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predigt[e].de

Die Predigt vom 29. August 2004 (12. Sonntag nach Trinitatis):
»Wenn sich einer um 180 Grad dreht«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging den 12. Sonntag nach Trinitatis. Sein Thema ist das Heilwerden. Evangelium dieses Sonntags ist die Heilung eines Taubstummen nach Markus 7. Epistel und Predigttext (s.u.) war der Bericht von der „Bekehrung“ des Paulus nach Apostelgeschichte 9:
Predigttext
Sie können den Text auch online nachlesen. Weitere Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.
Der Predigttext
1 Saulus aber schnaubte noch mit Drohen und Morden gegen die Jünger des Herrn und ging zum Hohenpriester 2 und bat ihn um Briefe nach Damaskus an die Synagogen, damit er Anhänger des neuen Weges, Männer und Frauen, wenn er sie dort fände, gefesselt nach Jerusalem führe. 3 Als er aber auf dem Wege war und in die Nähe von Damaskus kam, umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel; 4 und er fiel auf die Erde und hörte eine Stimme, die sprach zu ihm: Saul, Saul, was verfolgst du mich? 5 Er aber sprach: Herr, wer bist du? Der sprach: Ich bin Jesus, den du verfolgst. 6 Steh auf und geh in die Stadt; da wird man dir sagen, was du tun sollst. 7 Die Männer aber, die seine Gefährten waren, standen sprachlos da; denn sie hörten zwar die Stimme, aber sahen niemanden. 8 Saulus aber richtete sich auf von der Erde; und als er seine Augen aufschlug, sah er nichts. Sie nahmen ihn aber bei der Hand und führten ihn nach Damaskus; 9 und er konnte drei Tage nicht sehen und aß nicht und trank nicht.
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Die Predigt
Biblische Redensarten

Viele Bibelverse sind zu Sprichwörtern und Redensarten geworden. Und nur von den bekanntesten wissen die meisten auch, dass sie aus der Bibel kommen. "Man soll sein Licht nicht unter einen Scheffel stellen." heißt es und man meint, man solle nicht allzu bescheiden sein, wenn man eine Sache gut kann. "Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein." Dieser Vers aus dem Buch der Sprüche wird gerne verwendet, wenn einem bösen Tun oder einer bösen Absicht die Strafe auf dem Fuß folgt.

Da wird einer vom Saulus zum Paulus

Zwei solcher Redensarten finden sich auch im heutigen Predigttext wieder, den Sie vorhin als Epistel gehört haben. "Da wird einer vom Saulus zum Paulus." sagen manche, wenn ein Mensch sich um 180 Grad dreht, wenn es in seinem Leben zu einer radikalen Wende kommt. "Es fällt einem wie Schuppen von den Augen." so sagt man, wenn man von einem Moment auf den anderen erkennt, was man bisher nicht erkannt hat.

Der Evangelist Lukas erzählt in Apostelgeschichte 9, wie Saulus zum Paulus wird, wie aus dem fanatischen Christenverfolger ein fanatischer Christusverkündiger wird. So verbohrt war er in seine Überzeugung, dass es ihm erst durch das Erlebnis vor der Stadt Damaskus wie Schuppen von den Augen fällt, dass er auf einem völlig verkehrten Weg war.

Saulus macht eine Wendung um 180 Grad. Das ist richtig. Und doch stimmt eigentlich dieses Sprichwort nicht. Es ist ein altes und verbreitetes Missverständnis, dass er zuerst Saulus hieß, und dann nach dieser Bekehrung auf einmal Paulus:
Lukas verwendet den Namen Paulus erst später, von der sog. 1. Missionsreise an (ab Apg 13,9), ab dem Zeitpunkt also, wo Paulus den
jüdischen Raum verlässt und in den griechisch sprechenden Mittelmeerraum hinausgeht, um in der Ferne das Evangelium zu verkündigen. Er war ein geborener Saul, hebräisch Scha'ul, ein Jude, der aber auch das römische Bürgerrecht hat. Er hieß Saul, so wie der erste König von Israel. Saulus ist nur die griechisch-lateinische Form dieses hebräischen Namens. Doch wie es bei den Gebildeten der damaligen Zeit Brauch war, gab er sich oder gab man ihm einen griechischen Beinamen: Paulus, auf deutsch "der Kleine", wahrscheinlich aufgrund seiner Gestalt. Soweit das Missverständnis. Zurück zur eigentlichen Geschichte.

Paulus erlebt eine Lebenswende. Er dreht sich um 180 Grad, so wie es dann und wann auch heute Menschen erleben: Gesundheitlich z.B., wenn jemand ein Laster, eine ungesunde Gewohnheit aufgibt. Wenn ein Raucher zu einem Nichtraucher wird. Wenn ein Alkoholiker keinen Schluck mehr anrührt. Wenn einer, der bis zum Herzinfarkt oder Schlaganfall über seine Verhältnisse gelebt hat, nun auf einmal seine Grenzen bewusst einhält. Oder auch in einem moralisch Sinne, wenn jemand in seinem Reden und Tun ein schlechter Mensch war, sich um die anderen nicht geschert und nur seinen Vorteil gesehen hat, und nun ein ganz anderer wird. Oder auch im geistlichen Sinne, wenn jemand von einem Gottesleugner oder Gottesverächter zu einem Glaubenden wird. Wenn einer stolz meint, er selber sei der Herr seines Lebens, und muss dann erkennen: Leben ist Geschenk.

Paulus, der fanatische Verfolger

9 1 Saulus aber schnaubte noch mit Drohen und Morden gegen die Jünger des Herrn und ging zum Hohenpriester 2 und bat ihn um Briefe nach Damaskus an die Synagogen, damit er Anhänger des neuen Weges, Männer und Frauen, wenn er sie dort fände, gefesselt nach Jerusalem führe.

Plastischer als mit dieser altertümlichen lutherischen Wortwahl könnte man es nicht sagen: Fanatisch, eifernd und überzogen macht Paulus Jagd auf die Christen. Man nennt sie "Anhänger des neuen Weges": Also sie sind Abweichler vom geraden, vom altbewährten jüdischen Weg und müssen, wenn nötig, mit Gewalt, zurückgebracht werden. Sie wurden vor die Alternative gestellt, entweder ihrem neuen Weg, dieser Sekte, abzusagen oder ins Gefängnis zu gehen. So eifernd war Paulus, dass er die Christen von Jerusalem aus bis ins 200 km entfernte Damaskus verfolgt. An anderer Stelle in der Apostelgeschichte beschreibt er sein Tun so:

Apostelgeschichte 26: 9 Ich meinte, ich müsste viel gegen den Namen Jesu von Nazareth tun. 10 Das habe ich in Jerusalem auch getan; dort brachte ich viele Heilige ins Gefängnis, wozu ich Vollmacht von den Hohenpriestern empfangen hatte. Und wenn sie getötet werden sollten, gab ich meine Stimme dazu. 11 Und in allen Synagogen zwang ich sie oft durch Strafen zur Lästerung, und ich wütete maßlos gegen sie, verfolgte sie auch bis in die fremden Städte.

Die Lebenswende des Paulus

Und dann wie "aus heiterem Himmel" dieses Erlebnis vor der Stadt. Als "Damaskuserlebnis" ist es auch bei manchen sprichwörtlich geworden:
Paulus erlebt eine totale Erschütterung. Er erlebt einen totalen körperlichen und seelischen Zusammenbruch. Geblendet, geschockt, verwirrt, orientierungslos, völlig durcheinander, drei Tage unfähig, zu essen und zu trinken.
Unsere deutsche Sprache kennt viele bildliche Ausdrucksweisen für ein solches Erlebnis: Jemand wird aus der Bahn geworfen. Jemand wird von seinem hohen Ross herunter geholt. Jemand geht k.o.. Jemand wird außer
Gefecht gesetzt.
Paulus erlebt vor Damaskus eine blendende Lichterscheinung und er hört eine Stimme. Man weiß nicht genau, was wirklich geschehen ist. Die Umstehenden begreifen davon nicht viel. Und auch mit seinen eigenen Worten beschreibt es Paulus in seinen Briefen nicht näher. Von einer
direkten Begegnung mit dem auferstandenen und lebendigen Christus berichtet er. Und von dem hellen Licht, das alles neu gemacht hat.

"Gott hat seinen Sohn in mir offenbart." sagt er im Galaterbrief (Gal 1,16). Oder im 2. Korintherbrief: "Denn Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben." (2. Kor 4,6) Oder im 1. Korintherbrief im Zusammenhang mit den Erscheinungen des Auferstandenen:

15 5 Er ist gesehen worden von Petrus, danach von den Zwölfen. 6 Danach ist er gesehen worden von mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal, von denen die meisten noch heute leben, einige aber sind entschlafen. 7 Danach ist er gesehen worden von Jakobus, danach von allen Aposteln. 8 Zuletzt von allen ist er auch von mir als einer Art Fehlgeburt gesehen worden. Denn ich bin der geringste unter den Aposteln, der ich nicht wert bin, dass ich ein Apostel heiße, weil ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe.

Es fällt ihm wie Schuppen von den Augen

In diesem Moment damals vor Damaskus hat Paulus noch nichts begreifen können. Wie bei jedem erschütternden Erlebnis herrschen erst Schock und Versteinerung. Andere wollte er fesseln. Nun ist er selber von diesem Jesus gefesselt. Andere wollte er überwältigen. Nun hat dieser Herr ihn überwältigt. Andere wollte er wegführen. Nun muss er blind und hilflos selbst an der Hand geführt werden. Er wollte das Sagen haben. Nun muss er zuhören, wie man ihm in Gottes Auftrag dieses Erlebnis deutet.

7 Die Männer aber, die seine Gefährten waren, standen sprachlos da; denn sie hörten zwar die Stimme, aber sahen niemanden. 8 Saulus aber richtete sich auf von der Erde; und als er seine Augen aufschlug, sah er nichts. Sie nahmen ihn aber bei der Hand und führten ihn nach Damaskus; 9 und er konnte drei Tage nicht sehen und aß nicht und trank nicht.
(Dann schickt ihm Gott den Hananias. Der muss aber erst überzeugt werden, damit er die Angst vor Paulus verliert. Und die Geschichte endet:)
17 Und Hananias ging hin und kam in das Haus und legte die Hände auf ihn und sprach: Lieber Bruder Saul, der Herr hat mich gesandt, Jesus, der dir auf dem Wege hierher erschienen ist, dass du wieder sehend und mit dem heiligen Geist erfüllt werdest.18 Und sogleich fiel es von seinen Augen wie Schuppen, und er wurde wieder sehend; und er stand auf, ließ sich taufen 19 und nahm Speise zu sich und stärkte sich.

Paulus braucht christlichen, er braucht seelsorgerlichen Beistand. Alleine kann er sein niederschmetterndes Erlebnis nicht verarbeiten. Man führt ihn in ein christliches Haus. Man deutet ihm, was er erlebt hat, und wem er da
begegnet ist. Und am Ende fällt es ihm wie Schuppen von den Augen.

Und die Moral von der Geschicht' ...

"Und die Moral von der Geschicht' ..." So enden manchmal Märchen. Eine Moralpredigt können wir aus dieser Erzählung aber auf keinen Fall machen. Also: Schau, dass du dich endlich um 180 Grad drehst. Schau, dass du endlich deine Bekehrung erlebst. Wenn, dann ist bei einer solchen Lebenswende Gott der Handelnde. Das steht in dieser Geschichte eindeutig. Aus eigener Kraft gibt es keine radikalen Lebenswenden. Man kann sie nicht machen. Man kann sie sich höchstens wünschen und schenken lassen.

Wenn es eine Lehre aus dieser Geschichte gibt, wenn man sie nicht einfach nur als Erlebnis des Paulus stehen lassen will, dann vielleicht das:
Es gibt solche niederschmetternden Erlebnisse auch heute hin und wieder. Es gibt auch heute solche Zusammenbrüche. Aber es ist die Frage, wie man mit ihnen umgeht: Rechne mit der Möglichkeit, dass dir durch ein niederschmetterndes Erlebnis, durch ein Erlebnis, das dich klein, schwach und hilflos macht, Gott etwas zeigen will und kann. Geh nicht anschließend gleich wieder zur Tagesordnung über, ohne daraus zu lernen und es zu verarbeiten. Und: Schäme dich nicht, in diesem Moment wie Paulus Hilfe anzunehmen, weil du so etwas auf keinen Fall alleine verkraften kannst. Ärztliche und psychotherapeutische Hilfe, seelsorgerliche Hilfe, Gebet, Handauflegung und Segnung.

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de