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Die Predigt |
Gott segnet den
Betrüger
Und Jakob zog aus von Beerscheba und machte sich auf den Weg nach
Haran.
So friedlich und selbstverständlich, wie das klingt, war es damals
nicht: Jakob ist auf der Flucht. Seine Mutter Rebekka hat ihm geraten,
sich in der Ferne, in der Heimat, aus der sie kam, eine Frau zu suchen.
Es ist nur ein Vorwand um des Friedens willen. Jakob soll fliehen,
weil sein Bruder Esau ihn bei nächster Gelegenheit umbringen
will. Jakob, der gewieftere von beiden, hat seinen körperlich
überlegenen Bruder um das Erbe betrogen, das ihm als dem Erstgeborenen
zugestanden hätte.
Ruhelos und heimatlos ist Jakob unterwegs - auf der Suche nach einer
neuen Heimat. Im Freien muss er schlafen. Ein Stein ist sein Kopfkissen.
Es wäre also kein Wunder gewesen, wenn er wegen seines schlechten
Gewissens und aus Angst vor seinem Bruder Albträume gehabt hätte.
Aber nein, er träumt in jener Nacht, dass ihm der Himmel offen
steht. Gott ermutigt und segnet ihn, er segnet den Betrüger.
Er segnet nicht seinen Betrug, aber ihn als Menschen. Und Jakob spürt:
Das hat er nicht verdient.
Er wacht auf und merkt: An einer heiligen Stätte hat er geschlafen.
Er fürchtet sich. Ein heiliger Schauer überkommt ihn. Er
richtet einen Stein zu einem Denkmal auf und gießt Salböl
darüber. Eine Kirchweihe ist das sozusagen. Der Ort, an dem ihm
Gott begegnet ist, wird zum heiligen Ort erklärt. Aber: Entscheidend
ist nicht der Ort, sondern die Begegnung mit Gott, sein Erwachen und
sein Erschaudern.
Das habe ich nicht verdient
„Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er
dir Gutes getan hat.“ Der Wochenspruch gibt das Thema vor.
Im Evangelium haben wir vom sog. dankbaren Samariter gehört.
Und nun der dankbare Jakob. Beide begegnen auf ihrem Lebensweg Gott.
Sie erfahren die Nähe Gottes. Der eine als Kranker und Ausgestoßener,
der andere mit Schuld beladen und als Flüchtling. Beide können
nicht unbedingt damit rechnen, dass Gott ihnen begegnet, gerade ihnen.
Dem Samariter begegnet er in der Gestalt Jesu, der ihn gesund macht.
Jakob begegnet er im Traum und verspricht ihm seine Begleitung.
Beide Geschichten fragen nach uns: Wo ist Gott dir auf deinem Lebensweg
begegnet? Unerwartet, überraschend, helfend, begleitend, erschütternd.
Die Geschichten vom dankbaren Jakob und vom dankbaren Samariter brauchen
ihre Fortsetzung in den Geschichten vom dankbaren Max, vom dankbaren
Hans, von der dankbaren Inge und der dankbaren Ursula, und wie sie
alle heißen mögen.
Wie kann man Gott begegnen?
Wie macht man denn eine solche Begegnung? So könnte jetzt jemand
fragen, der meint, dass ihm das bisher noch nicht widerfahren ist.
Wir sehen aus den beiden Geschichten: Wir können solche Begegnungen
nicht machen. Sie geschehen von Gott her. Unsere Aufgabe ist aber
dann, unsere Augen aufzumachen und zu spüren: Das war nicht ein
Moment wie alle anderen. Ein Erschaudern, das kribbelnd durch den
ganzen Körper geht, kann es sein. Eine tiefe Verwunderung. Eine
tiefe Dankbarkeit. Eine überwältigende Naturerfahrung.
Jakob erwacht – in einem wörtlichen und einem übertragenen
Sinn. Er spürt: Da war Gott, was ich am Abend vorher gar nicht
gemerkt habe. Ehrfurcht überkommt ihn. Das Gespür, der Moment
und der Ort sind heilig. Gotteswelt und Menschenwelt sind sich ganz
nah gekommen.
Er hätte sagen können: Träume sind Schäume. Oder
es hätte geschehen können wie bei den neun anderen von Jesus
Geheilten, dass sie das Erlebnis als selbstverständlich ansehen
und gleich wieder zur Tagesordnung übergehen. Sie würden
auf Anfrage hin vielleicht sagen: „Eine Gottesbegegnung –
die habe ich mein Leben lang noch nicht gemacht! Wie sieht so was
aus?“
Wir brauchen heilige Orte
Es ist gut, wenn jemand eine solche Begegnung mit Gott irgendwie fest
machen kann. Manche Menschen wissen noch genau den Tag und die Stunde
und den Ort, wo sie in diesem Moment waren. Und an Jahrestagen oder
wenn sie wieder an diesem Ort vorbeikommen, wird es ihnen wieder bewusst,
als wäre es gestern erst gewesen. Heilige Moment sind das und
heilige Orte.
Für Jakob war es ein heiliger Ort. Er schichtet Steine zu einem
Denkmal auf und weiht es mit Öl. Denk-mal. Schauen Sie sich das
Wort einmal genau an: Denk-mal. Denk mal nach, wie und was da damals
gewesen ist! Bethel – Haus Gottes. So nennt er den Ort: Hier
wohnt Gott. An diesem Ort ist mir Gott begegnet.
Unser Glaube und unsere Dankbarkeit brauchen Orte. Und deswegen müssen
Kirchen offen sein. Deswegen müssen Kreuze am Weg oder auf Gipfeln
stehen. Deswegen muss es Friedhöfe geben – möglichst
ohne anonyme Grabstätten.
Und dann muss sich etwas ändern
Und ein drittes ist noch wichtig bei einer solchen Gottesbegegnung
– ein drittes nach dem Augen aufmachen und dem heiligen Ort:
Der dankbare Samariter und auch Jakob spüren: Jetzt kann es nicht
so bleiben, wie es war. Jetzt muss sich etwas ändern. Das ist
nicht nur ein wichtiger Ort und ein wichtiger Moment. Das ist eine
Lebenswende.
Jakob überkommt ein heiliger Schauer: Wenn Gott ihn ermutigt
und segnet, obwohl er es nicht verdient hat, obwohl er ein Betrüger
ist, dann muss sich in seinem Leben fortan etwas ändern. Er tut
ein Gelübde: Wenn eintrifft, was Gott ihm versprochen hat, wenn
alles wieder gut wird, wenn er sein Ziel erreicht, dann will er Gott
nicht mehr vergessen.
Lebenswende war es auch für den dankbaren Samariter. Lebenswende
in einem wörtlichen Sinn: Er kehrt um auf seinem Weg und bedankt
sich bei Jesus. Umkehr – das ist wieder beides: Das wörtliche
Umkehren auf dem Weg, das aber unweigerlich mit einer inneren Umkehr
verbunden ist.
Und so gebe Gott, dass der dankbare Max und der dankbare Hans, und
die dankbare Inge und Ursula und wer auch immer noch ihren Gott nicht
vergessen. „Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht,
was er dir Gutes getan hat.“ Amen |
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