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Die Predigt vom 28. Oktober 2007 (21. Sonntag nach Trinitatis):
»Wenn jemand nicht geliebt wird«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging den 21. Sonntag nach Trinitatis. Sein Thema ist die Nächstenliebe. Evangelium (1. Lesung) war Jesu Einladung zur Feindesliebe in der Bergpredigt und Epistel (2. Lesung) der Kampf gegen das Böse nach dem Epheserbrief. Der Predigttext dieses Sonntags (s.u.) war Jesu Einladung zur Liebe unter seinen Jüngern nach Johannes 15:
Predigttext
Sie können Texte auch online nachlesen. Weitere Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.
Der Predigttext
9 Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch. Bleibt in meiner Liebe! 10 Wenn ihr meine Gebote haltet, so bleibt ihr in meiner Liebe, wie ich meines Vaters Gebote halte und bleibe in seiner Liebe. 11 Das sage ich euch, damit meine Freude in euch bleibe und eure Freude vollkommen werde. 12 Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch liebe.
Predigt
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Die Predigt
Die neueste Kinderstudie

In der letzten Woche sind die Ergebnisse der neuesten Kinderstudie bekannt geworden. www.worldvisionkinderstudie.de
Wie ist die Lage der Kinder in unserer Gesellschaft? Wie sehen sie es aus ihrer Sicht? Was sagen die Eltern dazu?
Ein ermutigendes Ergebnis: Egal, wie die Familienverhältnisse sind, wie es sozial und finanziell aussieht: Kinder lieben ihre Eltern.
Andererseits: In einem Viertel der Elternhäuser erleben Kinder keine Zuwendung und keine Anregungen. Sie fühlen sich auf sich allein gestellt. Sie lassen sich durch den Fernseher unterhalten. Das erleben sie übrigens ganz bewusst: Sie vermissen die Zuwendung der Eltern. Sie spüren, dass sie dadurch anderen gegenüber benachteiligt sind. Sie kennen ihre Schulprobleme. Sie wissen, dass das Folgen für ihre Zukunft hat. Das hat die Studie eindeutig festgestellt: Diese Benachteiligung in der Kinderzeit wird sich wie ein roter Faden durch das Leben hindurch ziehen.
Von „Zuwendung“ und „Förderung“ ist in der Studie die Rede. Ob sich die Kinder geliebt fühlen, steht nicht ausdrücklich da. Aber kann man nicht davon ausgehen: Wer nicht genügend Zuwendung hat, wer wenig gefördert wird, der fühlt sich auch nicht geliebt. Wie wollen solche Kinder einmal anderen Liebe weitergeben, wenn sie selbst keine erfahren.

Liebe empfangen und weitergeben

Liebe empfangen und Liebe weitergeben. Das ist für mich der Kern des heutigen Predigttextes. Im Johannesevangelium Kapitel 15 sagt Jesus zu seinen Jüngern:
9 Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch. Bleibt in meiner Liebe! 10 Wenn ihr meine Gebote haltet, so bleibt ihr in meiner Liebe, wie ich meines Vaters Gebote halte und bleibe in seiner Liebe. 11 Das sage ich euch, damit meine Freude in euch bleibe und eure Freude vollkommen werde. 12 Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch liebe.

„Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt.“ Kann man Liebe gebieten, kann man Liebe befehlen? In der Familie, in der Verwandtschaft, unter Nachbarn, unter Gemeindegliedern ... Kann man für so viele verschiedene Menschen - schwierige Menschen, fremde Menschen - Gefühle hegen?
Welche Liebe ist denn hier gemeint? Liebe hat so viele verschiedene Facetten. Klassisch werden drei Arten der Liebe unterschieden. Erstens: Die Liebe auf der Ebene der Gefühle und des Herzens. Die Liebe, mit der sich zwei Menschen zueinander hingezogen fühlen. Eine Liebe, die man nicht befehlen kann. Sie ist einfach da.
Zweitens: Die Liebe auf der Ebene des Körpers. Die körperliche Liebe. Die Sexualität.
Und drittens: Die Nächstenliebe, die zwar ein christlicher Begriff ist, aber natürlich nicht auf das Christentum beschränkt ist. Meinen Nächsten, meinen Mitmenschen – einfach gesagt: den anderen - akzeptieren, für ihn da sein. Helfen, wo man gebraucht wird wie der barmherzige Samariter. Da muss ich keine Gefühle für jemand hegen. Ich muss ihn nicht kennen. Er kann ein wildfremder Mensch sein. Der andere wird nicht geliebt, weil er liebenswert ist, sondern weil er ein Mensch ist.

Von der Nächstenliebe

Das spielt sich nicht einfach nur auf der Ebene des Kopfes und des Verstandes ab, aber ohne Nachdenken gibt es die Nächstenliebe nicht. Erinnern Sie sich an das heutige Evangelium: Wir sollen unseren Nächsten lieben, weil Gott seine Sonne scheinen lässt auf Gute und Böse und Gerechte und Ungerechte. Also: Jesus ruft mich auf, meinen Nächsten zu lieben, weil er nicht weniger und nicht mehr als ich von Gott geliebt wird. Das muss ich hören und begreifen. Da helfen Gefühle nicht weiter, ja sie hindern eher. Mein Nachbar: Der Nachbar, der am Sonntagmorgen neben mir in der Bank sitzt. Der Nachbar über den Gartenzaun hinweg. Der Nachbar, der sich zufällig im Bus neben mich setzt. Der Nachbar, der in der Schlange im Supermarkt zufällig vor oder hinter mir steht. Sie alle haben wie ich das gleiche Recht auf ein freundliches Wort, auf einen Gruß, auf eine kleine Hilfe, wenn es nötig ist.
Oder wie es in einem Kirchenlied heißt:
„Wir haben einen Gott und Herrn, / sind eines Leibes Glieder, / drum diene deinem Nächsten gern, / denn wir sind alle Brüder. / Gott schuf die Welt nicht bloß für mich, / mein Nächster ist sein Kind wie ich.“
(Gesangbuch Nr. 412,4)

Diese Liebe befiehlt Jesus: Solidarität, Hilfsbereitschaft, einander akzeptieren. Gefühle befiehlt er nicht. Diese Art Liebe ist das neue Gebot, das er seinen Jüngern und damit auch uns als Getaufte, uns als Gemeindemitglieder, gibt. Es ist weniger ein neues 11. Gebot gegenüber den Zehn bekannten Geboten. Es ist eher das Gebot, in dem das vierte bis zehnte Gebot aufgehoben und zusammengefasst sind.

Als Geliebte lieben

Und wenn nun jemand fragt: Wie kann ich das schaffen? Einmal, weil ich ja meinen Nachbarn, v.a. den über den Gartenzaun hinweg, sehr gut kenne, und weiß, wie schwierig unser Verhältnis ist. Aber auch, weil mir täglich so viele Menschen begegnen.
Jesus sagt:
9 Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch. Bleibt in meiner Liebe!
Ich möchte es mit folgendem Wortspiel sagen: Dem Gebot geht das Angebot voraus.

Jesus sagt: Ihr könnt lieben, weil ihr selbst geliebt seid. Gott ist der Ursprung und der Urquell der Liebe. Er liebt mich und ich wiederum liebe euch. Und so müsst Ihr eigentlich gar nichts tun, außer in diesem Liebesstrom, der von Gott ausgeht, zu bleiben. Werdet euch dieser Liebe bewusst. Erfahrt sie. Spürt sie. Dann wird sie wie von allein durch euch durch gehen hin zu anderen. Wer selber geliebt wird, kann eigentlich gar nicht anders, als seinerseits zu lieben.

10 Wenn ihr meine Gebote haltet, so bleibt ihr in meiner Liebe, wie ich meines Vaters Gebote halte und bleibe in seiner Liebe.
Wer auf diese Weise liebt, hält sozusagen die Gebote ganz von allein. Wer aus dieser Liebe lebt, muss nicht in jedem Einzelfall lang und breit überlegen: Was soll ich jetzt tun? Er wird spontan das Richtige tun. Ober wie es der Kirchenvater Augustin, also einer der ersten Theologen gesagt hat: „Liebe! Und dann tu, was du willst.“ Mit anderen Worten: Wenn du nur liebst, kannst du eigentlich gar nichts mehr verkehrt machen.

Liebe - ganz praktisch

Was könnte das alles praktisch heißen: Wir als Gemeindeglieder – wir, die wir heute morgen hier sitzen, aber auch darüber hinaus – wir als Gemeindeglieder werden gefragt: Wie sieht es unter euch mit dieser Art Liebe aus? Wie gehen wir aufeinander zu – im Gottesdienst oder in den Gruppen und Kreisen? Wir reden wir übereinander? Fühlt sich ein Fremder, der in den Gottesdienst oder in eine Veranstaltung kommt, angenommen und beachtet? Oder geht er hinterher wieder, ohne dass ihn jemand angesprochen oder wenigstens freundlich angeschaut hat? Entdecken wir, wenn am Sonntagmorgen jemand da sitzt und ein trauriges Gesicht macht?

Und noch einmal zurück zum Beginn: Wie fühlen sich Kinder und Jugendliche in der Gemeinde, im Gottesdienst, in den Gruppen und Kreisen angenommen?
Kinder brauchen ja nicht nur die Liebe ihrer Eltern. Kinder brauchen auch die Solidarität, die Würdigung, die Aufmerksamkeit der Gemeinschaft. In der genannten Kinderstudie wird eine afrikanische Weisheit zitiert, die ich – auf dem Dorf aufgewachsen – nur bestätigen kann: „Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind stark zu machen.“
Die ganze Gemeinschaft prägt unsere Kinder und Jugendlichen. Die Alten erzählen, wie ganz selbstverständlich es in der Siedlung war, dass Nachbarskinder und Freunde einfach so rundum mit am Tisch saßen. Kinder wissen auch ganz genau, bei welcher Nachbarin oder Ersatzoma sie sich einmal die nötige Aufmerksamkeit und Zuwendung holen können, die sie vielleicht gerade im Moment zu Hause vermissen.

Die Kinder- und Jugendarbeit in der Gemeinde haben Jugendausschuss und Kirchenvorstand als besondere Herausforderung erkannt. Wir werden aber nur vorankommen, wenn wir es als unsere gemeinsame Aufgabe betrachten. Versuchen Sie, Vorbild zu sein für unsere Konfirmanden. Schauen Sie sie nicht allzu streng an, wenn sie zwischendurch einmal unaufmerksam sind. Denn auch manche Erwachsene unterhalten sich manchmal ganz schön laut, wenn der Gottesdienst schon begonnen hat.
Bedenken Sie, dass auch schwierige Jugendliche ein Recht haben, dass man ihnen die nötigen kritischen Worte mit Anstand und freundlich und fair sagt.
Jesus: 11 Das sage ich euch, damit meine Freude in euch bleibe und eure Freude vollkommen werde.

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de