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Die Predigt |
Weihnachten: Der
hautnahe Gott
„Und wäre Christus tausendmal in Bethlehem geboren
und nicht einmal in dir, so wäre es dir nichts nütze.“
Worte von Johann Scheffler, einem der Liederdichter unseres Gesangbuchs.
Angelus Silesius nannte er sich mit Dichternamen, „Schlesischer
Engel“. Er gehörte zu einem Kreis schlesischer Mystikern.
Mystiker waren und sind Menschen, die zu einem vertieften Glauben
nicht über den Verstand und das Nachdenken kommen wollen. Sie
suchen die Begegnung mit Gott eher über das Herz und das Gefühl.
Sie suchen Gott durch Glaubenserfahrung, durch Stille und Versenkung.
„Und wäre Christus tausendmal in Bethlehem geboren
und nicht einmal in dir, so wäre es dir nichts nütze.“
Also: Was hilft dir das Wissen oder der Glaube, dass Jesus vor ca.
2011 Jahren in einem Stall in Bethlehem geboren wurde, wenn es dich
nicht ganz persönlich betrifft. Glaube lebt nicht von dem, was
damals war, sondern was wir hier und heute erleben und erfahren. Ja,
lässt sich Weihnachten überhaupt über den Verstand
begreifen? Geht es nicht wirklich nur über das Herz? Dass der
allmächtige Gott ein Mensch wird, dass der Schöpfer auf
die Ebene seiner Geschöpfe hinuntersteigt, das ist einzigartig
in allen Religionen dieser Welt. Es ist widersinnig und unlogisch
für das philosophische Nachdenken. Es ist ketzerisch für
die anderen Eingott-Religionen Judentum und Islam.
„Und wäre Christus tausendmal in Bethlehem geboren
und nicht einmal in dir, so wäre es dir nichts nütze.“
In dir muss Christus geboren werden. Für dich kommt er auf die
Welt. Dir will er nahe sein. Weihnachten – das ist Gott hautnah.
Der viel bekanntere Zeitgenosse von Angelus Silesius, nämlich
der Liederdichter Paul Gerhardt, sagt es in einem seiner Weihnachtslieder
in ganz ähnlichen Worten:
9. Eins aber, hoff ich, wirst du mir, / mein Heiland, nicht versagen:
/ dass ich dich möge für und für / in, bei und an mir
tragen. / So lass mich doch dein Kripplein sein; / komm, komm und
lege bei mir ein / dich und all deine Freuden.
Während Silesius sagt, Christus müsse in dir und mir geboren
werden, möchte Paul Gerhardt den Heiland immer bei sich haben,
ja er möchte die Krippe sein, in die sich der Heiland hineinlegt.
Näher und enger geht es nicht.
400 Jahre Paul Gerhardt habe ich in diesem Jahr schon öfter zum
Thema gemacht und möchte heute Abend zusammen mit Ihnen dieses
sein vielleicht bekanntestes Weihnachtslied anschauen: „Ich
steh an deiner Krippen hier.“ Die Nr. 37 im Gesangbuch.
Was könnte man dem Kind schenken?
1. Ich steh an deiner Krippen hier, / o Jesu, du mein Leben; /
ich komme, bring und schenke dir, / was du mir hast gegeben. / Nimm
hin, es ist mein Geist und Sinn, / Herz, Seel und Mut, nimm alles
hin / und lass dir's wohlgefallen.
Wie die Hirten und die drei Weisen steht Paul Gerhardt an der Krippe
Jesu und bringt seine Geschenke. Er bringt das wertvollste, was er
hat.
Es gibt schöne Geschichten, u. a. von kleinen Hirtenjungen damals
auf dem Hirtenfeld, die sich überlegen, was sie dem Kind denn
mitbringen könnten. Nichts erscheint ihnen wirklich angemessen
für das göttliche Kind. Etwas, was einem wirklich am Herzen
liegt, muss es sein. Etwas Wertvolles.
Es ist zwar nur eine theoretische, ja eine kindliche Frage, aber doch
ein weihnachtliches Nachdenken wert: Was würde ich, ich persönlich,
dem Kind in der Krippe schenken? Was würde ich mitbringen, von
dem, was ich habe? ...
Paul Gerhardt gibt uns seine persönliche Antwort: Er bringt Geist
und Sinn, Herz, Seele und Mut als Geschenk mit. Auf deutsch: Er bringt
nicht irgendein Geschenk mit, sondern er bringt sich selber mit. Er
schenkt Gott als Kind in der Krippe das zurück, was er selbst
von Gott geschenkt bekommen hat: sein Leben mit Körper, Seele
und Geist.
Wäre das nicht auch für unsere zwischenmenschlichen Geschenke
ein guter Gedanke: Nicht so viele Sache und Dinge schenken, sondern
mehr sich selbst?
Wir singen die erste Strophe des Liedes 37 „Ich steh an deiner
Krippen hier“.
Wir sind gewollte Kinder
2. Da ich noch nicht geboren war, / da bist du mir geboren / und
hast mich dir zu eigen gar, / eh ich dich kannt, erkoren. / Eh ich
durch deine Hand gemacht, / da hast du schon bei dir bedacht, / wie
du mein wolltest werden.
Was kann ich dir denn überhaupt schenken, was du mir nicht längst
vorher schon geschenkt hättest, so fragt Paul Gerhardt.
Du, Gott, Schöpfer, hattest mich schon im Blick, als ich noch
gar nicht geboren war. Du hast schon an mich gedacht, als meine Eltern
mich noch gar nicht im Sinn hatten. Du hast ja zu mir gesagt. Du hast
mich zu deinem Kind gemacht, als ich noch gar nicht auf der Welt war.
Ich bin gewollt und geliebt.
Deswegen kann man nur unendlich traurig sein über alle die toten
Kinder, von denen wir in diesem Jahr durch die Medien erfahren haben.
Kinder, von Gott gewollt und von Gott bejaht, aber von Müttern
und Vätern verneint und von Nachbarn übersehen.
Wir singen die zweite Strophe des angefangenen Liedes.
Die Weihnacht und die dunklen Nächte
3. Ich lag in tiefster Todesnacht, / du warest meine Sonne, /
die Sonne, die mir zugebracht / Licht, Leben, Freud und Wonne. / O
Sonne, die das werte Licht / des Glaubens in mir zugericht', / wie
schön sind deine Strahlen!
Weihnachten bedeutet: Gott ist mir ganz nahe. Das hat Paul Gerhardt
erfahren nicht nur, indem Gott ihm sein Leben geschenkt hat. Das hat
er auch erfahren in all den Todesnächten, durch die er in seinem
Leben hindurch musste.
1653, so kann man es unter dem Lied lesen, sind die Worte entstanden.
Paul Gerhardt war auf seiner ersten Pfarrstelle in Mittenwalde in
der Nähe Berlins. Von seinem späteren Schicksal, dass ihm
vier Kinder und eine Frau sterben würden, wusste er noch nichts.
Er hat erst zwei Jahre nach dem Lied geheiratet. Doch der schreckliche
30-jährige Krieg, den er von Anfang bis Ende miterlebt hat, war
noch nicht lange vorbei. Früh Vollwaise geworden hat er das alltägliche
Sterben durch Krieg, Hunger und Pest erlebt und auch Geschwister verloren.
In diesen Todesnächten hat er sich am Glauben, hat er sich an
Gott festgehalten: Gott hat Licht und Leben, Freude und Wonne in sein
Dunkel gebracht. Gott ist ihm zur Sonne des Lebens geworden. Sein
Glaube hat ihn durchgetragen durch alle diese Zeiten.
Das ist Weihnachten auch heute noch, außerhalb von Dezember
und Winter, außerhalb von rieselndem Schnee und klingenden Glöckchen,
wenn ein Mensch in seinen Todesnächten Gott ganz nahe erfahren
kann. Weihnachten für Erwachsene, das ist Gottes Nähe, die
nicht von der Jahreszeit und vom Wetter abhängig ist.
Wir singen die dritte Strophe des angefangenen Liedes.
Weihnachten be-greifen?
4. Ich sehe dich mit Freuden an / und kann mich nicht satt sehen;
/ und weil ich nun nichts weiter kann, / bleib ich anbetend stehen.
/ O dass mein Sinn ein Abgrund wär / und meine Seel ein weites
Meer, / dass ich dich möchte fassen!
Dass Gott mir nahe sein will, indem er mich von Anfang an gewollt
hat, indem er das Licht in meinen Dunkelheiten ist, das ist nichts
für meinen Verstand. Weihnachten begreifen, so Paul Gerhardt,
heißt nicht begreifen mit dem Kopf, sondern begreifen mit den
Augen und mit den Händen. Weihnachten begreifen und verstehen
wollen, d.h. dastehen wie ein Kind vor seinen Geschenken. Mit offenem
Mund und leuchtenden Augen. Weihnachten erleben wie ein Kind: Dastehen,
staunen, sich satt sehen. Wenn ich Nähe Gottes wirklich begreifen
wollte, dann müsste mein Verstand tief wie ein Abgrund und weit
wie das Meer sein.
Dazu ist es nie zu spät: an Weihnachten wieder wie ein Kind werden.
Nicht kindisch. Aber kindlich staunend.
Wir singen die vierte Strophe des angefangenen Liedes.
Weihnachten das ganze Jahr über
9. Eins aber, hoff ich, wirst du mir, / mein Heiland, nicht versagen:
/ dass ich dich möge für und für / in, bei und an mir
tragen. / So lass mich doch dein Kripplein sein; / komm, komm und
lege bei mir ein / dich und all deine Freuden.
Und am Ende geht Paul Gerhardt noch einen Schritt weiter: Wie wäre
es, wenn das ganze Jahr Weihnachten wäre? Wenn ich Gottes Nähe
immer spüren könnte, nicht nur phasenweise. Wenn Gott ganz
eng und erfahrbar an meiner Seite bliebe. Wenn ich ihn wie die Krippe
im Stall dauernd in mir tragen könnte.
Das ist ein tiefer Glaube, der letztlich kein Kirchenjahr mehr braucht:
Ich suche und spüre die Nähe Gottes – nicht nur einmal
im Jahr zu Weihnachten. Ich darf leben, so wie Christus lebt –
nicht nur einmal im Jahr zu Ostern. Er schenkt mir seinen Geist –
nicht nur einmal im Jahr zu Pfingsten. Ich bin von Herzen dankbar
für das, was ich geschenkt bekomme – nicht nur einmal im
Jahr zu Erntedank.
Weihnachten, das ist Gott hautnah. Er will mit uns zu tun haben. Mit
dir und mit mir. Diese ganz persönliche Nähe Gottes unterscheidet
uns Christen von allen anderen Weltreligionen. Wissen wir, was wir
da für einen Schatz haben? Hoffentlich! |
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