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predigt[e].de

Die Predigt vom 7. Dezember 2003 (2. Advent):
»Gott kommt! Heute? Zu mir?«

Kirchenjahr
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Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging den 2. Sonntag im Advent. Sein Thema ist das endgültige, zweite Kommen Gottes am Ende der Zeiten. Evangelium dieses Sonntags sind Jesu Worte von der Nähe des Gottesreichs aus Lukas 20. Epistel und Predigttext (s.u.) waren die folgenden Verse aus Jakobus 5:
Predigttext
Sie können den Predigtext auch online nachlesen. Weitere Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.
Der Predigttext
7 So seid nun geduldig, liebe Schwestern und Brüder, bis zum Kommen des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen. 8 Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe.
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Die Predigt

Adventskalender für Erwachsene?

Sie müssen jetzt nicht laut antworten, aber Sie dürfen es im Stillen tun: Wer von Ihnen hat einen Adventskalender, wo er Tag für Tag neugierig und erwartungsvoll sein Türchen öffnet? Ja, vielleicht von den Kindern oder
Enkeln geschenkt, die einem eine Freude machen wollen. Aber ein selbst gekaufter Kalender? Vermute ich richtig, dass die meisten Erwachsenen keinen solchen mehr haben? Er soll ja das ungeduldige Warten auf Weihnachten erleichtern oder auch steigern. Wir brauchen das offenbar nicht mehr. Wir gönnen ihn den Kindern, aber selber stehen wir drüber. Ich schließe mich da ganz mit ein.

Warten auf das Christkind?

Ich frage weiter: Wie steht es überhaupt mit unserem ungeduldigen Warten in der Adventszeit, mit unserem Warten auf Weihnachten? Kinder fragen schon lange vorher: Wann ist denn endlich Weihnachten? Schüler fragen: Wann kommen denn endlich die Ferien? Und die Ungeduld wird von Mal zu Mal größer.
Aber wir Großen, wir Älteren: Ungeduldig auf Weihnachten warten? Auf das Christkind? Auf Gott, der uns besuchen und beschenken will? ... Brauchen wir das Christkind nicht mehr? Brauchen wir Gott nicht mehr? ...

Wenn Advent nicht im Advent ist

Doch doch! Aber vielleicht nicht unbedingt dann, wenn es im Advent im Kalender steht. Warten auf Gott. Ungeduldig warten auf Erlösung, auf einen guten Ausgang: Vielleicht, wenn jemand krank im Bett liegt oder gar im
Krankenhaus. Wenn jemand auf eine wichtige Entscheidung wartet, die er nicht beschleunigen kann. Wenn jemand einen Operationstermin vor
sich hat, und es ist noch lange hin. Wenn die Not eines Menschen, den man pflegt, unerträglich wird, und man nur noch hilflos zusehen kann. ...

Advent damals

Die Worte unseres heutigen Predigttextes sind an adventliche Menschen, an ungeduldig wartende Menschen gerichtet:
7 So seid nun geduldig, liebe Schwestern und Brüder, bis zum Kommen
des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und
ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen. 8
Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des
Herrn ist nahe.

Diese Worte aus dem Jakobusbrief entführen uns gedanklich in die Zeit am Ende des 1. Jahrhunderts nach Christus, also ungefähr 60 Jahre nach Jesus und 40 Jahre nach dem Wirken des Apostels Paulus. Die Worte des Briefes
lassen uns ein wenig hinter die Kulissen schauen, wie damals die Christen gelebt haben, wie sie gehofft und geglaubt haben:

Vom Ausbleiben Gottes


Offensichtlich bereitet es ihnen eine große seelische Not und auch eine Glaubensnot, dass die versprochene und sehnsüchtig erwartete Wiederkunft Jesu – sein zweites Kommen, sein zweiter Advent – sich so lang hinauszögerte. Das Warten hat sie ungeduldig, mürbe und kleinmütig
gemacht. Sie haben die Worte Jesu vor zwei Generationen im Ohr:
Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist herbeigekommen. Tut Buße
und glaubt an das Evangelium!
(Matthäus 4,17) Oder: Wahrlich, ich sage euch: Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis dies alles geschieht. (Matthäus 24,34)
Sie haben die Worte des Paulus im Ohr: Unser Heil ist jetzt näher als zu der Zeit, da wir zum Glauben gekommen sind. Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbeigekommen. (Römer 13,11-12)

60 Jahre, zwei Generationen. Es ist nicht ganz vergleichbar: Aber stellen Sie sich vor, nach dem 2. Weltkrieg hätte man den Menschen Hoffnung auf einen Wiederaufbau gemacht. Und bis jetzt wäre es noch nicht richtig vorangegangen!
Ist es ein Wunder, dass sich viele Christen am Ende des 1. Jhd. gefragt haben: "Haben wir mit unserem Glauben an diesen Jesus Christus
vielleicht gar auf das falsche Pferd gesetzt. Ist all unser Glauben und Hoffen umsonst?"
Vielleicht mussten sie sich auch das Gespött anderer anhören, wie es uns aus einem anderen Brief aus dieser späteren Zeit, dem 2. Petrusbrief, berichtet wird: Ihr sollt vor allem wissen, dass in den letzten Tagen Spötter kommen werden, die ihren Spott treiben, ihren eigenen Begierden nachgehen und sagen: Wo bleibt die Verheißung seines Kommens? Denn nachdem die
Väter entschlafen sind, bleibt es alles, wie es von Anfang der Schöpfung gewesen ist.
(2. Petrus 3,3-4)

Wir brauchen einen langen Atem

Die einen, so scheint es, hatten deswegen schon lange resigniert. Die anderen wollten offenbar in ihrer Ungeduld dem Kommen der Gerechtigkeit ein wenig nachhelfen. Wenn man in den Jakobsbrief hinein schaut, kann man lesen, dass die Nichtchristen in ihrer Umgebung sehr selbstsicher gelebt haben und dass es auch viele Reiche gegeben hat, die die Armen vergessen
haben. Das alte Leiden: Denen, die mit Gott schon lange abgeschlossen haben, scheint es gut zu gehen. Und die noch geduldig auf ihn warten,
scheinen leer auszugehen.


"Gemach, gemach!" sagt Jakobus sowohl denen, die gerne dreinschlagen würden, als auch denen, die resignieren. "Ihr wisst doch, wie es in der
Natur zu geht, und dass es Dinge gibt, da kann man nur warten:"
Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei
geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen.

Ein Bauer, der gesät hat, kann weiter nichts tun als warten. Die Jahreszeiten sind in Israel ein wenig anders als bei uns, und Wasser ist dort ein noch kostbareres Gut: Mit Frühregen und Spätregen sind die beiden Regenperioden November/Dezember und März/April gemeint, die zum einen für die Aussaat und zum andern für das Wachstum unentbehrlich sind. Einfach gesagt: Ein Bauer kann es nicht regnen lassen. Er kann die Sonne nicht scheinen lassen. Er kann nicht das Rad des Jahreskreislaufes ankurbeln und auch nicht den Halmen durch Ziehen oder Zureden beim
Wachsen helfen. Wenn er das Seine getan hat, dann muss er warten. Und genauso müssen auch Christen warten und einen langen Atem haben, bis
sich ihre Hoffnungen erfüllen.

Advent damals und heute

Adventliche Menschen werden uns im Jakobsbrief geschildert. Menschen, die ungeduldig auf das Kommen ihres Herrn warten wie die kleinen Kinder heute. Menschen, die vor dem Kommen ihres Herrn keine Angst haben, sondern sich endlich Erlösung und Gerechtigkeit davon erwarten. Ihr ganzes Christenleben war Advent.
Wenn sie geahnt hätten, wie wir Advent feiern: vier Wochen im Jahr und weil es gerade im Kalender steht – sie hätten wohl nur den Kopf geschüttelt.

Advent. Gott ist nahe. Was heißt das nun noch einmal 2000 Jahr später?
Advent. Adventskranz. Kerzen. Stille Zeit. Bekannte Lieder. Vorweihnachtliche Feiern. Ein paar Schneeflöckchen. Alles schön und gut.
Aber: Advent = Gott kommt zu dir? Wie stellen wir uns das vor? Was erwarten wir wirklich? Erwarten wir überhaupt noch etwas?

Advent nicht nur im Advent

Ich kann mir verschiedene Möglichkeiten vorstellen:

Es gibt Christen – nicht nur in Ländern, wo sie verfolgt werden – die halten die Hoffnung auf Gottes sichtbares und majestätisches Kommen möglichst bald und noch zu ihren Lebzeiten ungeduldig offen. "Komm doch, Gott, und schaffe endlich Gerechtigkeit!"

"Gott kommt." Das heißt für andere: "Gott, komm doch endlich zu mir und steh mir bei in meiner Krankheit, meiner Not, meinen Sorgen, meinen Schmerzen."

Oder: "Komm doch, Gott, und schau dir das Elend meiner Frau, Mutter, Tante oder Oma an, wie sie da liegt, und es ist schon lange kein Leben mehr!"


Oder: "Komm doch, Gott! Es ist Zeit. Hol mich endlich!"

7 So seid nun geduldig, liebe Schwestern und Brüder, bis zum Kommen
des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und
ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen. 8
Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des
Herrn ist nahe.

Gebt die Hoffnung nicht auf. Habt einen langen Atem. Wisst, dass alles seine Zeit braucht und in Gottes Hand liegt. Und vertraut darauf: Er hat euch noch nicht vergessen. Schaut euch die Gelassenheit des Bauern an, der weiß: Es wird schon werden.

Advent hier und heute

Gott kommt. Das kann für die, die gerade keine Not leiden und ungeduldig hoffen, bedeuten: Hier und jetzt will dir Gott still und unauffällig in deinem Alltag begegnen, vielleicht in einem Menschen, der dich braucht. Ein Mensch, an dem du über der Vielzahl deiner Vorbereitungen nicht vorbeirennen sollst. Der ein wenig Zeit braucht, ein wenig Liebe, ein wenig Ansprache und Aufmerksamkeit.

Hier und jetzt will dir Gott still und unauffällig in deinem Alltag begegnen, dir und nur dir, vielleicht im Abendmahl, in einem Gottesdienst, in einer stillen Stunde, beim Singen eines Liedes, beim Betrachten einer Kerze. Vielleicht ist er dir näher als du denkst, wenn du dich der Hektik verschließt und
Ruhe, Gelassenheit und Langsamkeit wiederfindest. Gott kommt zu dir. Vielleicht gerade heute.

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de