Eine
fromme Erfindung
Dass
einer von den drei Heiligen Königen ein Schwarzer gewesen sein
soll, wie wir vorhin gesehen haben, ist nur eine fromme Erfindung.
Es verweist aber trotzdem auf eine tiefe Wahrheit des heutigen Festes.
Aber der Reihe nach:
Wir feiern heute am 6. Januar noch einmal Weihnachten: Wir feiern
Weihnachten mit den christlichen Kirchen in Osteuropa. Und so haben
wir mit der Anbetung der Könige im Evangelium heute sozusagen
den zweiten Teil der Weihnachtsgeschichte gehört.
Seit Tagen gehen die katholischen Sternsinger von Haus zu Haus,
dorthin wo sie willkommen und eingeladen sind. Drei Könige
mit ihrem Gefolge. Eine schöne Geschichte, nur steht davon
leider nichts in der Bibel. Wahrscheinlich erzähle ich Ihnen
nicht viel Neues:
„Siehe, da kamen Weise aus dem Morgenland“ heißt
es in Matthäus 2. „magioi“ steht da im Griechischen,
also unser deutsches Wort „Magier“. Doch Magier, Zauberer
im heutigen Sinne waren sie nicht. Astronomen waren sie und Astrologen.
Beides war damals noch miteinander vereint: Die wissenschaftliche
Betrachtung der Gestirne und die Überzeugung, dass ihr Lauf
etwas mit dem Lauf des Lebens auf der Erde zu tun hat, gehörten
zusammen.
Christus kommt zu aller Welt. Und alle Welt kommt zu ihm.
Dass
es drei gewesen seien, steht nicht da. Vermutlich hat sich das aus
den drei Geschenken Gold, Weihrauch und Myrrhe entwickelt. Und dass
aus den Weisen in der Überlieferung Könige wurden, hat
wohl auch mit diesen Geschenken zu tun. Sie waren wegen ihres hohen
Wertes geradezu königliche Geschenke: Weihrauch und Myrrhe
waren selten wie Gold. Es waren wohlriechende Harze, die man auf
weiten Wegen aus dem fernen Arabien oder aus Nordafrika einführen
musste.
Und dann hat etwa im 9. Jhd. die fromme Phantasie den dreien auch
noch Namen gegeben: Caspar, Melchior und Balthasar kommt vermutlich
von den drei Buchstaben C+M+B, die die Sternsinger anschreiben.
Sie sind die Abkürzung für den lateinischen Satz "christus
mansionem benedicat", "Christus segne dieses Haus".
Einer von ihnen soll ein Schwarzer gewesen sein. Wieder eine fromme
Legende, aber doch mit einem tiefen Sinn: Weihnachten wird es für
alle
Erdteile und alle Völker. Christus kommt zu aller Welt. Und
alle Welt kommt zu ihm. Das ist der Kern des heutigen Festes.
Das Heil auch für Nichtjuden?
Aber
genau dieser Kern, dass das Heil allen Menschen gilt, das war in
den ersten Jahrzehnten des christlichen Glaubens gar nicht selbstverständlich,
ja es war anstößig und revolutionär. Es war das
Verdienst eines Mannes, der sowohl jüdisch als auch griechisch
gebildet war, der sowohl geborener Jude war als auch Bürger
des römischen Reiches: der Apostel Paulus.
So lesen wir im Brief an die Gemeinde in Ephesus, damals Kleinasien,
heute Türkei. Es ist die Epistellesung für heute:
2 Ihr habt ja gehört, welches Amt die Gnade Gottes mir
für euch gegeben hat: 3 Durch Offenbarung ist mir das Geheimnis
kundgemacht worden. 5 Dies war in früheren Zeiten den Menschenkindern
nicht kundgemacht, wie es jetzt offenbart ist seinen heiligen Aposteln
und Propheten durch den Geist; 6 nämlich dass die Heiden Miterben
sind und mit zu seinem Leib gehören und Mitgenossen der Verheißung
in Christus Jesus sind durch das Evangelium.
Wir wären nicht evangelisch ohne Paulus
Diese
Erkenntnis, dass das Heil allen gilt, nicht nur den Juden, sondern
auch den Nichtjuden, das war mindestens so revolutionär wie
bei Martin Luther. Auch über Paulus müsste man einen modernen
Film machen, damit wir wieder begreifen würden, wie weltumstürzend
diese Gedanken waren. Wir sind hier und heute evangelisch-lutherisch,
weil es diesen mutigen und standfesten Martin Luther gegeben hat.
Aber es hätte Luther nicht gegeben, wenn es Paulus nicht gegeben
hätte. Wir wären nicht evangelisch, wenn es Paulus nicht
gegeben hätte.
Die ersten Christen um die zwölf Jünger herum waren Juden,
nur mit dem einen Unterschied, dass sie glaubten, dass der versprochene
Messias in Jesus bereits gekommen ist. In ihren Überlieferungen
blieben sie Juden.
Die alte Verheißung an die Stammväter, dass Gott sie
als Volk ohne Verdienst auserwählt hat, und dass er ihnen treu
bleibt, die behielten sie.
Ihre Gewohnheiten behielten sie: die Beschneidung, die Essensregeln,
den Tempel, die Gesänge, die Gebete ...
An Jesus als den Messias zu glauben, ohne Mose und die Propheten
zu kennen, ohne beschnitten zu sein, ohne im Alltag nach den wichtigsten
jüdischen Gepflogenheiten zu leben, das war für die Christen
in Jerusalem und Umgebung unvorstellbar.
Und nun fühlt sich Paulus von Christus unmittelbar berufen,
das mit Christus gekommene Heil und die Verheißungen an das
jüdische Volk auch den Nichtjunden weiterzusagen: zuerst in
Syrien, dann in der heutigen Türkei, und dann in Europa.
Revolutionärer als wir denken
Wie
undenkbar, wie anstößig, wie revolutionär das war,
können wir gar nicht mehr nachvollziehen. Welche Mauern da
zum Einstürzen gebracht wurden. Vielleicht kann man es ein
bisschen vergleichen mit der Entwicklung, die
die Ökumene in den letzten Jahrzehnten genommen hat. Wenn die
wieder aufstehen würden, die guten Gewissens damals ihren Kindern
beigebracht
haben: "Bring mir ja keinen Katholiken!" Oder: "Bring
mir ja keinen Evangelischen!" sie würden heute die Welt
nicht mehr kennen.
Oder stellen wir uns vor, im Nahen Osten würde in Moscheen
und Synagogen auf einmal gepredigt: Juden und Palästinenser
sind beide
von Gott gewollte und geliebte Menschen, die beide friedlich nebeneinander
im Land Platz haben sollen!
Oder ganz menschlich: Da werden auf einmal nach dem Tod eines Menschen
eine Reihe unehelicher Kinder bekannt. Und die sollen nun
ganz genauso mit erben!?
Gottes verborgener Heilsplan
Als
„Offenbarung” und „Geheimnis” bezeichnet
Paulus diese neue Erkenntnis vom Heil für alle. Offenbarung,
das bedeutet: Es kommt direkt von Gott. Kein Mensch kann sich das
ausdenken. Geheimnis: Das kann man sich nicht selber sagen. Das
bringt jemand mit. Das verrät einem jemand.
Auf dreifache Weise versucht Paulus, diese Neue zu beschreiben:
Die Heiden, also die Nichtjuden, sind Miterben: Was Gott im Alten
Testament versprochen hat, gilt auch ihnen. Sie gehören zum
gemeinsamen Christus-Leib, von Hause aus, nicht erst nachträglich
als geduldete Stiefgeschwister. Sie sind Mitgenossen der Verheißung:
Die Verheißungen an die jüdischen
Stammväter gelten auch ihnen.
Ein Heilsplan Gottes, den bis dorthin niemand wissen und begreifen
konnte, kein Apostel und kein Prophet. Ihm, Paulus, ist es direkt
vom Heiligen Geist offenbart. Gar nicht leicht zu verstehen, wenn
man sich hineindenkt: Hatte Gott das durch die 2000 Jahre des Alten
Testaments schon immer vor? War die damalige Welt nur noch nicht
reif genug dafür? Ein Plan, der dann ja auch ganz deutlich
über Jesus selbst hinausgeht, der von sich gesagt hat: „Ich
bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.”
Egal
wie: Wir wären in Europa nicht Christen, das Evangelium hätte
uns nicht erreicht, wenn es diesen Paulus und diese Ausweitung des
Heils damals nicht gegeben hätte.
Vier Dinge sind mir durch den Kopf gegangen beim Nachdenken, was
das für eine Bedeutung für uns haben könnte:
Der
Gottesbezug in der europäischen Verfassung
Das
erste: Ohne seine christlichen Wurzeln ist Europa nicht zu verstehen.
Deswegen setzen sich die Kirchen dafür ein, dass das in der
europäischen Verfassung, die ja noch nicht beschlossen ist,
seinen Niederschlag findet. Ein paar Sätze aus der entsprechenden
Entschließung der bayerischen Landessynode vom November:
Die Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern
appelliert an die Bundesregierung, sich mit allem Nachdruck für
die Aufnahme des Gottesbezuges in die neue Europäische Verfassung
einzusetzen. Die Geschichte Europas ist seit fast 2000 Jahren wesentlich
geprägt von der
christlichen Botschaft, die nach und nach in den Völkern Europas
einwurzelte und deren Kultur und Rechtsordnungen entscheidend formte.
Nur wer weiß, woher er kommt, vermag auch den richtigen Weg
in die Zukunft zu finden. Nicht zuletzt angesichts der tiefgreifenden
Umwälzungen in Wirtschaft und Gesellschaft braucht die erweiterte
Europäische Union eine gemeinsame Identität, eine verbindende
geistliche Grundlage, die den Zusammenhalt festigt. ... Die Synode
tritt dafür ein, die Europäische Union nicht vorrangig
als Wirtschaftsraum, sondern als Wertegemeinschaft zu verstehen
und zu gestalten. ... Die Europäische Union sollte sich daher
in einer Präambel zu ihren religiösen Wurzeln bekennen.
Das religiöse Erbe Europas und die Absage an eine Verabsolutierung
der politischen Ordnung der Europäischen Union sollten zudem
durch einen Gottesbezug einen Platz in der Präambel des zu
verfassenden Textes finden.
http://www.epv.de/news/epd/031828.html
http://www.bayern-evangelisch.de/aktuell/p_meldung.php?datei_name
=2003_11_27_16_40.php
Wo kommt mein Glaube her?
Dass
es ein reines Geschenk ist, dass das Evangelium damals Europa erreicht
hat, dass wir nichts dafür können, das gilt zweitens auch
für uns persönlich:
Ich lade Sie ein, bei Gelegenheit einmal nachzusinnen: Wo kommt
mein Glaube her? Wer hat mich geprägt? Wie ist mein Gottvertrauen
entstanden?
Durch die Eltern vielleicht. Durch eine fromme Großmutter.
Durch Pfarrer oder Religionslehrer meiner Kinder- und Jugendzeit.
Durch Jugendarbeit oder Kindergottesdienst. Durch ein einscheidendes
Erlebnis, eine Gebetserhörung ... Wichtig ist die Erkenntnis:
Dass ich selber Christ bin, ist Gnade und Geschenk. Ich konnte es
nicht selbst machen.
Wir sind nicht der christliche Nabel der Welt
Dass
das Heil allen gilt, und es auf der ganzen Welt Christen gibt, soll
uns drittens aber auch demütiger machen: Damals hat man die
Welt guten Gewissens eingeteilt in Juden und andere, in Juden und
Heiden, das jüdische Volk und die anderen Völker. Immer
stehen Menschen in der Gefahr, die Welt so einzuteilen: Wir und
die anderen.
Aber
Europa ist genau genommen nur noch dem Namen nach ein christlicher
Kontinent. Deutschland ist nur dem Namen nach ein christliches Land:
Zwar
ist derzeit noch ein Drittel evangelisch, ein Drittel katholisch,
das restliche Drittel nicht- bzw. andersgläubig. Aber nur zehn
Prozent der Gläubigen gehen regelmäßig zum Gottesdienst.
Auch in Großbritannien, in Italien oder in Frankreich sieht
es nicht anders, z.T. sogar noch schlechter aus. Lateinamerika aber
ist zu 95 Prozent christlich. In Afrika ist der Anteil der Christen
an der gesamten Bevölkerung im 20. Jhd. von 9 auf 45 Prozent
gestiegen. Das christliche Gesicht dieser Welt ist immer weniger
ein weißes
Gesicht. Wann werden die ersten schwarzen Missionare zu uns nach
Europa kommen?
Wir feiern ein Fest.
Und
viertens und letztens auch ganz praktisch in unserer Gemeinde: Am
letzten Sonntag im Januar wollen wir einen Gottesdienst und ein
anschließendes Fest feiern, wo deutlich wird, aus welcher
Herren Länder unsere Gemeindeglieder kommen. Portugal und Irland.
Ecuador und Bolivien. Indien und Philippinen. Rumänien und
Kirgistan. Ruanda und Ghana. Wir
haben vor, nach dem Gottesdienst im Gemeindehaus gemeinsam die Weltkarte
zu bestaunen und dann als Mittagessen ein Buffet aus aller Herren
Länder zu haben. Merken Sie es sich jetzt schon vor. Und wenn
Sie Lust haben, aktiv mitzumachen, dann melden Sie sich. Die nächste
Vorbereitung
ist heute abend.
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