|
Die Predigt |
Biblische
Redensarten
Viele Bibelverse sind zu Sprichwörtern und Redensarten geworden.
Und nur von den bekanntesten wissen die meisten auch, dass sie aus
der Bibel kommen. "Man soll sein Licht nicht unter einen Scheffel
stellen." heißt es und man meint, man solle nicht allzu
bescheiden sein, wenn man eine Sache gut kann. "Wer andern eine
Grube gräbt, fällt selbst hinein." Dieser Vers aus
dem Buch der Sprüche wird gerne verwendet, wenn einem bösen
Tun oder einer bösen Absicht die Strafe auf dem Fuß folgt.
Da wird einer vom Saulus zum Paulus
Zwei solcher Redensarten finden sich auch im heutigen Predigttext
wieder, den Sie vorhin als Epistel gehört haben. "Da wird
einer vom Saulus zum Paulus." sagen manche, wenn ein Mensch sich
um 180 Grad dreht, wenn es in seinem Leben zu einer radikalen Wende
kommt. "Es fällt einem wie Schuppen von den Augen."
so sagt man, wenn man von einem Moment auf den anderen erkennt, was
man bisher nicht erkannt hat.
Der Evangelist Lukas erzählt in Apostelgeschichte 9, wie Saulus
zum Paulus wird, wie aus dem fanatischen Christenverfolger ein fanatischer
Christusverkündiger wird. So verbohrt war er in seine Überzeugung,
dass es ihm erst durch das Erlebnis vor der Stadt Damaskus wie Schuppen
von den Augen fällt, dass er auf einem völlig verkehrten
Weg war.
Saulus macht eine Wendung um 180 Grad. Das ist richtig. Und doch stimmt
eigentlich dieses Sprichwort nicht. Es ist ein altes und verbreitetes
Missverständnis, dass er zuerst Saulus hieß, und dann nach
dieser Bekehrung auf einmal Paulus:
Lukas verwendet den Namen Paulus erst später, von der sog. 1.
Missionsreise an (ab Apg
13,9), ab dem Zeitpunkt also, wo Paulus den
jüdischen Raum verlässt und in den griechisch sprechenden
Mittelmeerraum hinausgeht, um in der Ferne das Evangelium zu verkündigen.
Er war ein geborener Saul, hebräisch Scha'ul, ein Jude, der aber
auch das römische Bürgerrecht hat. Er hieß Saul, so
wie der erste König von Israel. Saulus ist nur die griechisch-lateinische
Form dieses hebräischen Namens. Doch wie es bei den Gebildeten
der damaligen Zeit Brauch war, gab er sich oder gab man ihm einen
griechischen Beinamen: Paulus, auf deutsch "der Kleine",
wahrscheinlich aufgrund seiner Gestalt. Soweit das Missverständnis.
Zurück zur eigentlichen Geschichte.
Paulus erlebt eine Lebenswende. Er dreht sich um 180 Grad, so wie
es dann und wann auch heute Menschen erleben: Gesundheitlich z.B.,
wenn jemand ein Laster, eine ungesunde Gewohnheit aufgibt. Wenn ein
Raucher zu einem Nichtraucher wird. Wenn ein Alkoholiker keinen Schluck
mehr anrührt. Wenn einer, der bis zum Herzinfarkt oder Schlaganfall
über seine Verhältnisse gelebt hat, nun auf einmal seine
Grenzen bewusst einhält. Oder auch in einem moralisch Sinne,
wenn jemand in seinem Reden und Tun ein schlechter Mensch war, sich
um die anderen nicht geschert und nur seinen Vorteil gesehen hat,
und nun ein ganz anderer wird. Oder auch im geistlichen Sinne, wenn
jemand von einem Gottesleugner oder Gottesverächter zu einem
Glaubenden wird. Wenn einer stolz meint, er selber sei der Herr seines
Lebens, und muss dann erkennen: Leben ist Geschenk.
Paulus, der fanatische Verfolger
9 1 Saulus aber schnaubte noch mit Drohen und Morden gegen die
Jünger des Herrn und ging zum Hohenpriester 2 und bat ihn um
Briefe nach Damaskus an die Synagogen, damit er Anhänger des
neuen Weges, Männer und Frauen, wenn er sie dort fände,
gefesselt nach Jerusalem führe.
Plastischer als mit dieser altertümlichen lutherischen Wortwahl
könnte man es nicht sagen: Fanatisch, eifernd und überzogen
macht Paulus Jagd auf die Christen. Man nennt sie "Anhänger
des neuen Weges": Also sie sind Abweichler vom geraden, vom altbewährten
jüdischen Weg und müssen, wenn nötig, mit Gewalt, zurückgebracht
werden. Sie wurden vor die Alternative gestellt, entweder ihrem neuen
Weg, dieser Sekte, abzusagen oder ins Gefängnis zu gehen. So
eifernd war Paulus, dass er die Christen von Jerusalem aus bis ins
200 km entfernte Damaskus verfolgt. An anderer Stelle in der Apostelgeschichte
beschreibt er sein Tun so:
Apostelgeschichte 26: 9 Ich meinte, ich müsste viel gegen
den Namen Jesu von Nazareth tun. 10 Das habe ich in Jerusalem auch
getan; dort brachte ich viele Heilige ins Gefängnis, wozu ich
Vollmacht von den Hohenpriestern empfangen hatte. Und wenn sie getötet
werden sollten, gab ich meine Stimme dazu. 11 Und in allen Synagogen
zwang ich sie oft durch Strafen zur Lästerung, und ich wütete
maßlos gegen sie, verfolgte sie auch bis in die fremden Städte.
Die Lebenswende des Paulus
Und dann wie "aus heiterem Himmel" dieses Erlebnis vor der
Stadt. Als "Damaskuserlebnis" ist es auch bei manchen sprichwörtlich
geworden:
Paulus erlebt eine totale Erschütterung. Er erlebt einen totalen
körperlichen und seelischen Zusammenbruch. Geblendet, geschockt,
verwirrt, orientierungslos, völlig durcheinander, drei Tage unfähig,
zu essen und zu trinken.
Unsere deutsche Sprache kennt viele bildliche Ausdrucksweisen für
ein solches Erlebnis: Jemand wird aus der Bahn geworfen. Jemand wird
von seinem hohen Ross herunter geholt. Jemand geht k.o.. Jemand wird
außer
Gefecht gesetzt.
Paulus erlebt vor Damaskus eine blendende Lichterscheinung und er
hört eine Stimme. Man weiß nicht genau, was wirklich geschehen
ist. Die Umstehenden begreifen davon nicht viel. Und auch mit seinen
eigenen Worten beschreibt es Paulus in seinen Briefen nicht näher.
Von einer
direkten Begegnung mit dem auferstandenen und lebendigen Christus
berichtet er. Und von dem hellen Licht, das alles neu gemacht hat.
"Gott hat seinen Sohn in mir offenbart." sagt er
im Galaterbrief (Gal
1,16). Oder im 2. Korintherbrief: "Denn Gott, der sprach:
Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen
Schein in unsre Herzen gegeben." (2.
Kor 4,6) Oder im 1. Korintherbrief im Zusammenhang mit den Erscheinungen
des Auferstandenen:
15 5 Er ist gesehen worden von Petrus, danach von den Zwölfen.
6 Danach ist er gesehen worden von mehr als fünfhundert Brüdern
auf einmal, von denen die meisten noch heute leben, einige aber sind
entschlafen. 7 Danach ist er gesehen worden von Jakobus, danach von
allen Aposteln. 8 Zuletzt von allen ist er auch von mir als einer
Art Fehlgeburt gesehen worden. Denn ich bin der geringste unter den
Aposteln, der ich nicht wert bin, dass ich ein Apostel heiße,
weil ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe.
Es fällt ihm wie Schuppen von den Augen
In diesem Moment damals vor Damaskus hat Paulus noch nichts begreifen
können. Wie bei jedem erschütternden Erlebnis herrschen
erst Schock und Versteinerung. Andere wollte er fesseln. Nun ist er
selber von diesem Jesus gefesselt. Andere wollte er überwältigen.
Nun hat dieser Herr ihn überwältigt. Andere wollte er wegführen.
Nun muss er blind und hilflos selbst an der Hand geführt werden.
Er wollte das Sagen haben. Nun muss er zuhören, wie man ihm in
Gottes Auftrag dieses Erlebnis deutet.
7 Die Männer aber, die seine Gefährten waren, standen
sprachlos da; denn sie hörten zwar die Stimme, aber sahen niemanden.
8 Saulus aber richtete sich auf von der Erde; und als er seine Augen
aufschlug, sah er nichts. Sie nahmen ihn aber bei der Hand und führten
ihn nach Damaskus; 9 und er konnte drei Tage nicht sehen und aß
nicht und trank nicht.
(Dann schickt ihm Gott den Hananias. Der muss aber erst überzeugt
werden, damit er die Angst vor Paulus verliert. Und die Geschichte
endet:)
17 Und Hananias ging hin und kam in das Haus und legte die Hände
auf ihn und sprach: Lieber Bruder Saul, der Herr hat mich gesandt,
Jesus, der dir auf dem Wege hierher erschienen ist, dass du wieder
sehend und mit dem heiligen Geist erfüllt werdest.18 Und sogleich
fiel es von seinen Augen wie Schuppen, und er wurde wieder sehend;
und er stand auf, ließ sich taufen 19 und nahm Speise zu sich
und stärkte sich.
Paulus braucht christlichen, er braucht seelsorgerlichen Beistand.
Alleine kann er sein niederschmetterndes Erlebnis nicht verarbeiten.
Man führt ihn in ein christliches Haus. Man deutet ihm, was er
erlebt hat, und wem er da
begegnet ist. Und am Ende fällt es ihm wie Schuppen von den Augen.
Und die Moral von der Geschicht' ...
"Und die Moral von der Geschicht' ..." So enden manchmal
Märchen. Eine Moralpredigt können wir aus dieser Erzählung
aber auf keinen Fall machen. Also: Schau, dass du dich endlich um
180 Grad drehst. Schau, dass du endlich deine Bekehrung erlebst. Wenn,
dann ist bei einer solchen Lebenswende Gott der Handelnde. Das steht
in dieser Geschichte eindeutig. Aus eigener Kraft gibt es keine radikalen
Lebenswenden. Man kann sie nicht machen. Man kann sie sich höchstens
wünschen und schenken lassen.
Wenn es eine Lehre aus dieser Geschichte gibt, wenn man sie nicht
einfach nur als Erlebnis des Paulus stehen lassen will, dann vielleicht
das:
Es gibt solche niederschmetternden Erlebnisse auch heute hin und wieder.
Es gibt auch heute solche Zusammenbrüche. Aber es ist die Frage,
wie man mit ihnen umgeht: Rechne mit der Möglichkeit, dass dir
durch ein niederschmetterndes Erlebnis, durch ein Erlebnis, das dich
klein, schwach und hilflos macht, Gott etwas zeigen will und kann.
Geh nicht anschließend gleich wieder zur Tagesordnung über,
ohne daraus zu lernen und es zu verarbeiten. Und: Schäme dich
nicht, in diesem Moment wie Paulus Hilfe anzunehmen, weil du so etwas
auf keinen Fall alleine verkraften kannst. Ärztliche und psychotherapeutische
Hilfe, seelsorgerliche Hilfe, Gebet, Handauflegung und Segnung.
|
|