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predigt[e].de

Die Abschiedspredigt vom 4. Oktober 2009 (Erntedankfest):
»Abschied nehmen — dankbar loslassen«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging das Erntedankfest. Sein Thema ist die Dankbarkeit. Evangelium (1. Lesung) und Predigttext (s.u.) war das Gleichnis vom reichen Kornbauern und Epistel (2. Lesung) der Aufruf des Paulus, fröhlich zu geben. Die Predigt war gleichzeitig Abschiedspredigt von Pfarrer Thein.
Predigttext
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Der Predigttext
15 Jesus sprach zu ihnen: Seht zu und hütet euch vor aller Habgier; denn niemand lebt davon, dass er viele Güter hat.
16 Und er sagte ihnen ein Gleichnis und sprach: Es war ein reicher Mensch, dessen Feld hatte gut getragen. 17 Und er dachte bei sich selbst und sprach: Was soll ich tun? Ich habe nichts, wohin ich meine Früchte sammle. 18 Und sprach: Das will ich tun: ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen, und will darin sammeln all mein Korn und meine Vorräte19 und will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat für viele Jahre; habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut! 20 Aber Gott sprach zu ihm: Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wem wird dann gehören, was du angehäuft hast? 21 So geht es dem, der sich Schätze sammelt und ist nicht reich bei Gott. (Lukas 12,15-21)
Predigt
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Die Predigt
Was sich in einem Haus alles so ansammelt!

„Niemand lebt davon, dass er viele Güter hat.“ Wie viele Güter wir haben - was sich im Laufe von 13 Jahren alles angesammelt hat, haben wir beim Umzug gemerkt. Die meisten kennen das, weil in der Saas fast alle in ihrem eigenen Haus wohnen: Wer einen Dachboden hat und einen Keller, der sammelt, denn er hat Platz und ist nicht zum Aussortieren gezwungen. Vielleicht könnte man das oder jenes doch noch einmal brauchen, auch wenn man es zehn Jahre nicht in der Hand hatte, oder gar nicht mehr wusste, dass man es besitzt. Oder die vielen Bücher: Im Ruhestand wird man sie dann ganz bestimmt lesen. Und wer weiß, ob sich nicht doch die Enkel einmal dafür interessieren. Jede Schraube wird aufgehoben, jeder Nagel sorgsam gerade geklopft: Man könnte sie ja vielleicht doch noch einmal brauchen. Und hin und wieder kommt das ja sogar vor.

Was brauchen wir wirklich?

Unser Umzug hat auch bedeutet, in ein kleineres Haus zu ziehen. Wir haben - ich habe das nicht als Not, nicht als Einschränkung, sondern bewusst als Chance angesehen. Als Chance, bei jedem Stück, das man in die Hand nimmt, zu überlegen: Brauchst du das wirklich? Wie lange hattest du es nicht mehr in der Hand? Nicht nur vom Platz her fragen, sondern bewusst geistlich: Wie viel brauchst du überhaupt? Was ist wirklich zum Leben nötig? „Niemand lebt davon, dass er viele Güter hat.“

Und dann kommt ja noch dazu, dass es nicht nur um die Güter, um die Dinge, um die Sachen geht, die man in die Hand nehmen kann. Man nimmt ja nicht nur Sachen mit, sondern Erlebnisse, Erfahrungen, Freundschaften, Gelungenes, Misslungenes, Worte, Blicke, Umarmungen, Segensworte usw.

Das Entscheidende ist geschenkt

Jesus lenkt mit seinem Gleichnis aber nicht nur die Aufmerksamkeit auf das, was im Leben wirklich wichtig ist. Er macht auch deutlich, dass die entscheidenden Dinge geschenkt sind.
Es war ein reicher Mensch, dessen Feld hatte gut getragen. 17 Und er dachte bei sich selbst und sprach: Was soll ich tun? Ich habe nichts, wohin ich meine Früchte sammle.
„Dessen Feld hatte gut getragen.“ Wie sieht es aus mit dem Feld, das ich – das wir hier zu bestellen hatten? Ob es gut getragen hat, und wie viel es getragen hat, mögen lieber andere beurteilen. Und wenn heute dann im Anschluss verschiedene von diesen Früchten erzählen, bin ich auch durchaus dankbar. Aber ich möchte keinesfalls der Versuchung des Kornbauern aus dem Gleichnis verfallen und mich dann selbstzufrieden und stolz zurücklehnen.
Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat für viele Jahre; habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut!
Nein, ich will ganz bewusst dankbar sein für alles, was geglückt ist und es als Geschenk ansehen. Ein Wort Dietrich Bonhoeffer aus seinen Briefen aus dem Gefängnis ist mir persönlich sehr wichtig. Eingesperrt und nur mit dem Nötigsten versorgt, war er gezwungen nachzudenken, worauf es wirklich ankommt. So kann man es im Gesangbuch lesen:
„Im normalen Leben wird es einem oft gar nicht bewusst, dass der Mensch überhaupt unendlich viel mehr empfängt, als er gibt, und dass Dankbarkeit das Leben erst reich macht. Man überschätzt recht leicht das eigene Wirken und Tun in seiner Wichtigkeit gegenüber dem, was man nur durch andere geworden ist.“
Ja, ich bin dankbar: Ich habe in dieser Gemeinde, in dieser Siedlung viel empfangen. Ich nehme nicht nur Dinge mit, sondern bleibende Erinnerungen; Lebensspuren, die sich eingegraben haben.
Sie gehören – und das soll ihre Bedeutung nicht schmälern – zu einer größeren Schatzkiste, die sich schon vorher gefüllt hat: Im Elternhaus, in der Kindheit, in der Schule, im Studium, im Vikariat und auch in der vorhergehenden Gemeinde.

Wir sind reich

Aber genug des Nachdenkens über mich selbst. Das Gleichnis Jesu geht uns alle an. Das ist der tiefe Sinn des Erntedankfestes: Nachdenken und sich vergewissern, wie viel einem in diesem vergangenen Jahr wieder geschenkt wurde. Es nicht gedankenlos hinnehmen und sich selbstzufrieden zurücklehnen.
Es war ein reicher Mensch, dessen Feld hatte gut getragen.
Ein reicher Mensch, Mensch ganz allgemein, nicht nur ein reicher Mann, nicht nur dieser Kornbauer. Der reiche Mensch, dessen Feld gut getragen hat, das sind du und ich.
Erntedank fragt: Wo hat dein Lebensfeld in der letzten Zeit, in diesem vergangenen Jahr, oder in deinem bisherigen Leben gut getragen. Welche Früchte durftest du ernten? Früchte in einem umfassenden Sinn:
Die Zeiten sind vorbei, wo fast alle noch ihre Früchte im wörtlichen Sinn, ihre Feld- und Gartenfrüchte in die Kirche tragen können. Gut, so lange ich da war, hat es kein Jahr gegeben, wo die Mesnerin nicht gesagt: So viele wie heuer war es noch nie. Aber die Abteilung mit den gekauften Gütern und vor allem auch die Geldspenden, sie nehmen deutlich zu.
Aber haben Sie heute im Herzen auch das andere mitgebracht, was man nicht nach vorne legen kann? In den Familiengottesdiensten haben wir oft versucht, auch das nicht zu vergessen und haben deswegen Symbole dazu gelegt: Ein Herz für die Liebe, die wir erfahren haben. Eine Sonne für die Wärme, die uns andere geschenkt haben. Eine Uhr für die Zeit, die andere für uns übrig hatten. Ein großes Ohr für die, die uns ihr Ohr geliehen haben. Hände für alle tätige Hilfe, die wir erfahren haben. Einen Arztkoffer für die Gesundheit. Und so weiter.

Ist er ein Narr, weil er vorsorgt?

Ein Narr ist der reiche Kornbauer, sagt Jesus. Warum? War er nicht im Gegenteil klug? Muss man nicht etwas zurücklegen, wenn es einem gut geht? Muss man nicht vorausschauend denken und handeln? Hat nicht auch Josef in Ägypten dem Pharao geraten, in den sieben fetten Jahren vorzusorgen für die mageren Jahre? Hat nicht auch unsere Landeskirche in den guten Jahren, die wir vor der gegenwärtigen Krise hatten, bewusst zurückgelegt, damit Pfarrhäuser wie das unsere saniert werden können, damit die Altersversorgung gesichert werden kann, damit weniger als geplant bei der Einstellung von jungen Pfarrerinnen und Pfarrern gekürzt werden muss?
Ja, wenn man Verantwortung für eine Familie hat, wenn man als Politiker Verantwortung für eine Stadt oder ein Land hat, wenn man als Arbeitgeber Verantwortung für sein Personal hat, darf man, soll man, muss man planen und ist kein Narr.
Und in diesem Sinne war auch der vorausschauende Kornbauer kein Narr, sondern durchaus klug, und sein Verhalten lobenswert. Nein, das war es:
Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat für viele Jahre; habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut!

Die Selbstzufriedenheit des Narren

Die Selbstzufriedenheit, die da zum Ausdruck kommt. Jetzt hast du ausgesorgt. Was will dir jetzt noch passieren? Dein Haus ist bezahlt. Deine Rente reicht. Jetzt kannst du Gott einen guten Mann sein lassen.
20 Aber Gott sprach zu ihm: Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wem wird dann gehören, was du angehäuft hast? So geht es dem, der sich Schätze sammelt und ist nicht reich in Gottes Augen.
Eine harte Botschaft: Deine Seele wird man von dir fordern. Genauer übersetzt: Dein Leben. Dein Leben kann der, der es dir geschenkt hat, ganz überraschend über Nacht von dir zurückfordern.
Hart und unverblümt, aber doch bekannt und geläufig. Nichts anderes, als wenn man im Alltag sagt: Das Totenhemd hat keine Taschen. Oder: Du wirst einmal nichts mitnehmen. Hauptsache, man redet in diesem Moment nicht nur von anderen, sondern auch von sich selbst.
Nicht zum Ent-mutigen ist diese Botschaft aus meiner Sicht da, sondern zum Er-mutigen:
Nicht: Es ist ja doch alles umsonst. Sondern: Heute noch kannst du, darfst du umdenken. Heute am Erntedankfest ist der erste Tag vom Rest deines Lebens. Heute am Erntedankfest hast du es in der Hand nachzudenken, was wirklich wichtig ist. Die Schatzkiste deines Lebens öffnen, dankbar und kritisch hineinschauen, entrümpeln, wo es nötig ist, und dann mehr von den Dingen sammeln, auf die es wirklich ankommt.

Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de