Gegen
den Strom schwimmen
Es
gab einmal ein pfiffiges Wahlplakat. (Die Partei nenne ich nicht,
damit ich nicht aus Versehen mit ihr in Verbindung gebracht werde.)
Auf dem Plakat waren eine ganze Reihe Fische zu sehen, verschiedenfarbige
Fische in schönem blauem Wasser. Rote Fische vor allem, aber
auch grüngetupfte und schwarzgetupfte. Und alle schwimmen sie
brav in dieselbe Richtung. Ein Fisch aber – er war gelb –
schwimmt genau in die andere Richtung. Und daneben stand: „Einer
muss es ja tun.“
Eigentlich müsste dieser Fisch ein sattes und leuchtendes Kirchenviolett
haben: Gegen den Strom schwimmen. Nicht überall mitmachen.
Nicht
jeder Mode hinterher laufen. Nicht dauernd braver Ja-Sager sein.
Das hat die Christen, das hat die christliche Kirche schon immer
ausgezeichnet. Ist es auch heute noch so? Ist es auch bei uns so?
Darüber wäre nachzudenken.
Auch Pfarrer müssen sich die Frage immer wieder stellen: Wenn
einer beliebt ist, hat es dann vielleicht gar damit zu tun, dass
er überall dabei ist und überall mit dem Strom schwimmt.
Und wenn über einen geklagt wird, hat er dann vielleicht gerade
das Richtige getan, das was von ihm zu erwarten wäre, dass
er gegen den Strom geschwommen ist und den Finger in die Wunde gelegt
hat?
Jesus schwamm gegen den Strom
Im
Evangelium des heutigen 1. Sonntags nach Epiphanias war von der
Taufe Jesu die Rede. Sie war sozusagen seine öffentliche Beauftragung
zu seinem Wirken. Und ganz gewiss war Jesus einer, der damals gegen
den Strom geschwommen ist. Die Kraft dazu bekam er durch den Heiligen
Geist. Der Wochenspruch redet davon, dass wir alle als Getaufte
den Heiligen Geist haben, uns aber auch von ihm antreiben und anleiten
lassen sollen. Und wenn wir genau hinhören würden und
weniger Angst hätten, ich glaube, Gottes Geist würde uns
öfter gerne in eine andere Richtung ziehen.
Die kleine Gemeinde in Rom
Worte
aus dem Römerbrief sind uns heute aufgegeben. Also Worte aus
einem Brief des Apostels Paulus an die Christen in Rom im 1. Jhd.
nach Christus. Eine kleine christliche Gemeinde mitten in einer
großen Weltstadt mit pulsierendem Leben, mitten in einer heidnischen
Umwelt. Sie wird nur am Leben bleiben, wenn sie sich nicht dieser
Umwelt anpasst und andient.
Sie muss Profil entwickeln nach innen und nach außen.
Paulus beginnt seinen Brief, indem er in den ersten Kapiteln die
Menschen beschreibt, wie sie nun einmal sind. Jeder kann sich wiederentdecken,
wenn er will. Er schreibt von den Fehlern, vom menschlichen Eigensinn
und wie man Gott nur selten braucht. Und dann ab Kapitel drei die
gute Botschaft von dem Gott, der den Menschen trotzdem nicht einfach
fallen lässt. Der dem Menschen nachgeht mit viel Geduld. Der
um jeden einzelnen wirbt, so wie jemand mit Geduld und Ausdauer.
Aber dann nach den guten Nachrichten auch, dass man nicht so einfach
vor sich hin leben kann. In elf von fünfzehn Kapiteln (man
bedenke das Verhältnis) gute, tröstende Botschaft, und
dann von Kapitel 12 an: Gott möchte auch etwas von dir. Der
Gott, der dir nachgeht, dem du nicht gleichgültig bist, der
dir treu ist, der möchte auch etwas von dir. Mit den Worten
Martin Luthers klingt es so:
1 Ich ermahne euch nun, liebe Brüder, durch die Barmherzigkeit
Gottes, dass ihr eure Leiber hingebt als ein Opfer, das lebendig,
heilig und Gott wohlgefällig ist. Das sei euer vernünftiger
Gottesdienst. 2 Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern
ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen
könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige
und Vollkommene.
Ermahnung ohne Zeigefinger
Das
Ganze Satz für Satz und Wort für Wort: "Ich ermahne
euch." So steht es fast wie eine Überschrift über
diesen letzten Kapiteln des Briefes. Wenn ich jemand gern habe,
schließt das ja nicht aus, dass ich ihm auch sage, wo es lang
geht. Ermahnung in diesem guten Sinn hat jeder von uns nötig.
Sie ist nicht böse gemeint, sondern gut. Sie will das Leben
nicht hindern, sondern will es fördern. Sie will nicht die
Freude nehmen. Sie will nicht den Willen aufzwängen. Sie zeigt
die Grenzen, da wo jemand die Grenzen nicht mehr sieht. Sie sagt
halt, wo jemand am Abgrund steht. Sie zeigt den Weg, wo jemand orientierungslos
ist. Solche Ermahnung in einem guten Sinne braucht auch ein Christ.
Und wenn Paulus mahnt, dann nicht als Oberlehrer. Kritik kommt nur
an, wenn man merkt, dass der andere es gut mit einem meint.
Gott will nicht die Gabe, sondern den Geber
Wozu
ermahnt Paulus nun? "Ich ermahne euch, liebe Brüder
(Ich füge hinzu: liebe Schwestern), dass ihr eure Leiber
hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig
ist."
Opfer
- alle Religionen kennen Opfer. Sie sind von Hause aus dazu da,
Gott gnädig zu stimmen, Gott zu besänftigen. Man macht
auf "gut Wetter". Man schmiert ihm Honig ums Maul, damit
er einem gibt, was man möchte. Die Juden opferten Tiere. Andere
opferten Feldfrüchte. Die östlichen Religionen wohlriechende
Dinge wie Weihrauch. Ja, manche alten Kulturen opferten auch Menschen.
Und nun Paulus: Gott will nicht eure Gaben, sondern er will euch
selbst. Er will nicht die Gaben, sondern den Geber: "Dass ihr
eure Leiber, also euch selbst mit Haut und Haaren, mit Kraft und
Zeit hingebt als ein Opfer." Den ganzen Menschen möchte
er: Die Bekehrung des Herzens und die Bekehrung des Geldbeutels.
Einen Christen "mit Herzen, Mund und Händen". Man
soll es Menschen ansehen können, man soll es an ihrem
ganzen Wesen abspüren können, dass sie ein Christ sind.
Reden und Handeln, Tun und Lassen, Worte und Taten sollen davon
zeugen.
Gottesdienst am Sonntag und im Alltag
"Das
sei für euch der wahre Gottesdienst." Gottesdienst
ist also nicht nur sonntags zwischen halbzehn und halbelf, sondern
auch während der Woche als Dienst an Gott und am Menschen:
auf der Arbeit, im Büro, in der Schule, in der Familie, in
der Ehe, im stillen Kämmerlein.
Als den "wahren Gottesdienst" bezeichnet das Paulus sogar.
Vielleicht deswegen, weil es da im Alltag ernst wird. Am Sonntagvormittag
kann man hier sitzen und zu allem brav nicken. Aber damit hat sich
noch nichts getan. Der wahre Gottesdienst unter der Woche. Das ist
vielleicht Wasser auf die Mühlen derer, die sagen: "Den
Gottesdienst brauche ich nicht. Das ist nicht meine Art. Christ
sein kann man auch ohne Gottesdienst. Dort sind eh nur die Heuchler."
– Sie wissen, dass das nicht stimmt.
Beides wirklich ernst nehmen, das wäre es: Den Gottesdienst
am Sonntag, in dem man sich Kraft und Inspiration holt für
den Gottesdienst im Alltag.
Gegen den Strom
Paulus
wird noch konkreter: "Stellt euch nicht dieser Welt gleich,
sondern erneuert euch durch Erneuerung eures Sinnes." Macht
nicht alles nach, was andere euch vormachen. Schwimmt, wenn es nötig
ist, auch einmal gegen den Strom. Denn, so sagt es ein Sprichwort
hintergründig, nur der kommt an die Quelle, der gegen den Strom
schwimmt.
Stellt euch nicht dieser Welt gleich: Den Mut haben, nicht mitzumachen,
wo ein hilfloser Lehrer oder Mitschüler geärgert wird.
Den Mut haben zu widersprechen, wenn über andere Menschen getratscht
oder ihnen auch die Ehre abgeschnitten wird. Den Mut haben, nicht
mitzugeifern, wenn am Stammtisch oder beim Kaffeekränzchen
gegen "die Politiker" oder "die
Kirche" das Wort erhoben wird. Den Mut haben, nicht mitzulachen,
wenn im Betrieb, Büro oder Verein schlüpfrige Witze erzählt
werden.
"Erneuerung des Sinnes", wie es Paulus ausdrückt,
ist manchmal gefordert: Einsehen, dass etwas nicht gut war. Einsehen,
dass es so nicht bleiben kann. Eine alte, eine ungute Gewohnheit
aufgeben.
Erst
denken, dann handeln
"Damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist,
nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene."
Der macht Fortschritte im Glauben und Leben, der nicht immer erst
hinterher prüft, wenn er etwas getan hat, und dann über
die Folgen erstaunt ist, sondern, wer lernt, schon vorher zu prüfen.
In einem Wirtshaus habe ich einmal den Spruch über der Tür
gelesen: "Vor Inbetriebnahme des Mundwerks Gehirn einschalten."
Was wird, wenn die Zunge gelöst ist, nicht alles geredet. (Und
das betrifft nicht nur ein Wirtshaus, sondern jede gesellige und
feuchtfröhliche Zusammenkunft.) Wenn man unerkannt ein Tonband
mitlaufen ließe, würde sich vielleicht mancher, der sich
hinterher hören kann, über sich selber wundern und womöglich
auch rote Ohren bekommen.
Überlegt euch, sagt Paulus, ob das, was ihr sagen oder tun
wollt, gut ist. Gut nicht nur für euch, sondern auch für
andere. Überlegt euch, was vollkommen ist, d.h. was wirklich
Qualität hat, was Sinn hat, Niveau. Und was dann bei dieser
inneren Prüfung durchfällt, das behaltet lieber für
euch und sprecht es nicht aus. Das wäre Gottesdienst, sagt
Paulus, Gottesdienst mitten im Alltag, weil damit Gott und den Menschen
gedient wäre.
Lass uns in deinem Namen, Herr, die nötigen Schritte tun.
Gib uns den Mut, voll Glauben, Herr, heute und morgen zu handeln.
Lass uns in deinem Namen, Herr, die nötigen Schritte tun.
Gib uns den Mut, voll Liebe, Herr, heute die Wahrheit zu leben.
Lass uns in deinem Namen, Herr, die nötigen Schritte tun.
Gib uns den Mut, voll Hoffnung, Herr, heute von vorn zu beginnen.
Lass uns in deinem Namen, Herr, die nötigen Schritte tun.
Gib uns den Mut, voll Glauben, Herr, mit dir zu Menschen zu werden.
Amen |