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Die Predigt vom 4. Juli 2004 (4. Sonntag nach Trinitatis):
»... dann zeigen drei Finger zurück«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging den 4. Sonntag nach Triniatis. Sein Thema ist gegenseitige Annahme und Respekt unter Menschen. Evangelium dieses Sonntags ist Jesu Gleichnis vom Balken im eigenen Auge. Epistel und Predigttext (s.u.) war ein Abschnitt aus dem Römerbrief des Paulus Kapitel 14:
Predigttext
Sie können den Text auch online nachlesen. Weitere Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.
Der Predigttext
10 Du aber, was richtest du deinen Bruder? Oder du, was verachtest du deinen Bruder? Wir werden alle vor den Richterstuhl Gottes gestellt werden. 11 Denn es steht geschrieben (Jesaja 45,23): »So wahr ich lebe, spricht der Herr, mir sollen sich alle Knie beugen, und alle Zungen sollen Gott bekennen.« 12 So wird nun jeder von uns für sich selbst Gott Rechenschaft geben. 13 Darum lasst uns nicht mehr einer den andern richten; sondern richtet vielmehr darauf euren Sinn, dass niemand seinem Bruder einen Anstoß oder Ärgernis bereite.
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Die Predigt
Vor der eigenen Tür kehren

"Jeder soll vor seiner eigenen Tür kehren." So sagen wir, wenn sich jemand kritisch über andere äußert, aber eigene Fehler nicht so gut sieht.
Oder noch deutlicher: "Wenn jemand mit dem Finger auf andere zeigt, dann zeigen drei Finger auf ihn selber zurück."
Mit dem Finger auf jemanden zeigen: ihn vor anderen bloßstellen, ihn in eine Ecke stellen, ihn anklagen, ihn verurteilen. Das kann man ganz wörtlich mit dem Finger, aber auch mit Worten, mit einer kurzen Bemerkung oder auch nur mit einem Blick. Wer das als Opfer schon erlebt hat, weiß, wie beschämend das sein kann, wie weh das tun kann. Und wer das weiß, der macht es dann hoffentlich bei anderen nicht, sondern geht in sich und bedenkt seine eigenen Fehler und Schwächen.

Auf jemand mit dem Finger zeigen

Mit dem Finger zeigen. Jemandes Fehler hervorheben. Leider gehört es zum Alltag überall, wo Menschen Konkurrenten sind: Unter ungleichen Geschwistern. In einer Schulklasse. Unter Nachbarn. Unter Arbeitskollegen. In einem Verein z.B., wo manche Mitglieder es immer besser wissen als ihre Vorstände. Wenn man dann aber einmal öffentlich seinen Mund aufmachen soll, geschweige denn selbst Verantwortung übernehmen, dann will man nichts gesagt haben.
Oder bei einem Länderspiel, wo Deutschland auf einmal aus Millionen Bundestrainern besteht, die es besser gemacht hätten, oder aus Millionen
Schiedsrichtern, die es besser gesehen haben. Oder auch unter Konfirmanden, wenn einer von den anderen heimlich oder öffentlich gehänselt wird, indem man sich z.B. über ein körperliches Merkmal lustig macht. Und die es tun, bei denen könnte man leicht auch etwas Passendes finden.

Aus Meinungsverschiedenheiten werden Verurteilungen

Der Apostel Paulus schreibt im Römerbrief Kapitel 14. Es ist die Epistel des heutigen Tages.
10 Du aber, was richtest du deinen Bruder? Oder du, was verachtest du deinen Bruder? Wir werden alle vor den Richterstuhl Gottes gestellt werden. 11 Denn es steht geschrieben (Jesaja 45,23): »So wahr ich lebe,
spricht der Herr, mir sollen sich alle Knie beugen, und alle Zungen sollen Gott bekennen.« 12 So wird nun jeder von uns für sich selbst Gott Rechenschaft geben. 13 Darum lasst uns nicht mehr einer den andern richten; sondern richtet vielmehr darauf euren Sinn, dass niemand seinem Bruder einen Anstoß oder Ärgernis bereite.


Was war los in der christlichen Gemeinde in Rom? Da waren Gemeindeglieder, die als Juden aufgewachsen waren: Mit bestimmten Feiertagen des jüdischen Kalenders. Mit ganz bestimmten Essensvorschriften. Sie konnten nicht einfach aus ihrer Haut, auch als Christen nicht. Bei vielen Dingen hatten sie Skrupel. Und da waren
Christen, die als ehemalige Heiden alles das nicht kannten. Sie fühlten sich frei von diesen alten Regeln.
Und dann im täglichen Leben, als sie miteinander gegessen, miteinander Gottesdienst gefeiert haben, da waren da die verschiedenen Meinungen, die Missverständnisse, die Sticheleien, und schnell auch die Verurteilungen. Und die in ihrem Glauben freier und stärker waren, die waren auf einmal für die anderen die Gesetzlosen. Und im Gegenzug waren dann die anderen die Altmodischen und die Schwächlinge.

Welche Freiheiten hat man als Christ?

Was darf man und was darf man als Christ nicht? Durch die Geschichte hindurch kam die Frage immer wieder. Und immer wieder gab es die
Strengeren, die schnell ihre Skrupel hatten, und die moderneren, freieren.
Darf man als Christ ins Wirtshaus gehen? Was da manchmal für Redensarten geführt werden! Ist Karten spielen erlaubt? Haben da nicht manche schon Haus und Hof verloren? Sollte man eigentlich als Christ nicht besser die Finger vom Alkohol lassen? Müsste man aus Ehrfurcht vor der Schöpfung nicht Vegetarier werden? Müsste man in der Nachfolge Jesu nicht Pazifist sein und jegliche Gewalt ablehnen?

Und dann können unterschiedliche Vorstellungen in einer Gemeinde
aufeinanderprallen. Beide meinen es ernst. Beide haben ihre Bibel gelesen. Und doch spricht auf einmal einer dem anderem den Glauben ab.
Ich wüsste in unserer Gemeinde kein Beispiel dieser Art. Eher geht es um Kleinigkeiten: Wenn z.B. mancher Ältere nicht verstehen und annehmen
kann, wie junge Familien Gottesdienst feiern. Wenn Jüngere ihrerseits althergebrachte Gesänge im Gottesdienst lieber abschaffen würden. Wenn
Liebgewonnenes oder in der Kindheit Gelerntes sich ändert: Wie oft man zum Abendmahl geht, warum man nicht mehr kniet oder sich nicht mehr
vorher in der Sakristei anmeldet, und ob auch Gemeindeglieder mit austeilen dürfen.

Kritisieren – ja, aber nicht den Stab brechen

Paulus bittet die Gemeindeglieder in Rom, zu unterscheiden, ob es um grundlegende Dinge geht, oder um Dinge, wo man verschiedener Meinung sein kann. (14,1) Und dann sollen sie sich einander mit ihrer Frömmigkeit und ihrer Art zu Glauben akzeptieren und gelten lassen. Sie sollen
entdecken, wie beide das, was sie tun, mit gutem Gewissen vor Gott tun. (14,5) Sie sollen einander die Gewissen nicht erschweren oder gar
einer dem andern das gute Gewissen absprechen. Jeder, so sagt er, muss selber sehen, wie er im Glauben steht. (14,4) Da soll einer dem anderen
nicht das Wichtige, auf dem er steht, madig machen.

Gibt es denn dann überhaupt keine gemeinsame Richtung mehr? So könnte man fragen. Kann denn jeder seine Empfindlichkeiten in den Vordergrund stellen und dann machen, was er will? Darf man auch nicht mehr kritisieren? So sagt es Paulus nicht. Er hat in seinen Briefen sogar sehr heftig streiten können, wenn es aus seiner Sicht um das Eingemachte, um den Kern des Glaubens geht. Diskussion und Kampf um die Sache, ja.
10 Du aber, was richtest du deinen Bruder? Oder du, was verachtest du
deinen Bruder? Wir werden alle vor den Richterstuhl Gottes gestellt
werden.

Um die Sache streiten, ja. Aber nicht richten und verachten. Da ist die Grenze überschritten. Richten heißt: Ich bin fertig mit dem anderen. Das Urteil steht. Die Diskussion ist zu Ende. Der Stab ist gebrochen. Ich setze
meine Meinung absolut, ohne dass die Frage geduldig ausdiskutiert worden wäre.

Warum nicht richten? Richten bedeutet, sagt Paulus, sich über einen anderen stellen, sich über ihn erheben. Das steht allein Gott zu. Von
ihm aus gesehen, sind alle Brüder und Schwestern. Beide sind von Gott angenommen. (14,3-4) Für beide gleichermaßen ist Christus gestorben. (14,9) Gott wird dem anderen sein Recht verschaffen. Und du musst dich am Ende vor ihm verantworten.

Miteinander die Richtung suchen

Besser aber ist es, zu sagen, was man tun könnte, als nur zu betonen, was man nicht tun darf. Besser ist es, eine Alternative, eine Perspektive aufzuzeigen. Und das tut Paulus. Er tut es im griechischen Text mit einem Wortspiel, das auch Martin Luther in seiner Übersetzung nachzuahmen versucht:
13 Darum lasst uns nicht mehr einer den andern richten; sondern richtet
vielmehr darauf euren Sinn, dass niemand seinem Bruder einen Anstoß
oder Ärgernis bereite.

Mit anderen Worten: Richtet nicht einander, sondern richtet euch miteinander aus. Richtet nicht, sondern sucht miteinander eine Richtung. Sucht miteinander den richtigen Weg.
Tut nichts, von dem Ihr genau wisst, dass sich der andere oder die andere, die für euch vor Gott Bruder und Schwester sind, ärgern werden. Was da im griechischen Text steht, hat zu tun mit den Worten "Stolperstein" und
"Falle": Spürt und entdeckt, wo andere verletzlich sind, wo sie empfindlich sind, wo sie ihren wunden Punkt haben. Und hakt da nicht genüsslich oder absichtlich nach, auch wenn ihr vielleicht zehn Mal Recht habt. Lasst einen
anderen nicht bewusst stolpern. Stellt ihm nicht mit Worten oder Bemerkungen ein Bein. Stellt ihm keine Falle.

Und damit werden diese Bibelworte, die eigentlich zum 4. Sonntag nach Trinitatis gehören, auch zu einem Kirchweihtext: Richtet einander in der Gemeinde nicht. Richtet Euer Augenmerk nicht auf die Fehler und Schwächen. Sondern sucht als Gemeinde miteinander eine Richtung. Oder wie es Paulus nach diesen Worten zusammenfasst: Jeder von uns lebe so, dass er seinem Nächsten gefalle zum Guten und zur Erbauung. (Röm 15,2). Amen

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de