Wunder
geschehn
Wunder geschehen auch heute noch. Sie geschehen z.B. dann, wenn
man von einem Menschen sagt, er habe sich „um 180 Grad gedreht”.
Wunder
geschehen, wenn jene sonst eisernen Gesetze Lügen gestraft
werden, die da heißen: „Niemand kann aus seiner Haut
heraus.” Oder: „Niemand kann über seinen Schatten
springen.” Sicher, solche Wunder sind eher selten. Sie sind
nicht an der Tagesordnung: Da hört z.B. einer das Rauchen auf,
dem man es nie zugetraut hätte. Da kommt eine vom Alkohol weg,
für die man keine Hoffnung mehr hatte. Da kommt eine zerrüttete
Ehe wieder in Ordnung. Da vertragen sich über Generationen
zerstrittene Nachbarn wieder. Da kommt einer auf die rechte Bahn,
der bisher nur krumme Touren gedreht hat.
Als ob jemand neu geboren würde
Mit dieser Möglichkeit, dass ein Mensch innerlich und äußerlich
ein anderer werden und neu anfangen kann, rechnet unsere Bibel.
Und sie sagt, das sei ein Geschenk Gottes. Wenn sich jemand um 180
Grad dreht, wenn jemand ein neues Leben anfängt, wenn jemand
umkehrt und in eine andere Richtung weitergeht, dann ist das, als
würde er neu geboren. Es ist wie eine neue Schöpfung.
Darum geht es am diesem Sonntag Jubilate, dessen Wochenspruch heißt:
„Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur;
das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.” (2.
Korinther 5,17)
Von diesem Wunder des Neuwerdens her verstehe ich auch den heutigen
Predigttext. Der Evangelist Johannes verwendet nur einen etwas anderen
Begriff und spricht davon, jemand werde von Gott oder aus Gott geboren:
1 Wer glaubt, dass Jesus der Christus ist, der ist von Gott
geboren; und wer den liebt, der ihn geboren hat, der liebt auch
den, der von ihm geboren ist. 2 Daran erkennen wir, dass wir Gottes
Kinder lieben, wenn wir Gott lieben und seine Gebote halten. 3 Denn
das ist die Liebe zu Gott, dass wir seine Gebote halten; und seine
Gebote sind nicht schwer. 4 Denn alles, was von Gott geboren ist,
überwindet die Welt; und unser Glaube ist der Sieg, der die
Welt überwunden hat.
Kein leichter Text, wenn man ihn so ihm Ganzen hört. Vers für
Vers muss man herangehen. Und einen Schlüssel zum Verständnis,
zum Aufschließen braucht man. Ein möglicher passender
Schlüssel scheint mir dieses Thema vom Neugeborenwerden, vom
Wunder des Neuwerdens zu sein.
Innerlich
und äußerlich neu werden
1 Wer glaubt, dass Jesus der Christus ist, der ist von Gott
geboren; und
wer den liebt, der ihn geboren hat, der liebt auch den, der von
ihm geboren ist.
Neu geboren wird ein Mensch, wenn er auf einmal in seinem Leben
Gott entdeckt. Zum ersten Mal entdeckt oder auch neu entdeckt. Früher
oder
später. Da kann einem das Leben und sein Sinn ganz neu aufgehen.
Da kann er noch einmal von vorne anfangen.
Was hat das mit meinen Beispielen vom Anfang zu tun? Da war Neuwerden
äußerlich zu sehen: Eine Sucht loswerden, sein Leben
ändern, nach krummen Touren auf gerade Bahnen kommen. Aber
kann jemand äußerlich neu werden, ohne dass innerlich
etwas neu wird? Krempelt ein solches äußeres Neuwerden
einen Menschen nicht auch innerlich um?
Und auch andersherum: Wenn einer innerlich, vom Glauben her neu
wird, wird man das nicht auch äußerlich ablesen können?
Taufe und Konfirmation
Wann und wie kann einer neu werden? Die Bibel sagt: Die Taufe ist
wie eine neue Geburt. Die Taufe krempelt einen Menschen innerlich
und äußerlich um. Nur war das auf die Erwachsenentaufe
der ersten Christenheit bezogen. Da war der Schritt vom Heiden zum
Christen wirklich ein Neuwerden. Mit dem Ja, das da jemand freiwillig
gesagt hat, hat sich auch im äußeren Leben eine Menge
gewandelt.
Wir taufen seit Jahrhunderten Säuglinge. Und wir tun es aus
gutem Grund, weil man sich Gottes Liebe nicht verdienen kann. Sie
wird geschenkt. Das ist am deutlichsten an einem unmündigen
und hilflosen Kind zu sehen. Doch die christliche Kirche hat sich
das damit erkauft, dass die Taufe nicht mehr als eine Wende im Leben,
als ein Neuwerden erfahren werden kann. Ein Säugling bleibt
passiv. Er erfährt das Geschenk seiner Taufe nicht.
Weil das aber wichtig ist, hat man die Konfirmation eingeführt,
wo ein junger Mensch nach Abschluss seiner Kinderzeit selbst ja
sagen soll zu seiner Taufe, zu Gott und zur Kirche. In Gottes ausgestreckte
Hand einschlagen, sich neu machen lassen, sich auf seine Gebote
besinnen. Doch nur wenige sind in diesem Alter genau in diesem Stadium,
dass ihnen dieses Neuwerden und ja sagen wirklich ein ernstes Anliegen
wäre. Manche haben es vorher schon begriffen. Andere brauchen
noch Jahre.
Gott sei Dank ist der Zeitpunkt nicht entscheidend. Doch irgendwann
im Leben, früher oder später, soll in einem Getauften
diese Erkenntnis reifen. Mit den biblischen Begriffen dieses Textes:
Jesus ist für mich der Christus.
Jesus ist für mich der Messias, der Retter. Die Worte machen’s
nicht. Jeder sagt es in anderen Begriffen: Gott bedeutet mir etwas.
Ohne Glauben an ihn kann ich nicht leben. Er gibt mir Kraft. Er
hält mich. Er trägt mich. Gott ist die Basis, der Grund
meines Lebens. Und das hat dann Folgen. Es soll Folgen haben. So
steht es hier:
Glaube und Leben gehören zusammen
2 Daran erkennen wir, dass wir Gottes Kinder lieben, wenn wir
Gott
lieben.
Auch andersherum kann es im 1. Johannesbrief formuliert sein: 4
20 Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder,
der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den
er sieht, wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht? 21 Und dies
Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen
Bruder liebe.
Also: mit einem solchen inneren Wandel aus dem Glauben heraus, geht
auch, wenn es einem Menschen wirklich ernst ist, ein äußerer
Wandel
vonstatten. Den Mitmenschen als einen Bruder oder eine Schwester
lieben, also ihn als Mitgeschöpf Gottes mit gleichen Rechten
und gleicher Würde anschauen, nicht weniger und nicht mehr
wert als ich, das gehört zum Glauben dazu. Die Liebe zu Gott,
der Respekt vor ihm, hat als Zwillingsbruder die Liebe zum Mitmenschen,
der vor Gott mein Bruder und meine Schwester ist.
Also nicht auf das christliche Lippenbekenntnis kommt es an oder
auf den
Taufschein oder auf die Eintragung auf der Lohnsteuerkarte, sondern
auf das Tun: Wenn einer solche Nächstenliebe lebt, wenn einer
für Gerechtigkeit eintritt, und sei er auch ein Hindu, ein
Moslem, ein Buddhist oder ein Atheist, der lebt als ein Kind Gottes,
und wenn er sich selbst gar nicht so bezeichnen würde.
Und
auf der anderen Seite: Wer das Evangelisch auf seiner Lohnsteuerkarte
stehen hat oder im Stammbuch oder auf seinem Konfirmationszeugnis,
aber kann den Mitmenschen nicht als Bruder oder Schwester ansehen,
wendet sich in Wort und Tat gegen Ausländer, lebt in Beruf,
Familie oder auf der Straße nach den Gesetzen der Ellenbogengesellschaft,
äußert sich herablassend oder lästernd gegen Nachbarn
und Freunde, der kann den Namen Christ nicht mehr beanspruchen.
Durchgangsstation der Liebe sein
3 Denn das ist die Liebe zu Gott, dass wir seine Gebote halten;
und
seine Gebote sind nicht schwer.
Ein schwieriger Satz. Vielleicht nicht so sehr für die, die
sich um Gottes Gebote nicht viel scheren. Viel schwieriger wohl
für die, denen Gottes Gebote am Herzen liegen, die ein waches
Gewissen haben bei ihrem eigenen Tun, die sich selbst und ihr Tun
sehr kritisch ansehen.
Gerade die merken: Je ernster ich es meine, desto mehr erkenne ich
meine Grenzen. Wie hat es Johannes gemeint? Dass Gottes Gebote nicht
schwer seien, ist von Menschen gesagt, die neu geboren sind. Und
nun ist als
Heilmittel gegen falsche Überforderung die Reihenfolge wichtig.
Nicht: Halte Gottes Gebote, dann macht er dich neu. Sondern: Gott
hat dich neu gemacht. Jetzt lass ganz einfach die Liebe, die du
von ihm erfährst, durch dich hindurch fließen zu anderen.
Du musst selbst eigentlich gar nicht so viel tun. Du musste nur
eine Art Durchgangsstation sein. Öffne die eine Hand für
die Liebe Gottes, dann wird sich deine andere Hand anderen Menschen
zuwenden. Es geht nämlich im 1. Johannesbrief weniger um die
Summe der Gebote, sondern um das eine Gebot. So heißt der
Vers unmittelbar vor den Worten des Predigttextes:
4 21 Und dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt,
dass der
auch seinen Bruder liebe.
Gegen den Strom schwimmen
Und von daher ist dann vielleicht auch der zweite so schwierige
Satz ein wenig verständlicher:
4 Denn alles, was von Gott geboren ist, überwindet die
Welt; und unser
Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.
Die Welt überwinden? Was ist damit gemeint? Die Welt, das ist
für Johannes nicht die Erde, die Schöpfung, sondern das
Weltliche. Die Welt, das sind für Johannes die Menschen, die
nichts mit Gott zu tun haben wollen, und vor allem ihre Art zu leben.
Die Welt überwinden heißt für Johannes: Sich der
weltlichen, der gott-losen Lebensart entgegenstellen: sich der Lieblosigkeit
entgegenstellen, sich der Ellenbogengesellschaft widersetzen, gegen
den Fremdenhass den Mund aufmachen und auch gegen leeres Geschwätz,
protestieren, wo Menschen auf Kosten der Gemeinschaft leben und
ihr Schäfchen ins Trockene bringen.
Und inwiefern siegt dann der Glaube? Sich entgegenstellen und gegen
den Strom schwimmen kann nur, wer sich selbst geborgen und getragen
weiß. Sich widersetzen kann nur, wer selber einen festen Stand
hat. Und genau das ist Glaube: Sich getragen wissen und einen festen
Stand haben.
Das wünschen wir euch als Konfirmanden: dass der Konfirmandenunterricht
euch hilft, einen festen Stand im Leben zu finden, euch bei Gott
geborgen zu wissen. Und dann, wenn es nötig ist, nicht mit,
sondern gegen den Strom zu schwimmen, denn solche Menschen braucht
die Welt. Amen |