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Die Predigt vom 2. Mai 2004 (Jubilate):
»Wenn sich einer um 180 Grad dreht«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging den Sonntag Jubilate („Freut euch“). Sein Thema ist die Schöpfung. Evangelium dieses Sonntags ist Jesu Bild vom Weinstock und den Reben. Epistel und Predigttext (s.u.) war ein Abschnitt aus dem 1. Johannesbrief Kapitel 5 über die „neue Schöpfung“:
Predigttext
Sie können den Text auch online nachlesen. Weitere Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.
Der Predigttext
1 Wer glaubt, dass Jesus der Christus ist, der ist von Gott geboren; und wer den liebt, der ihn geboren hat, der liebt auch den, der von ihm geboren ist. 2 Daran erkennen wir, dass wir Gottes Kinder lieben, wenn wir Gott lieben und seine Gebote halten. 3 Denn das ist die Liebe zu Gott, dass wir seine Gebote halten; und seine Gebote sind nicht schwer. 4 Denn alles, was von Gott geboren ist, überwindet die Welt; und unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.
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Die Predigt

Wunder geschehn

Wunder geschehen auch heute noch. Sie geschehen z.B. dann, wenn man von einem Menschen sagt, er habe sich „um 180 Grad gedreht”. Wunder
geschehen, wenn jene sonst eisernen Gesetze Lügen gestraft werden, die da heißen: „Niemand kann aus seiner Haut heraus.” Oder: „Niemand kann über seinen Schatten springen.” Sicher, solche Wunder sind eher selten. Sie sind nicht an der Tagesordnung: Da hört z.B. einer das Rauchen auf, dem man es nie zugetraut hätte. Da kommt eine vom Alkohol weg, für die man keine Hoffnung mehr hatte. Da kommt eine zerrüttete Ehe wieder in Ordnung. Da vertragen sich über Generationen zerstrittene Nachbarn wieder. Da kommt einer auf die rechte Bahn, der bisher nur krumme Touren gedreht hat.

Als ob jemand neu geboren würde

Mit dieser Möglichkeit, dass ein Mensch innerlich und äußerlich ein anderer werden und neu anfangen kann, rechnet unsere Bibel. Und sie sagt, das sei ein Geschenk Gottes. Wenn sich jemand um 180 Grad dreht, wenn jemand ein neues Leben anfängt, wenn jemand umkehrt und in eine andere Richtung weitergeht, dann ist das, als würde er neu geboren. Es ist wie eine neue Schöpfung. Darum geht es am diesem Sonntag Jubilate, dessen Wochenspruch heißt: „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.” (2. Korinther 5,17)

Von diesem Wunder des Neuwerdens her verstehe ich auch den heutigen Predigttext. Der Evangelist Johannes verwendet nur einen etwas anderen Begriff und spricht davon, jemand werde von Gott oder aus Gott geboren:

1 Wer glaubt, dass Jesus der Christus ist, der ist von Gott geboren; und wer den liebt, der ihn geboren hat, der liebt auch den, der von ihm geboren ist. 2 Daran erkennen wir, dass wir Gottes Kinder lieben, wenn wir Gott lieben und seine Gebote halten. 3 Denn das ist die Liebe zu Gott, dass wir seine Gebote halten; und seine Gebote sind nicht schwer. 4 Denn alles, was von Gott geboren ist, überwindet die Welt; und unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.

Kein leichter Text, wenn man ihn so ihm Ganzen hört. Vers für Vers muss man herangehen. Und einen Schlüssel zum Verständnis, zum Aufschließen braucht man. Ein möglicher passender Schlüssel scheint mir dieses Thema vom Neugeborenwerden, vom Wunder des Neuwerdens zu sein.

Innerlich und äußerlich neu werden

1 Wer glaubt, dass Jesus der Christus ist, der ist von Gott geboren; und
wer den liebt, der ihn geboren hat, der liebt auch den, der von ihm geboren ist.

Neu geboren wird ein Mensch, wenn er auf einmal in seinem Leben Gott entdeckt. Zum ersten Mal entdeckt oder auch neu entdeckt. Früher oder
später. Da kann einem das Leben und sein Sinn ganz neu aufgehen. Da kann er noch einmal von vorne anfangen.
Was hat das mit meinen Beispielen vom Anfang zu tun? Da war Neuwerden äußerlich zu sehen: Eine Sucht loswerden, sein Leben ändern, nach krummen Touren auf gerade Bahnen kommen. Aber kann jemand äußerlich neu werden, ohne dass innerlich etwas neu wird? Krempelt ein solches äußeres Neuwerden einen Menschen nicht auch innerlich um?
Und auch andersherum: Wenn einer innerlich, vom Glauben her neu wird, wird man das nicht auch äußerlich ablesen können?

Taufe und Konfirmation

Wann und wie kann einer neu werden? Die Bibel sagt: Die Taufe ist wie eine neue Geburt. Die Taufe krempelt einen Menschen innerlich und äußerlich um. Nur war das auf die Erwachsenentaufe der ersten Christenheit bezogen. Da war der Schritt vom Heiden zum Christen wirklich ein Neuwerden. Mit dem Ja, das da jemand freiwillig gesagt hat, hat sich auch im äußeren Leben eine Menge gewandelt.
Wir taufen seit Jahrhunderten Säuglinge. Und wir tun es aus gutem Grund, weil man sich Gottes Liebe nicht verdienen kann. Sie wird geschenkt. Das ist am deutlichsten an einem unmündigen und hilflosen Kind zu sehen. Doch die christliche Kirche hat sich das damit erkauft, dass die Taufe nicht mehr als eine Wende im Leben, als ein Neuwerden erfahren werden kann. Ein Säugling bleibt passiv. Er erfährt das Geschenk seiner Taufe nicht.

Weil das aber wichtig ist, hat man die Konfirmation eingeführt, wo ein junger Mensch nach Abschluss seiner Kinderzeit selbst ja sagen soll zu seiner Taufe, zu Gott und zur Kirche. In Gottes ausgestreckte Hand einschlagen, sich neu machen lassen, sich auf seine Gebote besinnen. Doch nur wenige sind in diesem Alter genau in diesem Stadium, dass ihnen dieses Neuwerden und ja sagen wirklich ein ernstes Anliegen wäre. Manche haben es vorher schon begriffen. Andere brauchen noch Jahre.

Gott sei Dank ist der Zeitpunkt nicht entscheidend. Doch irgendwann im Leben, früher oder später, soll in einem Getauften diese Erkenntnis reifen. Mit den biblischen Begriffen dieses Textes: Jesus ist für mich der Christus.
Jesus ist für mich der Messias, der Retter. Die Worte machen’s nicht. Jeder sagt es in anderen Begriffen: Gott bedeutet mir etwas. Ohne Glauben an ihn kann ich nicht leben. Er gibt mir Kraft. Er hält mich. Er trägt mich. Gott ist die Basis, der Grund meines Lebens. Und das hat dann Folgen. Es soll Folgen haben. So steht es hier:

Glaube und Leben gehören zusammen

2 Daran erkennen wir, dass wir Gottes Kinder lieben, wenn wir Gott
lieben.

Auch andersherum kann es im 1. Johannesbrief formuliert sein: 4 20 Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht? 21 Und dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe.

Also: mit einem solchen inneren Wandel aus dem Glauben heraus, geht auch, wenn es einem Menschen wirklich ernst ist, ein äußerer Wandel
vonstatten. Den Mitmenschen als einen Bruder oder eine Schwester lieben, also ihn als Mitgeschöpf Gottes mit gleichen Rechten und gleicher Würde anschauen, nicht weniger und nicht mehr wert als ich, das gehört zum Glauben dazu. Die Liebe zu Gott, der Respekt vor ihm, hat als Zwillingsbruder die Liebe zum Mitmenschen, der vor Gott mein Bruder und meine Schwester ist.

Also nicht auf das christliche Lippenbekenntnis kommt es an oder auf den
Taufschein oder auf die Eintragung auf der Lohnsteuerkarte, sondern auf das Tun: Wenn einer solche Nächstenliebe lebt, wenn einer für Gerechtigkeit eintritt, und sei er auch ein Hindu, ein Moslem, ein Buddhist oder ein Atheist, der lebt als ein Kind Gottes, und wenn er sich selbst gar nicht so bezeichnen würde.

Und auf der anderen Seite: Wer das Evangelisch auf seiner Lohnsteuerkarte stehen hat oder im Stammbuch oder auf seinem Konfirmationszeugnis, aber kann den Mitmenschen nicht als Bruder oder Schwester ansehen, wendet sich in Wort und Tat gegen Ausländer, lebt in Beruf, Familie oder auf der Straße nach den Gesetzen der Ellenbogengesellschaft, äußert sich herablassend oder lästernd gegen Nachbarn und Freunde, der kann den Namen Christ nicht mehr beanspruchen.

Durchgangsstation der Liebe sein

3 Denn das ist die Liebe zu Gott, dass wir seine Gebote halten; und
seine Gebote sind nicht schwer.


Ein schwieriger Satz. Vielleicht nicht so sehr für die, die sich um Gottes Gebote nicht viel scheren. Viel schwieriger wohl für die, denen Gottes Gebote am Herzen liegen, die ein waches Gewissen haben bei ihrem eigenen Tun, die sich selbst und ihr Tun sehr kritisch ansehen.
Gerade die merken: Je ernster ich es meine, desto mehr erkenne ich meine Grenzen. Wie hat es Johannes gemeint? Dass Gottes Gebote nicht schwer seien, ist von Menschen gesagt, die neu geboren sind. Und nun ist als
Heilmittel gegen falsche Überforderung die Reihenfolge wichtig. Nicht: Halte Gottes Gebote, dann macht er dich neu. Sondern: Gott hat dich neu gemacht. Jetzt lass ganz einfach die Liebe, die du von ihm erfährst, durch dich hindurch fließen zu anderen. Du musst selbst eigentlich gar nicht so viel tun. Du musste nur eine Art Durchgangsstation sein. Öffne die eine Hand für die Liebe Gottes, dann wird sich deine andere Hand anderen Menschen zuwenden. Es geht nämlich im 1. Johannesbrief weniger um die Summe der Gebote, sondern um das eine Gebot. So heißt der Vers unmittelbar vor den Worten des Predigttextes:
4 21 Und dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der
auch seinen Bruder liebe.


Gegen den Strom schwimmen

Und von daher ist dann vielleicht auch der zweite so schwierige Satz ein wenig verständlicher:
4 Denn alles, was von Gott geboren ist, überwindet die Welt; und unser
Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.

Die Welt überwinden? Was ist damit gemeint? Die Welt, das ist für Johannes nicht die Erde, die Schöpfung, sondern das Weltliche. Die Welt, das sind für Johannes die Menschen, die nichts mit Gott zu tun haben wollen, und vor allem ihre Art zu leben. Die Welt überwinden heißt für Johannes: Sich der weltlichen, der gott-losen Lebensart entgegenstellen: sich der Lieblosigkeit entgegenstellen, sich der Ellenbogengesellschaft widersetzen, gegen den Fremdenhass den Mund aufmachen und auch gegen leeres Geschwätz, protestieren, wo Menschen auf Kosten der Gemeinschaft leben und ihr Schäfchen ins Trockene bringen.

Und inwiefern siegt dann der Glaube? Sich entgegenstellen und gegen den Strom schwimmen kann nur, wer sich selbst geborgen und getragen weiß. Sich widersetzen kann nur, wer selber einen festen Stand hat. Und genau das ist Glaube: Sich getragen wissen und einen festen Stand haben.

Das wünschen wir euch als Konfirmanden: dass der Konfirmandenunterricht euch hilft, einen festen Stand im Leben zu finden, euch bei Gott geborgen zu wissen. Und dann, wenn es nötig ist, nicht mit, sondern gegen den Strom zu schwimmen, denn solche Menschen braucht die Welt. Amen

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de