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Die Predigt |
Die Weihnachtsgeschichte
nach Johannes
Das ist die Weihnachtsgeschichte. Das ist eine Weihnachtsgeschichte.
Die Weihnachtsgeschichte nach dem Evangelisten Johannes. Überraschend
und fremd, wenn man die andere Weihnachtsgeschichte noch im Ohr hat.
Eine Weihnachtsgeschichte ohne Ochs und Esel, ohne Maria und Joseph,
ohne Engel. Eine Weihnachtsgeschichte, die – wäre sie die
einzige gewesen – keinen Stoff für Krippenspiele und für
die christliche Kunst hergegeben hätte. Eine Weihnachtsgeschichte,
die sich auf den Kern, die sich auf das Notwendigste beschränkt:
„Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns und wir sahen seine
Herrlichkeit.“
Ja, Weihnachts-„geschichte“ ist für den Evangelisten
Johannes überhaupt der falsche Ausdruck. Er erzählt keine
Geschichte. Er sagt die Menschwerdung Gottes in einem Satz. Nicht
eine Geschichte, eher ein Glaubensbekenntnis.
Der Kern der Botschaft
Für manche Christen ist das die treffendste und passendste Weihnachtsbotschaft:
Alles Störende, alles Drumherum, alles, was vom Eigentlichen
ablenkt, ist weg. Nichts Liebliches, nichts Idyllisches mehr, was
den eigentlichen Inhalt verdunkelt und überdeckt. Eine Weihnachtsbotschaft,
mit der die weihnachtlichen Geschäftemacher nichts anfangen können.
Kein Fastfood, sondern Schwarzbrot des Glaubens, an dem man lang und
geduldig kauen muss.
Eine Weihnachtsbotschaft also nicht so sehr für die Kinder, sondern
für die Erwachsenen. Eine Weihnachtsbotschaft nicht so sehr für
den Heiligabend mit den Erwartungen derer, die nicht so oft in die
Kirche kommen und das Altgewohnte hören wollen. Eine Weihnachtsbotschaft
– das hat man in der Geschichte der Kirche wohl richtig entschieden
– für den zweiten Feiertag.
Der Evangelist Johannes schrieb damals für die Gebildeten, für
die, die bereit waren, näher und tiefer nachzudenken. Damit setzt
er die andere Weihnachtsgeschichte nicht außer Kraft. Er wertet
sie nicht ab. Es spricht alles dafür, dass den Menschen, für
die er sein Evangelium schreibt, die Geschichte des Lukas bekannt
war. Und so braucht er nicht noch einmal alles zu sagen, sondern er
kann sich auf den Kern beschränken. Und er sagt es anders.
Gott wird wirklich Mensch
Für die gebildeten Ohren seiner Zeit sagt er eine Provokation:
Gott, das war für sie der Ferne, der Unberührbare. Der,
der selbst keine Gefühlsregungen kennt, und der sich auch von
menschlichen Regungen nicht erreichen lässt: weder von der Klage,
noch vom Dank. Dass er sich mit den Menschen abgeben könne, mit
menschlichen Sorgen beschäftigen, ja selbst gar Mensch werden,
das war unvorstellbar. Und um dieses Unvorstellbare noch schärfer
herauszuarbeiten, sagt Johannes nicht: Der ewige Gott wird ein Mensch.
Sondern: Gott wird Fleisch. Noch deutlicher, noch provokanter konnte
man es damals den Gebildeten nicht sagen.
Und auch bestimmte christliche Gruppen der damaligen Zeit kritisierte
er damit, die vom griechischen Denken angesteckt meinten, das mit
Jesus sei doch nicht wörtlich, sondern geistig zu verstehen:
Jesus habe nur zum Schein menschliche Gestalt angenommen, habe nur
zum Schein gegessen und getrunken, sei auch nur zum Schein gestorben,
um dann wieder in seine himmlische Herrlichkeit zurückzukehren,
sei also immer Gott gewesen und geblieben. Johannes dagegen:
Gott unterwirft sich den menschlichen Bedingungen
Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns und wir sahen seine
Herrlichkeit.
Der ewige Gott wollte nicht nur mit den Menschen zu tun haben, wurde
nicht nur einer von ihnen, sondern er wohnte und lebte unter ihnen.
Er unterwarf sich den menschlichen Bedingungen. Er wurde ganz Mensch
bis in die letzte Faser hinein. „Er wohnte unter uns" übersetzt
Luther. Wörtlich steht da: „Er zeltete unter uns".
Er hatte kein festes Haus, keine Bleibe unter den Menschen. Gott wird
Mensch als ein Obdachloser, als ein Heimatloser, als ein Asylant.
So dass nun ganz automatisch die Frage aufgeworfen wird: Wer gibt
ihm Heimat? Wer öffnet ihm die Türen?
Wer Augen dafür hatte, sagt Johannes, der sah „seine göttliche
Herrlichkeit als des eingeborenen Sohns vom Vater". Wer sich
an der Niedrigkeit nicht störte, der konnte dahinter Gott selber
entdecken. Wer sich an der Niedrigkeit nicht störte, der fand
in ihm Gottes Nähe. Wer es aber für Unsinn und für
ein Geschwätz hielt, dass der ewige Gott einer von uns wird,
der fand Gott nicht, und der findet ihn auch heute noch nicht.
Eine Botschaft gegen alle Vernunft
Noch deutlicher ein paar Verse weiter vorne:
Die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die
Seinen nahmen ihn nicht auf. Die ihn aber aufnahmen, denen gab er
macht, Gottes Kinder zu werden.
Dass Gott ein Mensch wird und dir und mir Menschen nahe kommt: an
Weihnachten sprechen das noch die allermeisten unter uns nach. An
Weihnachten lassen sie es sich gefallen, verkleidet in die das Herz
rührende Geschichte.
Doch Gott will auch für die 364 restlichen Tage unser Gott sein,
von uns erkannt, von uns angenommen werden in seiner Niedrigkeit und
Missverständlichkeit. Im Alltag wird es ernst. Da erkennt ihn
die Welt nicht, sagt Johannes. „Welt", das sind in seiner
Art zu reden, die Menschen, die Gott eigentlich nicht brauchen, die
gut ohne ihn zurechtkommen.
Die aber sich an seiner Niedrigkeit nicht stören, erleben mit
ihm Wunder über Wunder. Sie werden Gottes Kinder.
Diese Ablehnung Gottes durch viele noch einmal in anderen Worten:
Das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat's nicht
ergriffen.
Das ist eine Realität, mit der auch heute Glaubende leben müssen
wie Johannes damals: Trauer, Verwunderung, ja manchmal Zorn darüber,
wie manche Menschen den Gott, der ihnen doch das Leben schenken will,
nicht erkennen. Wie sie den, der ihrem Leben Licht verleihen will,
nicht annehmen, ja als Kinderkram ablehnen, über den sie eigentlich
schon lange erhaben sind.
Eine Weihnachtsgeschichte für Glaubende
Ohne dass es hochmütig klingen soll, denn Hochmut steht uns nicht
an: die Weihnachtsgeschichte des Johannes ist nicht eine für
die Welt, für Hinz und Kunz, sie ist eine Weihnachtsgeschichte
für die Glaubenden. Für die, wie Martin Luther sagte, die
„mit Ernst Christen sein wollen".
Deswegen steht uns Hochmut darüber nicht an, weil es nicht unser
menschliches Verdienst ist, wenn wir in diesem Jesus Gott selber erkennen
dürfen. In der ihm eigenen verschlüsselten Sprache sagt
es Johannes:
Gottes Kinder, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem
Blut noch aus dem Willen des Fleisches, noch aus dem Willen eines
Mannes, sondern von Gott geboren sind.
Wenn jemand den ewigen Gott in dem Menschen Jesus annehmen darf, Gottes
Kind sein darf, dann steht das nicht in menschlicher Macht, sondern
es ist allein Gottes Werk und Geschenk.
Nun haben wir uns Stück für Stück von hinten nach vorne
gearbeitet in diesem Abschnitt ausgehend von der Weihnachtsbotschaft
in Vers 14 „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns.“
Nun sind wir auch reif für die ersten Worte des Johannesevangeliums:
Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war
das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe
gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.
Jesus war da, bevor er da war
Die Weihnachtsbotschaft für die Erwachsenen, für die, die
tiefer nachdenken, für die griechisch Gebildeten der damaligen
Zeit.
Und nur so sind auch diese ersten Worte des Johannesevangeliums zu
verstehen: Davon handeln sie, dass der Jesus, in dem Gott ganz und
gar Mensch, ja drastisch „Fleisch" geworden ist, dass dieser
Jesus dennoch durch und durch Gott ist. Johannes sagt es mit einem
Begriff der Gebildeten seiner Zeit: „Im Anfang war das Wort."
übersetzt Luther. „Im Anfang war der Logos." steht
hier mit einem griechischen Wort. „Logos", das konnte „Wort"
heißen, aber auch „Vernunft", „Geist".
Logos, das ist Jesus Christus, schon bevor er in diese Welt kommt.
Er war schon da, als er noch nicht da war. Er war schon immer da,
lebte für menschliche Augen verborgen in Gottes Welt, und kam
dann zur Welt, zu unserer Welt.
Man braucht nur „Wort" durch Jesus Christus zu ersetzen,
dann wird das Ganze ein wenig verständlicher: „Von Anbeginn
der Welt an war Jesus Christus. Er war bei Gott, ja Gott war er. Alle
Dinge sind durch ihn gemacht."
Gott will mit den Menschen zu tun haben
So wie am Anfang hätte es bleiben können, hat einmal ein
Theologe gesagt. Gott hätte für sich bleiben können
in seiner göttlichen Herrlichkeit. Er hätte sich nicht mit
den Menschen abzugeben brauchen und hätte sich damit auch viel
Ärger erspart. Freiwillig, aus freien Stücken, ganz ohne
Zwang wollte er den Menschen nahe kommen und einer von ihnen werden.
So will er verstanden werden und so sollen wir ihn verstehen.
Diese Weihnachtsbotschaft, diese auf den Kern reduzierte Botschaft
– ohne die idyllische Geschichte außenherum – ist
für das ganze Jahr bestimmt, nicht nur für die Weihnachtstage.
Die kann man auch im Sommer hören:
Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen
seine Herrlichkeit. Die ihn aber aufnehmen, denen gibt er Macht, Gottes
Kinder zu werden. |
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