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Die Predigt vom 25. Oktober 1998 (20. Sonntag nach Trinitatis):
»Es glüht und glänzt noch nicht alles«


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  Die evangelische Kirche beging den 20. Sonntag nach Trinitatis. Epistellesung und Predigttext kamen aus dem 1. Brief des Paulus an die Gemeinde in Thessalonich (heute Saloniki, Griechenland) Kapitel 4:

Predigttext

Sie können Texte auch online nachlesen. Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.

  1 Weiter, liebe Brüder, bitten und ermahnen wir euch in dem Herrn Jesus, da ihr von uns empfangen habt, wie ihr leben sollt, um Gott zu gefallen, was ihr ja auch tut -, daß ihr darin immer vollkommener werdet. 2 Denn ihr wißt, welche Gebote wir euch gegeben haben durch den Herrn Jesus. 3 Denn das ist der Wille Gottes, eure Heiligung, daß ihr meidet die Unzucht 4 und ein jeder von euch seine eigene Frau zu gewinnen suche in Heiligkeit und Ehrerbietung, 5 nicht in gieriger Lust wie die Heiden, die von Gott nichts wissen. 6 Niemand gehe zu weit und übervorteile seinen Bruder im Handel; denn der Herr ist ein Richter über das alles, wie wir euch schon früher gesagt und bezeugt haben. 7 Denn Gott hat uns nicht berufen zur Unreinheit, sondern zur Heiligung. 8 Wer das nun verachtet, der verachtet nicht Menschen, sondern Gott, der seinen heiligen Geist in euch gibt.

Predigt

  "Das Leben ist nicht ein Frommsein, sondern ein Frommwerden,
nicht eine Gesundheit, sondern ein Gesundwerden,
nicht ein Sein, sondern ein Werden,
nicht eine Ruhe, sondern eine Übung.
Wir sind's noch nicht, wir werden's aber.
Es ist noch nicht getan oder geschehen, es ist aber im Gang und Schwang.
Es ist nicht das Ende, es ist aber der Weg.
Es glüht und glänzt noch nicht alles, es reinigt sich aber alles."

(Martin Luther, Gesangbuch S. 396)

Ein Christ ist immer im Werden

Ein Christ ist immer ein Christ im Werden. ein Christ ist nie fertig. Ein Christ ist immer auf dem Weg. Das verbindet uns alle miteinander: den 13jährigen Konfirmanden und die treue 80jährige Gottesdienstbesucherin. Jede und jeder von uns hat ein Stück Wegs hinter sich und ein mehr oder weniger langes Stück vor sich. Gewiß, die eine ist weiter und reifer, weil ihr das Leben schon viel abgerungen hat. Und der andere ist noch nicht so weit, weil er noch mitten im Suchen und in der Entwicklung steht.

Weiter oder noch nicht so weit - auf dem Weg sind wir alle miteinander. Wir sind noch nicht fertig. Wir haben im Glauben noch nicht ausgelernt. Dieser Weg hat einmal begonnen ohne unser Zutun. Er hat begonnen mit unserer Taufe. Da hat uns Gott sozusagen auf den Weg gesetzt. Dann haben wir im Glauben Laufen gelernt. Wir hatten Menschen, die uns führten und Vorbild waren. Hoffentlich! Wir haben die ersten selbständigen Schritte getan.

Und das Ziel dieses Weges ist, daß wir uns immer mehr dem annähern, wie Gott uns haben will, daß wir immer mehr dem Bild gleich werden, das er als der Schöpfer von uns hat. Wir sollen Menschen werden. Menschen in dreifacher Beziehung: Menschen für uns selbst, Menschen für den Mitmenschen, Menschen für Gott.

Damals in Thessalonich

Menschen, die schon ein gutes Stück Wegs gegangen sind, aber doch immer noch Fortschritte machen können und sollen. So spricht Paulus die Gemeindeglieder in Thessalonich und heimlich auch uns an. 1 Liebe Schwestern und Brüder, ihr habt von uns empfangen, wie ihr leben sollt, um Gott zu gefallen, was ihr ja auch tut. So bitten und ermahnen wir euch in dem Herrn Jesus, daß ihr darin immer vollkommener werdet.

Positiv fängt er an: mit einem Lob, mit einer Aufmunterung, nicht mit dem Zeigefinger. Er hat ihnen Gottes Gebote weitergegeben. Er hat ihnen erzählt, wie sie leben sollen. Gottes Gebote sollen nicht einschränken und gängeln, sondern sollen helfen, in Frieden und Würde miteinander auszukommen. "Wir bitten und ermahnen euch." Befehlen kann man das nicht, daß ein Mensch mit dem anderen christlich umgeht. Man kann nur herzlich dazu einladen. Und das tut Paulus, denn er fühlt sich verantwortlich für die, die durch ihn zum christlichen Glauben gekommen sind.

Tabuthema Sexualität

An zwei Beispielen aus dem Alltag, an zwei der Zehn Gebote macht Paulus klar, was es heißt, Fortschritte zu machen im christlichen Umgang miteinander: verantwortlich umgehen mit dem anderen Geschlecht und verantwortlich handeln im Geschäftsleben. Warum Paulus gerade auf das sechste und auf das siebte Gebot eingeht, weiß ich nicht. Aber in seinen Briefen wird deutlich, daß er immer auch auf aktuelle Ereignisse Bezug nimmt. Und vielleicht waren gerade da in der Gemeinde in Thessalonisch wunde Punkte. 2 Ihr wißt, welche Gebote wir euch gegeben haben durch den Herrn Jesus. 4 daß ein jeder von euch seine eigene Frau zu gewinnen suche in Heiligkeit und Ehrerbietung, 5 nicht in gieriger Lust wie die Heiden, die von Gott nichts wissen.

Paulus, auch wenn er bewußt nicht verheiratet war, sagt nichts gegen das Zusammensein von Mann und Frau, sagt nichts gegen die Sexualität. Sie gehört von Anfang an zu Schöpfung, in der Gott den Menschen geschaffen hat, daß er fruchtbar sein und sich vermehren soll. Doch er mahnt, im Umgang mit dem anderen Geschlecht die Regeln der Nächstenliebe nicht schuldig zu bleiben. Er grenzt sich ab von einer heidnischen, einer gottlosen und lieblosen Begierde, die den anderen nur besitzen will, haben wie eine Sache, die man nehmen, kaufen und auch wegwerfen kann. Menschen können sich nicht besitzen. Ehepartner können sich nicht besitzen. Freunde und Freundinnen können sich nicht besitzen, wie man eine Sache besitzt. Eine Sache hat man, solange sie ihren Dienst tut, solange sie einem gefällt. Bei Nichtgefallen gibt man sie zurück oder wirft sie weg und besorgt sich eine neue.

Kann man das von Haus aus oder muß man es lernen, wie man andere Dinge im Leben lernt? Könnte es sein, daß unsere Gesellschaft, daß wir alle an unseren Jugendlichen hier etwas versäumen? Sie sind reifer als früher. Sie sind früher reif. Körperlich zumindest. Sie haben so viele Fragen. Aber sie finden nur wenige, die ehrlich auf ihre Fragen eingehen. In der Sexualkunde hat man ihnen die Biologie erklärt. Aber was Partnerschaft bedeutet, wie man miteinander umgeht, welche Verantwortung man für einen anderen Menschen hat, den man sich vertraut gemacht hat, diese Antwort bleiben wir offenbar Jugendlichen allzu oft schuldig.

Christsein im Geschäftsleben

Und das zweite Beispiel, wo es für viele ans Eingemachte geht: wenns es ums Geld geht oder ums Geschäft. 6 Niemand gehe zu weit und übervorteile seinen Bruder im Handel ...

Heißt es nicht oft: Beim Geld hört die Freundschaft auf. Bedeutet das: Wenn es um das Geschäft oder um das Geld geht, ist auch der eine oder andere Trick erlaubt? Heißt das, dem Finanzamt gegenüber muß man nicht alles sagen? Das wichtigste Wort in diesem Satz ist wahrscheinlich das Wort "Bruder": "Daß keiner seinen Bruder übervorteile." Das heißt doch: In den Augen Gottes, von der Schöpfung und von der Taufe her ist der andere genauso viel wert wie ich. Hört ein Mensch auf, Bruder oder Schwester zu sein, Mitmensch zu sein, sobald er mein Konkurrent ist?

Gott hat die Augen auf

Wie wichtig und wie ernst es Paulus an diesem Punkt ist, zeigt, daß er zwar freundlich, einladende und werbend beginnt, aber dann doch auch knallhart sagt, was Sache ist: 6 ... denn der Herr ist ein Richter über das alles, wie wir euch schon früher gesagt und bezeugt haben.

Gott hat eine Auge auf die Schwächeren. Er hat ein Auge auf die Ausgeschmierten. Er hat ein Auge auf die, denen man die Liebe und die Gerechtigkeit schuldig bleibt. Er steht auf der Seite derer, die in ihrer Ehe oder Partnerschaft ausgenutzt oder betrogen werden, auf der Seite derer, die im Geschäftsleben skrupellos übervorteilt werden. Ist diese Frohbotschaft für die Benachteiligten Drohbotschaft für die anderen? Nun ja, wir brauchen vor diesem Richter so lange keine Furcht zu haben, wie wir uns an diesen Punkten nichts vorzuwerfen haben.

Die eigene Würde bewahren

Doch weil Drohen im allgemeinen so wenig hilft, sagt es Paulus auch noch auf andere Weise. Er versucht zu erklären, wozu Gottes Gebote gut sind: das sechste vom sexuellen Umgang miteinander und das siebte vom Geschäftsleben. Sie sind auch, aber nicht nur dazu da, den Schwächeren vor dem Stärkeren zu schützen. Sie sind auch dazu , mich vor mich selber zu schützen. Mich davor zu schützen, daß ich mir selber meinen Wert und meine Würde als Menschen beschädige. 7 Denn Gott hat uns nicht berufen zur Unreinheit, sondern zur Heiligung. 8 Wer das nun verachtet, der verachtet nicht nur Menschen, sondern auch Gott, der seinen heiligen Geist in euch gibt.

Heiligung, heilig werden ist nicht so sehr eine Sache eigener Anstrengung und Bemühung. Heilig sind wir von Gott her, sagt Paulus, weil Gott uns in der Taufe seinen heiligen Geist geschenkt hat. Gottes Heiliger Geist, Gott selber nimmt Wohnung in uns. Deswegen ist unser Leben, deswegen sind wir selber durch und durch wertvoll.

Erkämpfen müssen wir das nicht, aber verscherzen können wir es schnell und leicht: Mißachten wir also unseren Mitmenschen, so mißachten wir damit auch Gott und in letzter Konsequenz auch uns selber. Wir nehmen uns selbst die Würde. Bis zu einem Punkt gar, wo wir uns selber nicht mehr in die Augen blicken können, wo wir uns selber nicht mehr guten Gewissens im Spiegel anschauen können, es sei denn, wir hätten alle Skrupel und alle Maßstäbe verloren.

Als Christen auf dem Weg zum Menschsein: Menschsein für den Mitmenschen, Menschsein für Gott, und auch Menschsein für uns selbst. Was das heißt, hat uns Christus vorgelebt. Amen

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de