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Die Predigt |
Was sich in einem
Haus alles so ansammelt!
„Niemand lebt davon, dass er viele Güter hat.“ Wie
viele Güter wir haben - was sich im Laufe von 13 Jahren alles
angesammelt hat, haben wir beim Umzug gemerkt. Die meisten kennen
das, weil in der Saas fast alle in ihrem eigenen Haus wohnen: Wer
einen Dachboden hat und einen Keller, der sammelt, denn er hat Platz
und ist nicht zum Aussortieren gezwungen. Vielleicht könnte man
das oder jenes doch noch einmal brauchen, auch wenn man es zehn Jahre
nicht in der Hand hatte, oder gar nicht mehr wusste, dass man es besitzt.
Oder die vielen Bücher: Im Ruhestand wird man sie dann ganz bestimmt
lesen. Und wer weiß, ob sich nicht doch die Enkel einmal dafür
interessieren. Jede Schraube wird aufgehoben, jeder Nagel sorgsam
gerade geklopft: Man könnte sie ja vielleicht doch noch einmal
brauchen. Und hin und wieder kommt das ja sogar vor.
Was brauchen wir wirklich?
Unser Umzug hat auch bedeutet, in ein kleineres Haus zu ziehen. Wir
haben - ich habe das nicht als Not, nicht als Einschränkung,
sondern bewusst als Chance angesehen. Als Chance, bei jedem Stück,
das man in die Hand nimmt, zu überlegen: Brauchst du das wirklich?
Wie lange hattest du es nicht mehr in der Hand? Nicht nur vom Platz
her fragen, sondern bewusst geistlich: Wie viel brauchst du überhaupt?
Was ist wirklich zum Leben nötig? „Niemand lebt davon,
dass er viele Güter hat.“
Und dann kommt ja noch dazu, dass es nicht nur um die Güter,
um die Dinge, um die Sachen geht, die man in die Hand nehmen kann.
Man nimmt ja nicht nur Sachen mit, sondern Erlebnisse, Erfahrungen,
Freundschaften, Gelungenes, Misslungenes, Worte, Blicke, Umarmungen,
Segensworte usw.
Das Entscheidende ist geschenkt
Jesus lenkt mit seinem Gleichnis aber nicht nur die Aufmerksamkeit
auf das, was im Leben wirklich wichtig ist. Er macht auch deutlich,
dass die entscheidenden Dinge geschenkt sind.
Es war ein reicher Mensch, dessen Feld hatte gut getragen. 17
Und er dachte bei sich selbst und sprach: Was soll ich tun? Ich habe
nichts, wohin ich meine Früchte sammle.
„Dessen Feld hatte gut getragen.“ Wie sieht es aus mit
dem Feld, das ich – das wir hier zu bestellen hatten? Ob es
gut getragen hat, und wie viel es getragen hat, mögen lieber
andere beurteilen. Und wenn heute dann im Anschluss verschiedene von
diesen Früchten erzählen, bin ich auch durchaus dankbar.
Aber ich möchte keinesfalls der Versuchung des Kornbauern aus
dem Gleichnis verfallen und mich dann selbstzufrieden und stolz zurücklehnen.
Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat für viele
Jahre; habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut!
Nein, ich will ganz bewusst dankbar sein für alles, was geglückt
ist und es als Geschenk ansehen. Ein Wort Dietrich Bonhoeffer aus
seinen Briefen aus dem Gefängnis ist mir persönlich sehr
wichtig. Eingesperrt und nur mit dem Nötigsten versorgt, war
er gezwungen nachzudenken, worauf es wirklich ankommt. So kann man
es im Gesangbuch lesen:
„Im normalen Leben wird es einem oft gar nicht bewusst,
dass der Mensch überhaupt unendlich viel mehr empfängt,
als er gibt, und dass Dankbarkeit das Leben erst reich macht. Man
überschätzt recht leicht das eigene Wirken und Tun in seiner
Wichtigkeit gegenüber dem, was man nur durch andere geworden
ist.“
Ja, ich bin dankbar: Ich habe in dieser Gemeinde, in dieser Siedlung
viel empfangen. Ich nehme nicht nur Dinge mit, sondern bleibende Erinnerungen;
Lebensspuren, die sich eingegraben haben.
Sie gehören – und das soll ihre Bedeutung nicht schmälern
– zu einer größeren Schatzkiste, die sich schon vorher
gefüllt hat: Im Elternhaus, in der Kindheit, in der Schule, im
Studium, im Vikariat und auch in der vorhergehenden Gemeinde.
Wir sind reich
Aber genug des Nachdenkens über mich selbst. Das Gleichnis Jesu
geht uns alle an. Das ist der tiefe Sinn des Erntedankfestes: Nachdenken
und sich vergewissern, wie viel einem in diesem vergangenen Jahr wieder
geschenkt wurde. Es nicht gedankenlos hinnehmen und sich selbstzufrieden
zurücklehnen.
Es war ein reicher Mensch, dessen Feld hatte gut getragen.
Ein reicher Mensch, Mensch ganz allgemein, nicht nur ein reicher Mann,
nicht nur dieser Kornbauer. Der reiche Mensch, dessen Feld gut getragen
hat, das sind du und ich.
Erntedank fragt: Wo hat dein Lebensfeld in der letzten Zeit, in diesem
vergangenen Jahr, oder in deinem bisherigen Leben gut getragen. Welche
Früchte durftest du ernten? Früchte in einem umfassenden
Sinn:
Die Zeiten sind vorbei, wo fast alle noch ihre Früchte im wörtlichen
Sinn, ihre Feld- und Gartenfrüchte in die Kirche tragen können.
Gut, so lange ich da war, hat es kein Jahr gegeben, wo die Mesnerin
nicht gesagt: So viele wie heuer war es noch nie. Aber die Abteilung
mit den gekauften Gütern und vor allem auch die Geldspenden,
sie nehmen deutlich zu.
Aber haben Sie heute im Herzen auch das andere mitgebracht, was man
nicht nach vorne legen kann? In den Familiengottesdiensten haben wir
oft versucht, auch das nicht zu vergessen und haben deswegen Symbole
dazu gelegt: Ein Herz für die Liebe, die wir erfahren haben.
Eine Sonne für die Wärme, die uns andere geschenkt haben.
Eine Uhr für die Zeit, die andere für uns übrig hatten.
Ein großes Ohr für die, die uns ihr Ohr geliehen haben.
Hände für alle tätige Hilfe, die wir erfahren haben.
Einen Arztkoffer für die Gesundheit. Und so weiter.
Ist er ein Narr, weil er vorsorgt?
Ein Narr ist der reiche Kornbauer, sagt Jesus. Warum? War er nicht
im Gegenteil klug? Muss man nicht etwas zurücklegen, wenn es
einem gut geht? Muss man nicht vorausschauend denken und handeln?
Hat nicht auch Josef in Ägypten dem Pharao geraten, in den sieben
fetten Jahren vorzusorgen für die mageren Jahre? Hat nicht auch
unsere Landeskirche in den guten Jahren, die wir vor der gegenwärtigen
Krise hatten, bewusst zurückgelegt, damit Pfarrhäuser wie
das unsere saniert werden können, damit die Altersversorgung
gesichert werden kann, damit weniger als geplant bei der Einstellung
von jungen Pfarrerinnen und Pfarrern gekürzt werden muss?
Ja, wenn man Verantwortung für eine Familie hat, wenn man als
Politiker Verantwortung für eine Stadt oder ein Land hat, wenn
man als Arbeitgeber Verantwortung für sein Personal hat, darf
man, soll man, muss man planen und ist kein Narr.
Und in diesem Sinne war auch der vorausschauende Kornbauer kein Narr,
sondern durchaus klug, und sein Verhalten lobenswert. Nein, das war
es:
Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat für viele Jahre;
habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut!
Die Selbstzufriedenheit des Narren
Die Selbstzufriedenheit, die da zum Ausdruck kommt. Jetzt hast du
ausgesorgt. Was will dir jetzt noch passieren? Dein Haus ist bezahlt.
Deine Rente reicht. Jetzt kannst du Gott einen guten Mann sein lassen.
20 Aber Gott sprach zu ihm: Du Narr! Diese Nacht wird man deine
Seele von dir fordern; und wem wird dann gehören, was du angehäuft
hast? So geht es dem, der sich Schätze sammelt und ist nicht
reich in Gottes Augen.
Eine harte Botschaft: Deine Seele wird man von dir fordern. Genauer
übersetzt: Dein Leben. Dein Leben kann der, der es dir geschenkt
hat, ganz überraschend über Nacht von dir zurückfordern.
Hart und unverblümt, aber doch bekannt und geläufig. Nichts
anderes, als wenn man im Alltag sagt: Das Totenhemd hat keine Taschen.
Oder: Du wirst einmal nichts mitnehmen. Hauptsache, man redet in diesem
Moment nicht nur von anderen, sondern auch von sich selbst.
Nicht zum Ent-mutigen ist diese Botschaft aus meiner Sicht da, sondern
zum Er-mutigen:
Nicht: Es ist ja doch alles umsonst. Sondern: Heute noch kannst du,
darfst du umdenken. Heute am Erntedankfest ist der erste Tag vom Rest
deines Lebens. Heute am Erntedankfest hast du es in der Hand nachzudenken,
was wirklich wichtig ist. Die Schatzkiste deines Lebens öffnen,
dankbar und kritisch hineinschauen, entrümpeln, wo es nötig
ist, und dann mehr von den Dingen sammeln, auf die es wirklich ankommt. |
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