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Die Predigt |
Die
Welt ist anders
Das ist ganz und gar nicht unsere heutige gegenwärtige Welt,
die hier in der Offenbarung des Johannes beschrieben wird. "Der
Tod wird nicht mehr sein." Wir haben eben erst gehört, wer
unter uns in diesem vergangenen Jahr gestorben ist. Mitten im Leben
stand oft der Tod. Manchmal unbarmherzig, manchmal auch barmherzig.
"Kein Leid wird mehr sein." Und doch kennen wir das eigene
und das in unserer Nachbarschaft. Alter, Krankheit, Sorgen. Seelisches
oder körperliches Leid. Bekanntes und namenloses. "Kein
Schmerz wird mehr sein." Und mancher liegt zu Hause oder im Krankenhaus,
und nur die entsprechenden Medikamente können ihm für ein
paar Stunden ein wenig Ruhe verschaffen.
Nein, es ist nicht unsere und es war auch nicht die damalige Welt,
die der Seher Johannes im letzten Buch der Bibel geschaut hat und
in Worte zu fassen versuchte. Johannes durfte Dinge sehen aus einer
Welt und einer Zeit jenseits unserer Welt und Zeit. Er erhielt einen
Einblick sozusagen in eine andere Dimension. Und auszudrücken,
was er sah, dafür reichten die
Worte und Begriffe nicht, weil unsere menschliche Sprache ja nur für
diese sichtbare Welt gemacht ist.
Es gibt sie, diese Welt ohne Leid und Tod. Sonst hätten wir Ihnen
nur einen billigen Trost, eine Vertröstung, gesagt, als Sie diese
Worte vielleicht am Grab oder in der Trauerhalle gehört haben.
Es gibt sie, aber sie ist nicht sichtbar, nicht greifbar, nur glaubbar.
Für unsere Verstorbenen Gegenwart, für uns andere Zukunft.
Nahtoderlebnisse: Blick in Gottes Welt?
1 Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der
erste
Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht
mehr.
Gottes neue Welt, nicht eine verbesserte alte, sondern eine Neuschöpfung
Gottes. Aber wann? Dieser Frage müssen wir uns stellen. Sie kommt
sichtbar, wenn Gott seine Herrschaft aufrichtet, und dem Bösen
endgültig die Macht nimmt. Dass dann auch das Meer nicht mehr
sein werde, kommt daher, dass es die damaligen als bedrohlich und
feindlich erlebt haben. Eine neue Welt am Ende der Zeiten. Doch nichts
hindert uns zu sagen: Wer durch das Tor des Todes hindurch diese Welt
hier hinter sich lässt, wer ans Ende seiner persönlichen
Zeit kommt, für den öffnet sich diese neue Welt schon.
Eine Welt, die für unsere Augen und für unser waches Bewusstsein
normalerweise verborgen ist. Eine Welt, die aber wie der Seher Johannes
vielleicht manche Menschen schon haben sehen dürfen, wenn sie
als Sterbenskranke, als frisch Operierte oder Klinisch Tote wieder
ins Leben
zurückgeholt wurden und von dem hellen Licht dort und der unendlichen
Zufriedenheit erzählten. Ein Zustand, den die meisten am liebsten
nicht mehr verlassen hätte.
Von Nahtoderlebnissen spricht man. In der Sensationspresse manchmal
fälschlich als Berichte vom Leben nach dem Tod, obwohl sie das
doch nicht sind. Es sind Berichte vor und auf der Schwelle des Todes,
wo jemand die Tür schon einen Spalt offen sah, ohne aber schon
seinen Fuß über die Schwelle gesetzt zu haben. Wer über
die Schwelle gegangen ist, der kommt nicht mehr zurück, der kann
auch nichts mehr erzählen. Keine Berichte vom Leben nach dem
Tod. Aber niemand kann einen hindern zu sagen: Wenn es schon auf der
Schwelle so schön sein soll, wie muss es dann erst hinterher
sein?
Gott wohnt in der Nachbarschaft
Eine neue Welt? Ja, ist "Welt" überhaupt das richtige
Wort? Eher ein anderes Land so wie Nangilima bei Astrid Lindgren?
Eine andere Dimension jenseits unserer drei Dimensionen? Eine andere
Wirklichkeit gleichzeitig mit der unseren? Unsere Vernunft reicht
nicht. Unsere Sprache reicht nicht. Auch Johannes hat nur stotternde
Bilder. Die neue Welt wie eine geschmückte Braut, also: Gott
und Mensch vereinen sich. Gott ist nicht mehr fern. Gott und Mensch
leben in einem herzlichen Verhältnis wie es auf dieser Erde nur
einer Ehe vergleichbar ist.
2 Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott
aus dem
Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für
ihren
Mann.
Gott selbst macht sich auf den Weg herab zum Menschen. Nicht der Mensch
muss sich zu ihm aufschwingen und hinaufkämpfen. Hinauf, herab
– auch nicht mehr als ein Bild. Gottes Hütte bei den Menschen:
Gott verlässt die Ferne seines Himmels, verlässt seinen
Palast, kommt dem Menschen unmittelbar nahe, wohnt Seite an Seite
mit ihm, sozusagen wie in der Nachbarschaft.
3 Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her,
die sprach:
Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei
ihnen
wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen,
wird ihr Gott sein.
Und deswegen, weil Gott so nahe ist, weil Schöpfer und Geschöpf
wieder eins sind wie damals im Paradies: keine Tränen mehr, kein
Tod mehr, kein Leid, kein Geschrei, kein Schmerz. Eigentlich wie Weihnachten.
Sterben, für den Gehenden ein Gefühl wie Weihnachten? Kann
man das sagen?
Der Seher Johannes und die Christenverfolgung
Und wir? Was ist mit den Zurückbleibenden, für diese Welt
noch keine Realität ist? Schauen wir dazu einmal kurz in die
damalige Zeit, in der die Worte entstanden: Johannes schreibt an verfolgte
Christen am Ende des ersten Jahrhunderts.
Seine sogenannte Offenbarung, seine Schau in eine andere Dimension,
sein Blick hinter die Kulissen der Geschichte enthält Trostworte
für eine trostlose Zeit: Allen Bewohnern des römischen Reiches
mit seinen verschiedenen Völkern wurde damals als einigendes
Band die Verehrung des Kaisers als Gott auferlegt. Viele Christen
fügten sich dem damals offenbar, um ihr Leben zu erhalten. Sie
fügten sich äußerlich und hielten ihren Glauben im
Herzen verborgen. Viele aber auch konnten mit diesem Kompromiss nicht
leben und verweigerten sich der Kaiseranbetung trotz Todesandrohung.
Keiner von ihnen wusste, was der morgige Tag bringen würde. Ob
er entdeckt würde, ob ihn jemand denunzieren würde, ob ihm
die Entscheidung, sich zu seinem Gott zu bekennen oder zum Kaiser,
abverlangt werden würde.
In diese Situation hinein hören die Christen damals: Noch hat
der Kaiser Macht, noch gebärdet sich durch ihn das Böse
wie wild. Aber letztlich
haben sie schon verloren und ihre Zeit ist abgelaufen. Deswegen "Sei
getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben."
(Offenbarung 2,10)
Vor und hinter den Kulissen
Gott also ist hinter den Kulissen der eigentliche Herr der Geschichte.
Vor den Kulissen machen die Politiker ihr letztes Theater. Vor den
Kulissen führt der Tod seinen letzten Tanz auf. Doch Gott wird
sich durchsetzen. Seine neue Welt liegt bereit, auch wenn es sichtbar
und greifbar noch nicht so weit ist.
Diese Zuversicht scheint viele Christen in der damaligen Bedrängnis
sehr gestärkt zu haben. Auch von Menschen mit Nahtoderlebnissen
heißt es, viele hätten ihr Leben radikal geändert,
praktisch alle hätten die Angst vor dem Tod verloren. Ja, manche
hätten sogar Sehnsucht nach dieser neuen Welt.
Heute schon ein Stückchen Himmel
Wie wäre es mit eine goldenen Mittelweg zwischen einem wurstigen
Dahinleben und Todessehnsucht: Getrost weiterleben wie der Bauer,
der noch vor dem Frost sät, und weiß, dass das weiße
Leichentuch, das sich dann darüber legen wird, der Saat nichts
antun kann, sondern dass sie im anderen Jahr grün durch den Schnee
kommen wird. Also:
Wer an die Tränen glaubt, die einmal ganz gewiss abgewischt werden,
der kann vielleicht jetzt schon anderen helfen, sich einmal auszuweinen
und ihnen heute schon Tränen abwischen.
Wer weiß, dass der Schmerz nicht mehr sein wird, der kann vielleicht
heute schon anderen in ihrem Schmerz beistehen.
Wer weiß, dass das Leid ein Ende haben wird, der kann vielleicht
jetzt schon alles tun, fremdes Leid zu lindern.
Wer weiß, dass kein Geschrei mehr sein wird, der kann vielleicht
heute schon geduldig einem Menschen sein Ohr und seine Zeit leihen,
damit
er in seiner Gegenwart einmal das Seine herausschreien und vorjammern
darf.
Ja, wer weiß, dass einmal auch kein Tod mehr sein wird, der
kann dann vielleicht selber einem Sterbenden geduldig, treu und beharrlich
beistehen und dadurch dem Tod ein wenig von seiner Macht nehmen.
Wäre das alles nicht schon ein kleines Stückchen Himmel?
Würde da nicht immer wieder schon die Tür in Gottes neue
Welt für einen Spalt geöffnet? Mehr können wir hier
und heute nicht erwarten. Aber es wäre ja eigentlich schon unendlich
viel.
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