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Die Predigt |
Was die Kartoffel
mit Jesus zu tun hat
Den größten Teil meiner Kindheit habe ich in einem kleinen
Bauerndorf verbracht. Aus dieser Zeit sind mir noch viele Erinnerungen
lebendig – vor allem schöne Erinnerungen. Was ich aber
überhaupt nicht geliebt habe, und wovor ich mich durch den Verweis
auf meine Hausaufgaben am liebsten gedrückt habe, war die alljährliche
Kartoffelernte: Das dauernde Bücken. Die eintönige Arbeit.
Die langen Felder, die kein Ende nehmen wollten. Und wenn eine Reihe
zu Ende war, ging alles wieder von vorne los. Interessant waren für
ein Kind nur die Brotzeiten oder das abschließende Kartoffelfeuer.
Doch ein Bild bleibt mir deutlich im Gedächtnis haften, und deswegen
erzähle ich heute davon: Oft kam es vor, dass man inmitten dieses
Häufchens neuer Kartoffeln noch die Reste der alten Saatkartoffel
entdecken konnte. Schwarz, völlig ausgelaugt und nur noch aus
der Schale bestehend. Wie eine tote Mutter inmitten ihrer Kinder.
Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt,
bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.
Neues Leben durch das Sterben
Aus der Natur kennen wir dieses Geheimnis, dass nur durch das Sterben
und Vergehen hindurch neues Leben entstehen kann. Weizenkörner
werden in die Furche gelegt wie in ein Grab. Dadurch, dass sie keimen,
ihre ganze Kraft hergeben und vergehen, entsteht aus ihnen ein Halm,
dann eine Ähre und schließlich eine Menge neuer Körner.
Das alte Korn ist im Boden nicht mehr zu entdecken.
Hätte Jesus in unseren Breiten gelebt und damals schon die Kartoffel
gekannt, hätte er vielleicht sie zum Beispiel seiner Verkündigung
gemacht.
Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt,
bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.
Jesus, das Weizenkorn
Sich selbst hat Jesus mit diesem Weizenkorn gemeint: Er war Zeit seines
Lebens für andere da. Er war da vor allem für die Ausgestoßenen,
für die am Rande der damaligen Gesellschaft. An die Folgen für
sich hat er nicht gedacht.
Und nun in Jerusalem weiß er: Es ist soweit. Es wird zur Entscheidung
kommen. Die Austreibung der Händler und der Geldwechsler aus
dem Tempel hat das Fass zum Überlaufen gebracht. An fünf
Fingern kann er sich ausrechnen, was kommen wird. Aber er ist bereit,
das Begonnene zu Ende zu führen. Er ist bereit, seinem Einsatz
für die Menschen auch bis zum bitteren Ende treu zu bleiben.
Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt,
bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.
Sich für das Leben einsetzen
Dass es neues Leben nur gibt, wenn Menschen bereit sind, Leben einzusetzen,
Kraft und Zeit für andere herzugeben, das wissen wir auch aus
dem Alltag. Denken Sie an die Mütter, die in den schweren Zeiten
des vergangenen Jahrhunderts Kinder großgezogen haben. Wie viele
von ihnen haben dabei ihre Kraft hergegeben, manche Frauen im Kindbett
auch ihr Leben. Doch dadurch sind Kinder groß geworden und neues
Leben ist entstanden.
Oder denken Sie an die verschiedenen Berufe, wo Menschen im Dienst
des Menschen stehen: in den Krankenhäusern oder Heimen oder in
der häuslichen Pflege. Leben gibt es nur, wo Leben investiert
wird. Und manchmal führt die häusliche Pflege so weit, dass
der Pflegende am Ende selber zum Pflegefall wird.
Interesse an Jesus
20 Es waren aber einige Griechen unter denen, die heraufgekommen
waren, um anzubeten auf dem Fest. 21 Die traten zu Philippus, der
von Betsaida aus Galiläa war, und baten ihn und sprachen: Herr,
wir wollten Jesus gerne sehen.
Das Passafest hat Jesus und seine Jünger nach Jerusalem geführt.
Aus der ganzen damaligen Welt kamen die Menschen zum Tempel. Einen
Eindruck davon können wir vielleicht gewinnen, wenn wir heute
Bilder der alljährlichen Wallfahrt nach Mekka sehen. Unter den
Pilgern waren auch sog. Proselyten, Nichtjuden, die sich dem jüdischen
Glauben angeschlossen hatten, ohne ganz Juden zu werden. Wegen der
konsequenten Lebensweise oder auch, weil ihnen der Glaube an den einen
Gott sinnvoller erschien als die griechische Vielgötterei. Wie
es im griechischen Götterhimmel drunter und drüber ging,
und wer da wann mit wem ..., kennen sie vielleicht aus den antiken
Sagen.
Einige dieser nichtjüdischen Pilger möchten Jesus sehen.
Sie interessieren sich für ihn, seine Lehre, seine Person. Sicher
haben sich seine Taten wie ein Lauffeuer unter den Pilgern verbreitet.
Als Mittelsmann soll einer der Jünger, Philippus, das Treffen
arrangieren.
Und dann diese überraschende und geheimnisvolle Antwort:
Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt,
bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.
Was hat diese Antwort mit der Bitte, ihn sehen zu dürfen, zu
tun? Vielleicht ist da eine Brücke:
Es ist soweit, sagt Jesus. Es wird ernst. Jetzt zählt meine Person
nicht mehr, sondern nur noch meine Aufgabe an den Menschen, nur noch
meine Sendung. Ich bin nicht zu besichtigen, so wie man als griechischer
Tourist die jüdischen Heiligtümer besichtigt. Wer sich wirklich
und ehrlich für mich interessiert, der findet mich nur, wenn
er mir auf meinem Weg nachfolgt. In seinen Worten:
26 Wer mir dienen will, der folge mir nach.
Sein Kreuz auf sich nehmen?
Dem Gekreuzigten, der sich nicht vor dem Leiden drückt und der
sein Leben nicht krampfhaft festhält, nachfolgen. Wie könnte
das aussehen?
Ich meine nicht, dass es darum geht, ihn einfach nachahmen. Es gibt
Christen im fernen Osten, auf den Philippinen z.B., die sich bei Prozessionen
mit Händen und Füßen an Kreuze nageln lassen, um dem
Leiden Jesu ganz nahe zu sein. Oder amerikanische Christen ziehen
in der Karwoche durch Jerusalem und spielen den Kreuzweg nach: mit
Kreuz, mit Dornenkrone, mit Peitschen und Legionärskostümen,
mit künstlichem Blut …
Ich denke, so meint es das Neue Testament nicht. Jesu Sterben und
sein Eintreten für die Menschen waren einzigartig. Sie können
nicht nachgeahmt oder wiederholt werden.
Auch die Beispiele aus der Geschichte, wo Menschen wirklich stellvertretend
für andere ihr Leben gelassen haben, sind bewundernswert, aber
doch nur unnachahmliche Einzelfälle. Ich denke z.B. an den katholischen
Pater Maximilian Kolbe, der 1941 im KZ Auschwitz anstelle eines Familienvaters
in den Tod ging.
Sich auf die Seite des Lebens stellen
26 Wer mir dienen will, der folge mir nach; und wo ich bin, da
soll mein Diener auch sein.
Vielleicht heißt Kreuzesnachfolge eher, dass wir aktiv auf der
Seite derer stehe, die in unseren Fürbitten vorkommen: auf der
Seite der Armen, der Obdachlosen, der Arbeitslosen, der perspektivlosen
Jugendlichen, der Einsamen, der Traurigen, der Kranken, der Pflegebedürftigen,
der Sterbenden.
Würde Jesus vielleicht uns ähnlich antworten wie im Blick
auf die Griechen damals: das alles zur Kenntnis nehmen, darüber
zu jammern und ein schönes Gebet dazu zu formulieren, das reicht
nicht. Schaut, wo ihr gebraucht werdet, wo ihr nicht mehr länger
vorbeisehen dürft, wo ihr euch engagieren müsst.
Sein Leben hassen?
Und dann dieser so hart klingende Satz:
25 Wer sein Leben lieb hat, der wird's verlieren; und wer sein
Leben auf dieser Welt hasst, der wird's erhalten zum ewigen Leben.
Wenn man die Erzählungen über Jesus anschaut, sieht man:
Das kann keine allgemeingültige Aussage sein. Wie könnte
der Jesus, der uns überall als der Liebhaber des Lebens beschrieben
wird, der von seinen Kritikern als „Fresser und Weinsäufer"
beschrieben wird, - wie könnte dieser Jesus aufrufen, sein Leben,
sein von Gott, dem Schöpfer geschenktes Leben, zu hassen? Wenn
heute jemand käme und sagen würde: „Ich hasse mein
Leben." Dann dürfte man ihn nicht als konsequenten Nachfolger
Jesu loben, sondern man müsste ihn umgehend zum Seelsorger und
zum Arzt schicken.
25 Wer sein Leben lieb hat, der wird's verlieren; wer sein Leben
auf dieser Welt hasst, der wird's erhalten zum ewigen Leben.
Wo Martin Luther hier „hassen" übersetzt hat, –
„wer sein Leben hasst" – steht im Griechischen ein
Wort, das allgemein bedeutet „gering achten", „in
der Reihenfolge der Werte weiter unten einordnen".
Und zum anderen: Im Johannesevangelium ist „Leben" und
„Leben" zweierlei: Es gibt das äußere, das irdische,
das biologische Leben. Und es gibt Leben in einem tiefen Sinn: erfülltes
Leben, gelingendes Leben, im Johannesevangelium als „ewiges
Leben" bezeichnet. „Ewiges Leben" also nicht zeitlich
verstanden als Leben ohne Ende oder Leben am Ende erst nach dem Tod.
Sondern gelingendes, sinnvolles Leben schon hier und heute. Insofern
aber auch ewig im zeitlichen Sinne, dass es ein Wert und ein Schatz
ist, dem auch der Tod nichts anhaben kann.
Freier übersetzt also dieser Satz mit meinen Worten: „Wem
das äußere Leben, das äußere Wohlergehen wichtiger
ist als alles andere, wer nur dafür sorgt, dass es ihm selbst
gut geht, der kann darüber das eigentliche Leben verlieren. Wer
aber äußeres Leben und Wohlergehen nicht als das Wichtigste
ansieht, der kann darüber das eigentliche, das gelingende Leben
finden."
Ins Leben investieren
Zurück zum Ausgangsbild von der Kartoffel und vom Samenkorn:
Sein Leben und seine Kraft krampfhaft festhalten und für sich
behalten, das ist wie eine Saatkartoffel, die nicht in die Erde gelegt
wird. Sie bliebe zwar am Leben, aber am Ende würde sie nutzlos
vertrocknen und ihr Dasein verfehlen. Genauso auch ein Saatkorn.
Aber ein tröstliches Geheimnis ist da doch: Man hat Samenkörner
gefunden in ägyptischen Gräbern, die haben jetzt nach 3.000
Jahren noch zu keimen begonnen.
Heißt das nicht, dass es bei keinem Menschen und in keinem Leben
zu spät ist, dieses Hergeben und Loslassen nach Jesu Vorbild
zu lernen und zu beginnen? Wer sich auf diesen Weg macht, wer bereit
ist, herzugeben und loszulassen, an Kraft, an Zeit, an Liebe, der
erlebt dann auch dieses Geheimnis, wie er dadurch nicht ärmer,
sondern reicher wird. Gott sei Dank. |
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