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predigt[e].de

Die Predigt vom 6. Januar 2004 (Epiphanias):
»Die Heiden – das sind wir«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging das Epiphanisfest (Fest der Erscheinung Jesu), auch „Heilige Drei Könige“. Sein Thema ist das Heil für alle Völker. Evangelium dieses Sonntags ist die Anbetung der „Weisen aus dem Morgenland". Epistel und Predigttext (s.u.) war ein Abschnitt aus Epheser 3:
Predigttext
Sie können den Text auch online nachlesen. Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.
Der Predigttext
2 Ihr habt ja gehört, welches Amt die Gnade Gottes mir für euch
gegeben hat: 3 Durch Offenbarung ist mir das Geheimnis kundgemacht
worden. 5 Dies war in früheren Zeiten den Menschenkindern nicht
kundgemacht, wie es jetzt offenbart ist seinen heiligen Aposteln und
Propheten durch den Geist; 6 nämlich dass die Heiden Miterben sind
und mit zu seinem Leib gehören und Mitgenossen der Verheißung in
Christus Jesus sind durch das Evangelium.
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Die Predigt

Eine fromme Erfindung

Dass einer von den drei Heiligen Königen ein Schwarzer gewesen sein soll, wie wir vorhin gesehen haben, ist nur eine fromme Erfindung. Es verweist aber trotzdem auf eine tiefe Wahrheit des heutigen Festes. Aber der Reihe nach:

Wir feiern heute am 6. Januar noch einmal Weihnachten: Wir feiern Weihnachten mit den christlichen Kirchen in Osteuropa. Und so haben
wir mit der Anbetung der Könige im Evangelium heute sozusagen den zweiten Teil der Weihnachtsgeschichte gehört.
Seit Tagen gehen die katholischen Sternsinger von Haus zu Haus, dorthin wo sie willkommen und eingeladen sind. Drei Könige mit ihrem Gefolge. Eine schöne Geschichte, nur steht davon leider nichts in der Bibel. Wahrscheinlich erzähle ich Ihnen nicht viel Neues:

„Siehe, da kamen Weise aus dem Morgenland“ heißt es in Matthäus 2. „magioi“ steht da im Griechischen, also unser deutsches Wort „Magier“. Doch Magier, Zauberer im heutigen Sinne waren sie nicht. Astronomen waren sie und Astrologen. Beides war damals noch miteinander vereint: Die wissenschaftliche Betrachtung der Gestirne und die Überzeugung, dass ihr Lauf etwas mit dem Lauf des Lebens auf der Erde zu tun hat, gehörten zusammen.

Christus kommt zu aller Welt. Und alle Welt kommt zu ihm.

Dass es drei gewesen seien, steht nicht da. Vermutlich hat sich das aus den drei Geschenken Gold, Weihrauch und Myrrhe entwickelt. Und dass aus den Weisen in der Überlieferung Könige wurden, hat wohl auch mit diesen Geschenken zu tun. Sie waren wegen ihres hohen Wertes geradezu königliche Geschenke: Weihrauch und Myrrhe waren selten wie Gold. Es waren wohlriechende Harze, die man auf weiten Wegen aus dem fernen Arabien oder aus Nordafrika einführen musste.
Und dann hat etwa im 9. Jhd. die fromme Phantasie den dreien auch noch Namen gegeben: Caspar, Melchior und Balthasar kommt vermutlich von den drei Buchstaben C+M+B, die die Sternsinger anschreiben. Sie sind die Abkürzung für den lateinischen Satz "christus mansionem benedicat", "Christus segne dieses Haus".
Einer von ihnen soll ein Schwarzer gewesen sein. Wieder eine fromme Legende, aber doch mit einem tiefen Sinn: Weihnachten wird es für alle
Erdteile und alle Völker. Christus kommt zu aller Welt. Und alle Welt kommt zu ihm. Das ist der Kern des heutigen Festes.

Das Heil auch für Nichtjuden?

Aber genau dieser Kern, dass das Heil allen Menschen gilt, das war in den ersten Jahrzehnten des christlichen Glaubens gar nicht selbstverständlich, ja es war anstößig und revolutionär. Es war das Verdienst eines Mannes, der sowohl jüdisch als auch griechisch gebildet war, der sowohl geborener Jude war als auch Bürger des römischen Reiches: der Apostel Paulus.
So lesen wir im Brief an die Gemeinde in Ephesus, damals Kleinasien, heute Türkei. Es ist die Epistellesung für heute:


2 Ihr habt ja gehört, welches Amt die Gnade Gottes mir für euch gegeben hat: 3 Durch Offenbarung ist mir das Geheimnis kundgemacht worden. 5 Dies war in früheren Zeiten den Menschenkindern nicht kundgemacht, wie es jetzt offenbart ist seinen heiligen Aposteln und Propheten durch den Geist; 6 nämlich dass die Heiden Miterben sind und mit zu seinem Leib gehören und Mitgenossen der Verheißung in Christus Jesus sind durch das Evangelium.

Wir wären nicht evangelisch ohne Paulus

Diese Erkenntnis, dass das Heil allen gilt, nicht nur den Juden, sondern auch den Nichtjuden, das war mindestens so revolutionär wie bei Martin Luther. Auch über Paulus müsste man einen modernen Film machen, damit wir wieder begreifen würden, wie weltumstürzend diese Gedanken waren. Wir sind hier und heute evangelisch-lutherisch, weil es diesen mutigen und standfesten Martin Luther gegeben hat. Aber es hätte Luther nicht gegeben, wenn es Paulus nicht gegeben hätte. Wir wären nicht evangelisch, wenn es Paulus nicht gegeben hätte.

Die ersten Christen um die zwölf Jünger herum waren Juden, nur mit dem einen Unterschied, dass sie glaubten, dass der versprochene Messias in Jesus bereits gekommen ist. In ihren Überlieferungen blieben sie Juden.
Die alte Verheißung an die Stammväter, dass Gott sie als Volk ohne Verdienst auserwählt hat, und dass er ihnen treu bleibt, die behielten sie.
Ihre Gewohnheiten behielten sie: die Beschneidung, die Essensregeln, den Tempel, die Gesänge, die Gebete ...

An Jesus als den Messias zu glauben, ohne Mose und die Propheten zu kennen, ohne beschnitten zu sein, ohne im Alltag nach den wichtigsten jüdischen Gepflogenheiten zu leben, das war für die Christen in Jerusalem und Umgebung unvorstellbar.
Und nun fühlt sich Paulus von Christus unmittelbar berufen, das mit Christus gekommene Heil und die Verheißungen an das jüdische Volk auch den Nichtjunden weiterzusagen: zuerst in Syrien, dann in der heutigen Türkei, und dann in Europa.

Revolutionärer als wir denken

Wie undenkbar, wie anstößig, wie revolutionär das war, können wir gar nicht mehr nachvollziehen. Welche Mauern da zum Einstürzen gebracht wurden. Vielleicht kann man es ein bisschen vergleichen mit der Entwicklung, die
die Ökumene in den letzten Jahrzehnten genommen hat. Wenn die wieder aufstehen würden, die guten Gewissens damals ihren Kindern beigebracht
haben: "Bring mir ja keinen Katholiken!" Oder: "Bring mir ja keinen Evangelischen!" sie würden heute die Welt nicht mehr kennen.
Oder stellen wir uns vor, im Nahen Osten würde in Moscheen und Synagogen auf einmal gepredigt: Juden und Palästinenser sind beide
von Gott gewollte und geliebte Menschen, die beide friedlich nebeneinander im Land Platz haben sollen!
Oder ganz menschlich: Da werden auf einmal nach dem Tod eines Menschen eine Reihe unehelicher Kinder bekannt. Und die sollen nun
ganz genauso mit erben!?

Gottes verborgener Heilsplan

Als „Offenbarung” und „Geheimnis” bezeichnet Paulus diese neue Erkenntnis vom Heil für alle. Offenbarung, das bedeutet: Es kommt direkt von Gott. Kein Mensch kann sich das ausdenken. Geheimnis: Das kann man sich nicht selber sagen. Das bringt jemand mit. Das verrät einem jemand.
Auf dreifache Weise versucht Paulus, diese Neue zu beschreiben: Die Heiden, also die Nichtjuden, sind Miterben: Was Gott im Alten Testament versprochen hat, gilt auch ihnen. Sie gehören zum gemeinsamen Christus-Leib, von Hause aus, nicht erst nachträglich als geduldete Stiefgeschwister. Sie sind Mitgenossen der Verheißung: Die Verheißungen an die jüdischen
Stammväter gelten auch ihnen.
Ein Heilsplan Gottes, den bis dorthin niemand wissen und begreifen konnte, kein Apostel und kein Prophet. Ihm, Paulus, ist es direkt vom Heiligen Geist offenbart. Gar nicht leicht zu verstehen, wenn man sich hineindenkt: Hatte Gott das durch die 2000 Jahre des Alten Testaments schon immer vor? War die damalige Welt nur noch nicht reif genug dafür? Ein Plan, der dann ja auch ganz deutlich über Jesus selbst hinausgeht, der von sich gesagt hat: „Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.”

Egal wie: Wir wären in Europa nicht Christen, das Evangelium hätte uns nicht erreicht, wenn es diesen Paulus und diese Ausweitung des Heils damals nicht gegeben hätte.

Vier Dinge sind mir durch den Kopf gegangen beim Nachdenken, was das für eine Bedeutung für uns haben könnte:


Der Gottesbezug in der europäischen Verfassung

Das erste: Ohne seine christlichen Wurzeln ist Europa nicht zu verstehen. Deswegen setzen sich die Kirchen dafür ein, dass das in der europäischen Verfassung, die ja noch nicht beschlossen ist, seinen Niederschlag findet. Ein paar Sätze aus der entsprechenden Entschließung der bayerischen Landessynode vom November:

Die Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern appelliert an die Bundesregierung, sich mit allem Nachdruck für die Aufnahme des Gottesbezuges in die neue Europäische Verfassung einzusetzen. Die Geschichte Europas ist seit fast 2000 Jahren wesentlich geprägt von der
christlichen Botschaft, die nach und nach in den Völkern Europas einwurzelte und deren Kultur und Rechtsordnungen entscheidend formte. Nur wer weiß, woher er kommt, vermag auch den richtigen Weg in die Zukunft zu finden. Nicht zuletzt angesichts der tiefgreifenden Umwälzungen in Wirtschaft und Gesellschaft braucht die erweiterte Europäische Union eine gemeinsame Identität, eine verbindende geistliche Grundlage, die den Zusammenhalt festigt. ... Die Synode tritt dafür ein, die Europäische Union nicht vorrangig als Wirtschaftsraum, sondern als Wertegemeinschaft zu verstehen und zu gestalten. ... Die Europäische Union sollte sich daher in einer Präambel zu ihren religiösen Wurzeln bekennen. Das religiöse Erbe Europas und die Absage an eine Verabsolutierung der politischen Ordnung der Europäischen Union sollten zudem durch einen Gottesbezug einen Platz in der Präambel des zu verfassenden Textes finden.


http://www.epv.de/news/epd/031828.html
http://www.bayern-evangelisch.de/aktuell/p_meldung.php?datei_name
=2003_11_27_16_40.php


Wo kommt mein Glaube her?

Dass es ein reines Geschenk ist, dass das Evangelium damals Europa erreicht hat, dass wir nichts dafür können, das gilt zweitens auch für uns persönlich:
Ich lade Sie ein, bei Gelegenheit einmal nachzusinnen: Wo kommt mein Glaube her? Wer hat mich geprägt? Wie ist mein Gottvertrauen entstanden?
Durch die Eltern vielleicht. Durch eine fromme Großmutter. Durch Pfarrer oder Religionslehrer meiner Kinder- und Jugendzeit. Durch Jugendarbeit oder Kindergottesdienst. Durch ein einscheidendes Erlebnis, eine Gebetserhörung ... Wichtig ist die Erkenntnis: Dass ich selber Christ bin, ist Gnade und Geschenk. Ich konnte es nicht selbst machen.

Wir sind nicht der christliche Nabel der Welt

Dass das Heil allen gilt, und es auf der ganzen Welt Christen gibt, soll uns drittens aber auch demütiger machen: Damals hat man die Welt guten Gewissens eingeteilt in Juden und andere, in Juden und Heiden, das jüdische Volk und die anderen Völker. Immer stehen Menschen in der Gefahr, die Welt so einzuteilen: Wir und die anderen.

Aber Europa ist genau genommen nur noch dem Namen nach ein christlicher Kontinent. Deutschland ist nur dem Namen nach ein christliches Land: Zwar
ist derzeit noch ein Drittel evangelisch, ein Drittel katholisch, das restliche Drittel nicht- bzw. andersgläubig. Aber nur zehn Prozent der Gläubigen gehen regelmäßig zum Gottesdienst. Auch in Großbritannien, in Italien oder in Frankreich sieht es nicht anders, z.T. sogar noch schlechter aus. Lateinamerika aber ist zu 95 Prozent christlich. In Afrika ist der Anteil der Christen an der gesamten Bevölkerung im 20. Jhd. von 9 auf 45 Prozent gestiegen. Das christliche Gesicht dieser Welt ist immer weniger ein weißes
Gesicht. Wann werden die ersten schwarzen Missionare zu uns nach Europa kommen?

Wir feiern ein Fest.

Und viertens und letztens auch ganz praktisch in unserer Gemeinde: Am letzten Sonntag im Januar wollen wir einen Gottesdienst und ein anschließendes Fest feiern, wo deutlich wird, aus welcher Herren Länder unsere Gemeindeglieder kommen. Portugal und Irland. Ecuador und Bolivien. Indien und Philippinen. Rumänien und Kirgistan. Ruanda und Ghana. Wir
haben vor, nach dem Gottesdienst im Gemeindehaus gemeinsam die Weltkarte zu bestaunen und dann als Mittagessen ein Buffet aus aller Herren
Länder zu haben. Merken Sie es sich jetzt schon vor. Und wenn Sie Lust haben, aktiv mitzumachen, dann melden Sie sich. Die nächste Vorbereitung
ist heute abend.

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de