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Die Predigt |
Die neueste Kinderstudie
In der letzten Woche sind die Ergebnisse der neuesten Kinderstudie
bekannt geworden. www.worldvisionkinderstudie.de
Wie ist die Lage der Kinder in unserer Gesellschaft? Wie sehen sie
es aus ihrer Sicht? Was sagen die Eltern dazu?
Ein ermutigendes Ergebnis: Egal, wie die Familienverhältnisse
sind, wie es sozial und finanziell aussieht: Kinder lieben ihre Eltern.
Andererseits: In einem Viertel der Elternhäuser erleben Kinder
keine Zuwendung und keine Anregungen. Sie fühlen sich auf sich
allein gestellt. Sie lassen sich durch den Fernseher unterhalten.
Das erleben sie übrigens ganz bewusst: Sie vermissen die Zuwendung
der Eltern. Sie spüren, dass sie dadurch anderen gegenüber
benachteiligt sind. Sie kennen ihre Schulprobleme. Sie wissen, dass
das Folgen für ihre Zukunft hat. Das hat die Studie eindeutig
festgestellt: Diese Benachteiligung in der Kinderzeit wird sich wie
ein roter Faden durch das Leben hindurch ziehen.
Von „Zuwendung“ und „Förderung“ ist in
der Studie die Rede. Ob sich die Kinder geliebt fühlen, steht
nicht ausdrücklich da. Aber kann man nicht davon ausgehen: Wer
nicht genügend Zuwendung hat, wer wenig gefördert wird,
der fühlt sich auch nicht geliebt. Wie wollen solche Kinder einmal
anderen Liebe weitergeben, wenn sie selbst keine erfahren.
Liebe empfangen und weitergeben
Liebe empfangen und Liebe weitergeben. Das ist für mich der Kern
des heutigen Predigttextes. Im Johannesevangelium Kapitel 15 sagt
Jesus zu seinen Jüngern:
9 Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch. Bleibt in
meiner Liebe! 10 Wenn ihr meine Gebote haltet, so bleibt ihr in meiner
Liebe, wie ich meines Vaters Gebote halte und bleibe in seiner Liebe.
11 Das sage ich euch, damit meine Freude in euch bleibe und eure Freude
vollkommen werde. 12 Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander
liebt, wie ich euch liebe.
„Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt.“
Kann man Liebe gebieten, kann man Liebe befehlen? In der Familie,
in der Verwandtschaft, unter Nachbarn, unter Gemeindegliedern ...
Kann man für so viele verschiedene Menschen - schwierige Menschen,
fremde Menschen - Gefühle hegen?
Welche Liebe ist denn hier gemeint? Liebe hat so viele verschiedene
Facetten. Klassisch werden drei Arten der Liebe unterschieden. Erstens:
Die Liebe auf der Ebene der Gefühle und des Herzens. Die Liebe,
mit der sich zwei Menschen zueinander hingezogen fühlen. Eine
Liebe, die man nicht befehlen kann. Sie ist einfach da.
Zweitens: Die Liebe auf der Ebene des Körpers. Die körperliche
Liebe. Die Sexualität.
Und drittens: Die Nächstenliebe, die zwar ein christlicher Begriff
ist, aber natürlich nicht auf das Christentum beschränkt
ist. Meinen Nächsten, meinen Mitmenschen – einfach gesagt:
den anderen - akzeptieren, für ihn da sein. Helfen, wo man gebraucht
wird wie der barmherzige Samariter. Da muss ich keine Gefühle
für jemand hegen. Ich muss ihn nicht kennen. Er kann ein wildfremder
Mensch sein. Der andere wird nicht geliebt, weil er liebenswert ist,
sondern weil er ein Mensch ist.
Von der Nächstenliebe
Das spielt sich nicht einfach nur auf der Ebene des Kopfes und des
Verstandes ab, aber ohne Nachdenken gibt es die Nächstenliebe
nicht. Erinnern Sie sich an das heutige Evangelium: Wir sollen unseren
Nächsten lieben, weil Gott seine Sonne scheinen lässt auf
Gute und Böse und Gerechte und Ungerechte. Also: Jesus ruft mich
auf, meinen Nächsten zu lieben, weil er nicht weniger und nicht
mehr als ich von Gott geliebt wird. Das muss ich hören und begreifen.
Da helfen Gefühle nicht weiter, ja sie hindern eher. Mein Nachbar:
Der Nachbar, der am Sonntagmorgen neben mir in der Bank sitzt. Der
Nachbar über den Gartenzaun hinweg. Der Nachbar, der sich zufällig
im Bus neben mich setzt. Der Nachbar, der in der Schlange im Supermarkt
zufällig vor oder hinter mir steht. Sie alle haben wie ich das
gleiche Recht auf ein freundliches Wort, auf einen Gruß, auf
eine kleine Hilfe, wenn es nötig ist.
Oder wie es in einem Kirchenlied heißt:
„Wir haben einen Gott und Herrn, / sind eines Leibes Glieder,
/ drum diene deinem Nächsten gern, / denn wir sind alle Brüder.
/ Gott schuf die Welt nicht bloß für mich, / mein Nächster
ist sein Kind wie ich.“
(Gesangbuch Nr. 412,4)
Diese Liebe befiehlt Jesus: Solidarität, Hilfsbereitschaft, einander
akzeptieren. Gefühle befiehlt er nicht. Diese Art Liebe ist das
neue Gebot, das er seinen Jüngern und damit auch uns als Getaufte,
uns als Gemeindemitglieder, gibt. Es ist weniger ein neues 11. Gebot
gegenüber den Zehn bekannten Geboten. Es ist eher das Gebot,
in dem das vierte bis zehnte Gebot aufgehoben und zusammengefasst
sind.
Als Geliebte lieben
Und wenn nun jemand fragt: Wie kann ich das schaffen? Einmal, weil
ich ja meinen Nachbarn, v.a. den über den Gartenzaun hinweg,
sehr gut kenne, und weiß, wie schwierig unser Verhältnis
ist. Aber auch, weil mir täglich so viele Menschen begegnen.
Jesus sagt:
9 Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch. Bleibt in
meiner Liebe!
Ich möchte es mit folgendem Wortspiel sagen: Dem Gebot geht das
Angebot voraus.
Jesus sagt: Ihr könnt lieben, weil ihr selbst geliebt seid. Gott
ist der Ursprung und der Urquell der Liebe. Er liebt mich und ich
wiederum liebe euch. Und so müsst Ihr eigentlich gar nichts tun,
außer in diesem Liebesstrom, der von Gott ausgeht, zu bleiben.
Werdet euch dieser Liebe bewusst. Erfahrt sie. Spürt sie. Dann
wird sie wie von allein durch euch durch gehen hin zu anderen. Wer
selber geliebt wird, kann eigentlich gar nicht anders, als seinerseits
zu lieben.
10 Wenn ihr meine Gebote haltet, so bleibt ihr in meiner Liebe,
wie ich meines Vaters Gebote halte und bleibe in seiner Liebe.
Wer auf diese Weise liebt, hält sozusagen die Gebote ganz von
allein. Wer aus dieser Liebe lebt, muss nicht in jedem Einzelfall
lang und breit überlegen: Was soll ich jetzt tun? Er wird spontan
das Richtige tun. Ober wie es der Kirchenvater Augustin, also einer
der ersten Theologen gesagt hat: „Liebe! Und dann tu, was du
willst.“ Mit anderen Worten: Wenn du nur liebst, kannst du eigentlich
gar nichts mehr verkehrt machen.
Liebe - ganz praktisch
Was könnte das alles praktisch heißen: Wir als Gemeindeglieder
– wir, die wir heute morgen hier sitzen, aber auch darüber
hinaus – wir als Gemeindeglieder werden gefragt: Wie sieht es
unter euch mit dieser Art Liebe aus? Wie gehen wir aufeinander zu
– im Gottesdienst oder in den Gruppen und Kreisen? Wir reden
wir übereinander? Fühlt sich ein Fremder, der in den Gottesdienst
oder in eine Veranstaltung kommt, angenommen und beachtet? Oder geht
er hinterher wieder, ohne dass ihn jemand angesprochen oder wenigstens
freundlich angeschaut hat? Entdecken wir, wenn am Sonntagmorgen jemand
da sitzt und ein trauriges Gesicht macht?
Und noch einmal zurück zum Beginn: Wie fühlen sich Kinder
und Jugendliche in der Gemeinde, im Gottesdienst, in den Gruppen und
Kreisen angenommen?
Kinder brauchen ja nicht nur die Liebe ihrer Eltern. Kinder brauchen
auch die Solidarität, die Würdigung, die Aufmerksamkeit
der Gemeinschaft. In der genannten Kinderstudie wird eine afrikanische
Weisheit zitiert, die ich – auf dem Dorf aufgewachsen –
nur bestätigen kann: „Es braucht ein ganzes Dorf, um ein
Kind stark zu machen.“
Die ganze Gemeinschaft prägt unsere Kinder und Jugendlichen.
Die Alten erzählen, wie ganz selbstverständlich es in der
Siedlung war, dass Nachbarskinder und Freunde einfach so rundum mit
am Tisch saßen. Kinder wissen auch ganz genau, bei welcher Nachbarin
oder Ersatzoma sie sich einmal die nötige Aufmerksamkeit und
Zuwendung holen können, die sie vielleicht gerade im Moment zu
Hause vermissen.
Die Kinder- und Jugendarbeit in der Gemeinde haben Jugendausschuss
und Kirchenvorstand als besondere Herausforderung erkannt. Wir werden
aber nur vorankommen, wenn wir es als unsere gemeinsame Aufgabe betrachten.
Versuchen Sie, Vorbild zu sein für unsere Konfirmanden. Schauen
Sie sie nicht allzu streng an, wenn sie zwischendurch einmal unaufmerksam
sind. Denn auch manche Erwachsene unterhalten sich manchmal ganz schön
laut, wenn der Gottesdienst schon begonnen hat.
Bedenken Sie, dass auch schwierige Jugendliche ein Recht haben, dass
man ihnen die nötigen kritischen Worte mit Anstand und freundlich
und fair sagt.
Jesus: 11 Das sage ich euch, damit meine Freude in euch bleibe
und eure Freude vollkommen werde. |
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