber ich meine, das alleine wäre zu billig. Es gibt nach den
Erfahrungen aus den Gottesdiensten mit Salbung und Segnung, es gibt
auch aus Berichten von Ärzten – nicht in Massen, aber doch
da und dort – ganz spontane und unerklärbare körperliche
Heilung.
Und vor allem: Warum muss es immer unerklärbar und spektakulär
sein? Warum sollte Gott nicht durch ärztliche Kunst oder durch
technische Errungenschaften handeln? Wie vielen wird durch neuzeitliche
Hörgeräte wieder das Verstehen ermöglicht. Ja, was
das Entscheidende ist: Sie gehören wieder zur Gemeinschaft. Sie
können unter die Leute. Sie können wieder mitreden und müssen
nicht dauernd freundlich nicken, weil sie eigentlich nichts verstanden
haben.
Wie viele waren noch vor Jahren nach einem Oberschenkelhalsbruch zur
Bettlägerigkeit verurteilt und jetzt springen 80-jährige
durch ein künstliches Hüftgelenk wieder wie ein Hirsch.
Aber noch einmal zurück auf den Boden der Tatsachen: Auch das
andere ist richtig: Was mit Jesus damals exemplarisch Wirklichkeit
geworden ist, und was wir auch heute noch da und dort an Heilung erfahren
können, sind nur Vorzeichen des Endgültigen, sind nur kleine
Lichtblicke vom großen Licht. Auch heute noch wird der eine
gesund und der andere bleibt krank, wird der eine froh und der andere
bleibt traurig, und wir wissen nicht warum. Gott ist noch nicht endgültig
da. Wir warten immer noch. Wir leben im Advent.
Deswegen auch das dritte:
Vom Leben mit Visionen
Gott wird kommen. Vieles von den großen Zukunftsbildern und
Visionen unserer Bibel steht noch aus und ist noch nicht Wirklichkeit
geworden. Wie gehen wir damit um? Was machen wir in der Zwischenzeit?
Wie leben wir adventlich?
Vielleicht, indem wir tun, was damals schon Jesaja im Namen Gottes
seinen Hörern aufgetragen hat:
3 Stärket die müden Hände und macht fest die wankenden
Knie! 4 Saget den verzagten Herzen: »Seid getrost, fürchtet
euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt ... und wird euch helfen.«
Also: Kümmert euch als die im Stärkeren um die Schwächeren:
Kümmert euch um die, deren Hände müde und deren Knie
weich geworden sind. Redet mit den Verzagten und tröstet sie.
Sagt ihnen, dass Gott sie nicht vergessen hat. Malt den Geplagten
aus, wie sich ihr Schicksal wenden könnten, und dass noch nicht
das letzte Wort gesprochen ist.
Zeigt den Müden und Verzagten durch eure Nähe, dass auch
Gott sie nicht verlassen hat. Wenn Ihr als Christen ihnen nicht nah
seid, wie können sie die Nähe Gottes glauben?
Ist so ein Trösten und Hinweisen auf die Nähe Gottes nur
Ver-tröstung? Wenn jemand es so behaupten und sehen würde,
man könnte das Gegenteil nicht beweisen. Wir sollen es wohl auch
gar nicht. Es ist nicht unsere Aufgabe, die Verlässlichkeit Gottes
zu beweisen. Das kann Gott nur selber und er tut es immer wieder und
er wird es gewiss endgültig tun. |
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