Startseite | Impressum | Kontakt
predigt[e].de

Die Predigt vom 15. März 2009 (Okuli):
»Radikal und weltfremd?«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging den Sonntag Okuli. Sein Thema ist die Nachfolge Jesu. Evangelium (1. Lesung) und Predigttext (s.u.) waren Nachfolgegeschichten aus dem Lukasevangelium Kapitel 9 und Epistel (2. Lesung) der Aufruf zu einem heiligen, Jesus gemäßem Leben.
Predigttext
Online-Bibeln der Bibelgesellschaft

Weitere Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.
Der Predigttext
57 Und als sie auf dem Wege waren, sprach einer zu ihm: Ich will dir folgen, wohin du gehst. 58 Und Jesus sprach zu ihm: Die Füchse haben Gruben, und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.
59 Und er sprach zu einem andern: Folge mir nach! Der sprach aber: Herr, erlaube mir, daß ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe. 60 Aber Jesus sprach zu ihm: Laß die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes!
61 Und ein andrer sprach: Herr, ich will dir nachfolgen; aber erlaube mir zuvor, daß ich Abschied nehme von denen, die in meinem Haus sind. 62 Jesus aber sprach zu ihm: Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.
Predigt
Aktuelle Predigten

Gesamtübersicht der Predigten

Stichwortverzeichnis
zu den Predigten

Die Predigt
Was würde Jesus tun?

Armbänder mit den vier Buchstaben W.W.J.D. sind in bestimmten christlichen Kreisen sehr in Mode. W.W.J.D., das ist in Amerika eine richtige Jugendbewegung. W.W.J.D.: „What would Jesus do?" „Was würde Jesus tun?" Es geht um die Frage, wie ich mich hier und heute in meinem Leben als Christ in einer konkreten Situation verhalten sollte. Die Bibel ist ja nicht wie ein Kochbuch, in dem für jede denkbare Situation die richtige Antwort zu finden ist. Die Zeiten haben sich gewandelt seit 2000 Jahren. Viele unserer heutigen Fragen kannte man in biblischer Zeit nicht. Deswegen sind Christen zum Nachdenken eingeladen und aufgefordert: Wie hätte Jesus, wie wir ihn aus den Evangelien kennen, vielleicht in diesem Fall reagiert?

Vor 25 Jahren starb Pfarrer Martin Niemöller. In kirchlichen Zeitungen wurde deswegen in der letzten Woche an ihn erinnert. Sechs Jahre verbrachte er im Konzentrationslager und im Gefängnis wegen seines Widerstandes in der Zeit des Dritten Reiches. Nach dem Krieg war er maßgeblich am Wiederaufbau der Kirche beteiligt. Er wollte für all das nicht gelobt werden, weil er als ehemaliger U-Boot-Kommandant anfangs Sympathien für die Nationalsozialisten hatte. Sein Lebensmotto war: „Was würde Jesus dazu sagen?“

Was ist Nachfolge?

„What would Jesus do?" Handeln, wie Jesus vielleicht gehandelt hätte. Heute in seinem Namen handeln und das Richtige tun.
„Was würde Jesus dazu sagen?“ Heute im entscheidenden Moment mutig den Mund aufmachen.
Um diese Frage geht es bei der sog. „Nachfolge". Sie ist das Thema des heutigen Sonntags Okuli. Was ist Nachfolge? Was bedeutet das heute: Jesus nachfolgen. Hinter ihm her gehen. Auf seinen Wegen gehen. In seinem Namen handeln.

Damals zur Zeit Jesu war Nachfolge ganz einfach wörtlich zu verstehen. Nachfolge war Nach-folgen, Hinterhergehen: Menschen schließen sich dem Wanderprediger Jesus an und folgen ihm ganz wörtlich. Menschen, die von ihm oder durch ihn Großes erlebt hatten. Menschen, die gesund geworden waren. Menschen, die von seinen Worten im Innersten getroffen waren. Sie verlassen ihre Familie, ihre Heimat, ihren Beruf. Leichter konnte man damals Nachfolge nicht haben. Leichter konnte man diesen Jesus nicht haben.

Wissen, worauf man sich einlässt

Deswegen sagt Jesus auch in dem ersten Beispiel, das wir im Evangelium gehört haben, zu dem jungen Mann, der sich anbietet, ihm zu folgen: „Bist du dir auch bewusst, worauf du dich einlässt, wenn du mir nachfolgen willst? Weißt du, was du damit alles aufgeben wirst? Der Fuchs hat seinen Bau und der Vogel sein Nest. Aber ich weiß am Morgen noch nicht, ob und wo ich am Abend ein Dach über dem Kopf haben werde." Wir wissen nicht, wie diese erste der drei genannten Begegnungen ausgegangen ist.
„Weißt du, worauf du dich einlässt." Diese Frage ist wichtig und wird auch heute denen gestellt, die in einen Orden oder eine andere verbindliche christliche Gemeinschaft eintreten wollen. Es gibt erst einmal eine mehrjährige Probezeit. Es wird reiner Wein eingeschenkt, damit nicht später jemand kommt und sagt: „Ihr habt mich in meiner ersten religiösen Begeisterung eingefangen. Was da alles auf mich zukommt, konnte ich nicht überschauen.“

Sich ganz und gar einlassen

Diesem Jesus nachzufolgen hieß damals aber auch, sich mit voller und ungeteilter Aufmerksamkeit in seinen Dienst zu stellen. In seiner Nachfolge bekamen die alltäglichen Dinge einen anderen Wert. Was vorher unverzichtbar gewesen sein mochte, hatte nun angesichts der neuen Aufgabe keine Bedeutung mehr. So sagte Jesus im zweiten Beispiel dem Mann, der ihm folgen sollte, aber zuvor noch seinem Vater den letzten Liebesdienst erweisen wollte, dieses erschreckende Wort: „Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes."

Und noch ein dritter bietet Jesus die Nachfolge an. Doch auch er sagt: „Ja, aber." „Ja, ich will dir nachfolgen, aber vorher muss ich noch einmal nach Hause, um es meiner Familie zu erklären und mich zu verabschieden." Auch ihm sagt Jesus genauso radikal: „Bei mir gibt es kein 'ja aber’. Wenn du in meinen Dienst treten willst, dann sofort und ganz. Du brauchst die ganze, ungeteilte Aufmerksamkeit. Denk an den Bauern: Wenn er pflügt, muss er beide Hände am Pflug habe und nach vorne schauen. Wenn er sich umdreht und nach hinten schaut, wird er unweigerlich krumme Furchen ziehen."

Ist das nicht radikal und weltfremd?

„What would Jesus do?" Heute so handeln, wie Jesus vielleicht gehandelt hätte. Heute seine Worte in die Tat umsetzen. Das klingt eigentlich ganz einfach. Aber gerade bei solchen Jesuserzählungen spüren wir, wie schwierig es umzusetzen ist, wenn man es wörtlich nimmt.
Wir – so sage ich einmal vereinnahmend zu Ihnen als Gottesdienstbesucher. Wir wollen Christen sein. Wir wollen Jesus nachfolgen. Aber wir leben fast alle in einer Familie. Die noch nicht im Ruhestand sind, haben ihren Beruf. Wir haben ein festes Dach über dem Kopf. Wir gehen auf den Friedhof und ehren die Verstorbenen. Und wir denken nicht im Traum daran, das alles für Jesus aufzugeben. Oder?
Und als Lutheraner könnten wir sagen: Sogar Martin Luther hat sich ja mit einem großen Fest von seinen Freunden verabschiedet, bevor er ins Kloster ging.

Wie sollen wir also umgehen mit solchen radikalen Jesusworten, wie wir sie heute gehört haben?

Die einfachste Möglichkeit wäre, zu sagen: „Was Jesus hier diesen drei jungen Männern sagt, ist zeitbedingt. Es galt für die Menschen damals, als er noch lebte. Da gab es Nachfolge im wörtlichen Sinn. Und vor allem: Man war damals davon überzeugt, dass die Welt bald zu Ende gehen und Gott erscheinen werde. Da konnte man radikaler sein." Da ist etwas Wahres dran. Doch wenn es so einfach wäre, könnten wir die 2000 Jahre alte Bibel ja gleich auf die Seite schieben oder uns nur das herauspicken, was uns gefällt.

Oder man könnte sagen: „Diese Zumutung, mit Gott ganz Ernst zu machen bis hin zur Aufgabe des Liebsten, was man hat, die gilt zwar noch, aber doch nur für wenige ausgesuchte Christen. Auch damals war die Jüngerzahl ja begrenzt. Nicht jeder muss ein Albert Schweitzer, ein Martin Luther King oder eine Mutter Teresa sein."
Auch da ist etwas Wahres dran. Aber immer noch würden wir uns dadurch dieses Evangelium vom Leib halten, indem wir sagen, es gilt für andere, aber nicht für uns.

Gegen die wortwörtliche Befolgung der Bibel

Nein, ich meine, so ernst will unsere Bibel, so ernst will Jesus genommen werden, dass das Gesagte auch heute noch dir und mir gilt. Da liegt für mich der Weg zu einer Lösung: Es geht, wie es sprichwörtlich heißt, nicht um den Buchstaben, sondern um den Geist. Es geht nicht um ein wortwörtliches Verständnis, sondern um den Sinn hinter den Worten.
Nehmen wir diese drei Beispiele doch einmal ganz einfach als das, was sie sind: Drei konkrete Einzelbeispiele aus dem Leben Jesu. Drei Momentaufnahmen, die uns berichtet werden. Drei Blitzlichter aus seinen vielen, vielen Begegnungen mit ganz konkreten Menschen. Jesus kannte die wunden und springenden Punkte bei jedem Einzelnen. Er wusste, was in einem Menschenleben dran war; welche Herausforderung gerade entscheidend wichtig war. Er wusste, was er von einem Menschen verlangen konnte und musste. Diesem einen Menschen und nur ihm galt ein solches Wort und es ist nicht einfach wortwörtlich auf andere zu übertragen.
So konnte Jesus in einer anderen biblischen Geschichte einen Menschen auch ganz bewusst auffordern, ihm nicht nachzufolgen, sondern in seinem Dorf zu bleiben, und dort von seiner Heilung zu erzählen. (Markus 5,18-20)

Wo braucht Gott uns?

Das ist das Schwere an diesen Nachfolge-Geschichten: Nicht so sehr ihre Radikalität, sondern dass sie uns zwingen, unseren eigenen, ganz persönlichen Weg zu finden. Manchem wäre es lieber, die Bibel wäre eine Art Kochbuch, wo man genau nachlesen kann, was man in einer konkreten Situation zu tun hat. Manche wünschen sich einen Guru, der es ihnen sagt. Und viele fallen deswegen auch auf solche Gurus rein.

Gott, was willst du von mir ganz persönlich? Hier und heute? Was hast du mit meinem Leben vor? Dieses Nachdenken und Fragen ist das eigentlich Schwere. Aber einfacher und billiger ist Gott, ist Jesus auch heute nicht zu haben. Wenn ich mir die drei Begegnungen damals anschaue, dann wären das Fragen wie:
Was ist mein wunder Punkt, wo ich mich dir, Gott, verweigere? Woran hängt mein Herz so, dass du gar keinen Platz hast? Was ist es, was ich loslassen und ändern müsste, um wirklich frei zu werden? Wo könnte, wo sollte, ja wo müsste mein Leben konsequenter, klarer, intensiver, ehrlicher, gläubiger werden?
Und das sieht dann im Ergebnis bei einem jeden von uns anders aus. Von dem einen kann und wird Gott mehr verlangen. Dem einen wird er mehr, dem anderen weniger zutrauen. Aber er wird uns nichts zutrauen und zumuten, für das er uns nicht auch die nötige Kraft geben wird.

Nachfolge jeden Tag neu als die Frage: Gott, wozu brauchst du mich heute? Wozu brauchen mich die Menschen? Was würdest du heute vielleicht tun, Jesus? Und was hättest du gesagt?

nach oben

Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de