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Die Predigt vom 2. November 2003 (Reformationsfest):
»Zu schön, um wahr zu sein?«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging am 31. Oktober den Gedenktag der Refomation. (Er wurde, weil an diesem Tag kein Gottesdienst stattfand, am Sonntag bedacht.) Sein Thema ist die Rechtfertigung – der Wert des Menschen, der nicht in seiner Leitung begründet liegt. Evangelium und Predigttext dieses Sonntags (s.u.) waren die sog. Seligpreisungen aus Matthäus 5:
Predigttext
Sie können Texte auch online nachlesen. Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.
Der Predigttext
1 Als er aber das Volk sah, ging er auf einen Berg und setzte sich; und seine Jünger traten zu ihm. 2 Und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach: 3 Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich. 4 Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. 5 Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen. 6 Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden. 7 Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. 8 Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen. 9 Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen. 10 Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich.
Predigt
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Die Predigt
Selig sind die Frechen

"Und der tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach: Selig sind die Frechen, denn sie werden sich durchsetzen. Selig sind die, bei denen immer alles glatt läuft, denn sie werden am leichtesten durchs Leben kommen. Selig sind, die ihre Ellenbogen einsetzen, denn sie werden immer obenauf sein. Selig sind, die es mit dem Recht nicht so ganz genau nehmen, denn sie werden Erfolg haben. Selig sind die Skrupellosen, denn sie werden ihr gestecktes Ziel erreichen."

Die Sanftmütigen werden den Kürzeren ziehen

Würde das unserer Wirklichkeit nicht viel mehr entsprechen? Schauen Sie sich doch um in Wirtschaft und Politik, am Arbeitsplatz und auf den Straßen – so höre ich. "Seligpreisungen" nennt man die bekannten Worte Jesu von Luthers Übersetzung her "Selig sind ...". Besser wäre: "Wohl denen ..." oder "Glücklich können sich schätzen ...". Die Fragen bleiben: Die arm daran sind, sanftmütig, nachgiebig, auf Gerechtigkeit für andere bedacht, barmherzig, die ohne Tricks und Notlügen durchs Leben gehen, die sich aktiv für den Frieden einsetzen ... Können sie sich wirklich glücklich schätzen? Ziehen sie nicht oft genug den Kürzeren?

Jesus ist kein Phantast

Jesus habe die heutige Welt nicht gekannt, sagen manche. Nein, die Welt war damals auch nicht besser. Aber Jesus gibt sich nicht mit den sog. Sachzwängen und den Gegebenheiten zufrieden. Und er hat die im Blick, die nicht wie die Fettaugen oben auf der Suppe schwimmen. Wie schnell kann umgerührt werden – auch heute – und man findet sich plötzlich bei den anderen wieder. Alle die waren damals am Berg versammelt. Die Armen, die Kranken. Die an den Rand Geratenen in einer Gesellschaft, die keine Sozial- und Krankenversicherung kannte:

5 1 Als er aber das Volk sah, ging er auf einen Berg und setzte sich; und seine Jünger traten zu ihm. 2 Und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach: 3 Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich. 4 Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. 5 Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen. 6 Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden. 7 Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. 8 Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen. 9 Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen. 10 Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich.

Nur eine Vertröstung?

Zu schön, um wahr zu sein, haben die Bibelleser und Theologen immer wieder gesagt und gefragt: Wie ist das also gemeint? Auch für heute. Will Jesus vor allem trösten und aufrichten? Ja und nein, denn er sagt auch deutlich, was zu tun wäre. Vertröstet Jesus auf später, auf eine himmlische Gerechtigkeit? Ja und nein: Es wird diese Gerechtigkeit geben. Aber jetzt schon lohnt es sich, so zu handeln. Möchte Jesus, dass alle radikal jetzt schon so leben und dadurch die Welt umkrempeln? Ja und nein: Viel mehr Menschen müssten so handeln. Aber die endgültige Gerechtigkeit schafft Gott. Und noch ist der Himmel nicht die da, und die Welt noch nicht erlöst.

Trost und Ermutigung

Und so sind die Seligpreisungen beides. Sie sind, wie Martin Luther sagt, Gesetz und Evangelium. Sie sind Trost und Zuspruch, aber sie können und wollen auch zu einem neuen Handeln befreien. Und wer so handelt, nimmt jetzt schon ein Stück Himmel, ein Stück der neuen Gerechtigkeit vorweg. Er gibt den Menschen um sich herum ein Zeichen. Und er wird auf davon profitieren.

Aber dass sie Geschenk sind, bleibt doch im Vordergrund auch da, wo es um das neue Handeln geht: Ich kann mich ja nicht selber sanftmütig, barmherzig und friedfertig machen. Ich kann es mir vielleicht vornehmen, aber nicht befehlen. Aber wer weiß, dass Gott ihn hält, dass Gott ihm Boden unter die Füße gibt, der braucht sich nicht mit Ellenbogen, mit Macht, Konkurrenz oder Frechheit diesen Boden selber zu beschaffen.

5 1 Als Jesus aber das Volk sah, ging er auf einen Berg und setzte sich; und seine Jünger traten zu ihm. 2 Und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach:

Man kann sich die Seligpreisungen nur als Worte Jesu vorstellen, nicht als allgemeine Regeln. Sie gewinnen ihre Kraft nur, indem sich jemand wie die Menschen damals persönlich angesprochen fühlt: Wir sind ja nicht immer alles, was hier steht: arm, leidend, sanftmütig, barmherzig. Ein Satz reicht. Und wenn der trifft, dann tröstet er und richtet auf. Und er befreit zu neuem Handeln.

Gott schreibt niemanden ab

3 Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.

Geistlich arm – was ist damit gemeint? Auf jeden Fall nicht geistig minderbemittelt. Arm dran, so würden wir heute sagen, waren die, um die sich Jesus damals gekümmert hat. Zerschlagenen Herzens heißt es im Alten Testament. Abgelehnt von den Frommen, denn als Ungebildete kannten sie ihre Bibel nicht und konnten in ihren Augen allein deswegen nicht auf dem rechten Weg sein. Auch ihnen gehört das Himmelreich, sagt Jesus. Also: Gott hat sie nicht abgeschrieben. So reden kann Jesus nur, weil er auch so gehandelt hat.

Beides also: Trost und Aufruf. Wer sich so fühlt: arm dran, zerschlagen, abgeschrieben. Der soll hören: Gott hat dich nicht vergessen. Und wer gerade stark ist, der soll seine Augen aufmachen und sich umschauen, wer gerade Stärkung braucht. Nicht mit frommen Worten: "Der liebe Gott hat dich nicht vergessen." Sondern mit der Tat, mit ein wenig Zeit, mit einer Umarmung, oder was gerade aufrichtet.

4 Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.

Auch hier Trost und Aufruf. Wer Leid trägt, wer einen Verlust erlitten hat, der soll erfahren: Du bist nicht allein gelassen. Gott hat dich nicht vergessen. Er hat trotz allem Gutes mit dir vor. Und wer Leid überwunden und Gottes Hilfe erfahren hat, der soll seine Augen aufmachen und sich umschauen, wer gerade Trost braucht.

Es ist noch lange nicht ausgemacht ...

5 Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.

Sanftmütig, das heißt nicht schwach oder unterwürfig. Auch die Sanftmütigen haben Mut. Auch die Sanftmütigen sind stark. Aber sie verwenden nicht jedes Mittel. Sie mögen auf den ersten Blick den Kürzeren ziehen. Aber es nicht noch lange nicht gesagt, wer am Ende erfolgreicher sein wird und wer Gottes Schöpfung und die Gesellschaft weiter voran bringt. Was auf den ersten Blick wie ein Aufruf klingt, ist eigentlich mehr Trost: Mach dir nichts draus. Wenn du weißt, dass Gott dir Stärke gibt und festen Boden unter die Füße, dann brauchst du dir das alles nicht mit Ellenbogen zu schaffen.

Und genauso gilt es auch für die Barmherzigen, für die, die reinen Herzens bleiben und keine Kompromisse eingehen wollen, und für die, die sich als Friedensstifter wie Jesus zwischen die Fronten stellen. Sie gehören oft genug auf Anhieb zu den Verlierern oder zu denen, die den Kürzeren ziehen. Sie geben ein Beispiel für die Welt, wie sie erst noch werden soll und wie sie Jesus sich vorstellt. Aber mit ihrem Beispiel machen sie deutlich: Es geht entgegen allen Beteuerungen auch anders. Und sie ziehen vielleicht immer mehr auf ihre Seite.

Die Politik und die Gerechtigkeit

6 Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.

Die Welt ist noch nicht so, wie sie einmal werden soll und wird. Wahrscheinlich ist beim Hunger nach Gerechtigkeit am deutlichsten, dass Jesu Worte nicht einfach eins zu eins im Alltag und in die Gegenwart umgesetzt werden können, dass sie nicht einfach politische Handlungsanweisung sind. Ich möchte derzeit nicht in der Haut der Politiker stecken: Wie sie es machen, machen sie es im Moment falsch. Sorgen sie für die Älteren und die Renten, bürden sie den Jüngeren die Last auf. Kommen sie den Jüngeren entgegen oder der Wirtschaft, dann werden sie die Älteren und die Arbeitnehmer gegen sich aufbringen. Ersparen sie uns heute die Zumutungen, dann wird das Problem nur auf spätere Generationen abgewälzt. Setzen sie alle ihre Zumutungen durch, dann bleiben v.a. die Schwächeren auf der Strecke, um die sich Jesus damals besonders gekümmert hat, und die er ja auch uns ans Herz gelegt hat.

Herr, erbarme dich!

Da kann ich am ehesten den Auslegern zustimmen, die sagen, die Seligpreisungen reden von einer Welt, die noch nicht da ist, und sie reden nicht von unseren menschlichen, sondern von Gottes Möglichkeiten. Und ich kann nur zusammen mit ihnen bitten: Herr, erbarme dich. Erbarme dich derer, die Verantwortung tragen in Politik und Wirtschaft und hilf ihnen zu guten Entscheidungen. Erbarme dich unser, dass wir durch unser Tun jetzt schon Zeichen setzen für deine kommende Welt. Amen

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de