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predigt[e].de

Die Predigt vom 7. November 2004 (Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres):
»Woher? Wohin?«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging den Drittletzten Sonntag des Kirchenjahres. Sein Thema ist das „Reich Gottes“, die Gottesherrschaft. Evangelium dieses Sonntags sind die Worte Jesu zur Gegenwart der Gottesherrschaft nach Lukas 17. Epistel und Predigttext (s.u.) war ein Abschnitt aus Römer 14:
Predigttext
Sie können den Text auch online nachlesen. Weitere Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.
Der Predigttext
7 Denn unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber. 8 Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn. 9 Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sei.
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Die Predigt
Woher und wohin?

Ich komm – weiß nit, woher. / Ich geh – weiß nit, wohin. / Mich wundert, dass ich fröhlich bin
. (Martinus von Biberach)
Ich komm – weiß wohl, woher. / Ich geh – weiß wohl, wohin. / Mich wundert, dass ich traurig bin. (Martin Luther)
So lesen wir bei den Besinnungstexten in unserem Gesangbuch auf S. 531.
(Originaltext Luthers siehe am Ende der Predigt.)

Nur auf den ersten Blick klingen beide Texte wie Gegensätze. Nur auf den ersten Blick klingt es trostlos und glaubenslos, was Meister Martinus von Biberach, ein Zeitgenosse Martin Luthers, da reimt:
Ich komm – weiß nit, woher. / Ich geh – weiß nit, wohin. / Mich wundert, dass ich fröhlich bin.
Allein mit meinem Verstand weiß ich ja wirklich nicht, woher ich komme und wohin ich gehe. So weit die Wissenschaft auch inzwischen ist, sie gibt mir keine befriedigende Antwort. Trotz dieser Unwissenheit über das Woher und Wohin fröhlich sein können, das ist ein Geschenk, ein Zeichen von Gelassenheit.

Meine und deine, unsere Endlichkeit

An anderer Stelle ist dieses Wort von Martinus von Biberach anders, noch ein wenig eindeutiger, überliefert. Sein Grabspruch soll es sein:
Ich leb und waiß nit, wie lang / Ich stirb und waiß nit, wann / Ich far
und waiß nit, wahin / Mich wundert, dass ich froelich bin.

So ist es. Damit muss jeder von uns leben. Damit muss sich jeder auseinandersetzen. Nicht unbedingt täglich, weil wir das nicht aushalten,
aber beispielsweise in dieser Zeit am Ende des Kirchenjahres.

Gegenüber Martinus von Biberach klingt Martinus Luther auf den ersten Blick glaubensvoller, aber vielleicht auch nur auf den ersten:
Ich komm – weiß wohl, woher. / Ich geh – weiß wohl, wohin. / Mich
wundert, dass ich traurig bin.
Martin Luther sagt es vom Glauben her: Eigentlich weiß ich ja, woher ich komme und wer mir mein Leben geschenkt hat. Eigentlich weiß ich ja, wohin es geht, und wer mein Leben in seiner Hand hält. Müsste ich da nicht eigentlich viel fröhlicher sein? Warum bin ich traurig?

Im Leben und Tod in Gottes Hand

Woher komme ich? Wohin gehe ich? Hören Sie dazu die Worte der Epistel. Paulus schreibt im Brief an die Römer Kapitel 14:
7 Denn unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber. 8 Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn. 9 Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sei.

Wir gehören allein Gott. Im Leben und im Sterben stehen wir in seiner Hand. Vor dem irdischen Leben, während des irdischen Lebens und nach dem irdischen Leben. Eigentlich ist das an dieser Stelle eher eine Nebenbemerkung. Wir gehören allein Gott. Das schreibt Paulus hier als Begründung dafür, dass bei verschiedenen Glaubensmeinungen keiner den anderen verurteilen darf. Wer das tut, macht sich zum Herrn über den
anderen. Doch dieser Herr ist allein Gott.

Hintergrund für diesen festen Glauben, dass wir allein Gott gehören, ist für Paulus die Auferweckung Jesu. Ihn konnte der Tod nicht festhalten. Wäre das nicht, dann wäre die Antwort auf die Frage klar: Wem gehören wir? Dem Tod gehören wir. Denn der ist ganz offensichtlich ohne die Augen des Glaubens der letzte Herr auf dieser Welt. Und keine irdische Macht reicht über ihn hinaus.

Nein, dem Tod gehört unser Leben nicht, betont Paulus. Er betont aber auch noch ein weiteres: Wenn unser Leben Gott gehört und in seiner Hand steht, dann gehört es nicht uns, steht nicht in unserer Hand. Was das bedeutet für die Frage des Suizids, also der Selbsttötung, und was es bedeutet für die Frage der aktiven Sterbehilfe, also sozusagen des Suizids durch fremde Hand, das wäre eine eigene Predigt.

Von einer Hand Gottes in eine andere

Im Leben und im Tod in Gottes Hand. Im Leben und nach dem Leben in Gottes Hand. Oder wie es der Erlanger Theologieprofessor Paul Althaus
seiner Frau vor dem Tod gesagt haben soll: Sterben, das sei nichts anderes als das Gleiten von einer Hand Gottes in die andere. Also durchaus ein Übergang, etwas ganz Neues und Anderes. Aber wir bleiben dort, wir bleiben bei dem, wo wir schon immer waren.

Aber damit schlagen wir eigentlich schon eine verkehrte Richtung ein: Paulus geht es hier nicht so sehr um das Leben nach dem Tod, sondern das Leben vor dem Tod. Es geht ihm nicht so sehr die Frage: Was bedeutet das, wenn du weißt: Nach dem Tod bist und bleibst du in Gottes Hand? Sondern: Was bedeutet es für dich und für dieses Leben hier und heute, heute morgen, heute nachmittag, morgen oder übermorgen, wenn du das weißt: Ich bin in Gottes Hand und keine andere Macht hat einen Anspruch auf mein Leben. Kein Politiker, kein Pfarrer oder Priester, kein Vorgesetzter, kein Nachbar, die Eltern nicht, die Kinder nicht, ja auch nicht der Partner.
"Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade; siehe, jetzt ist der Tag des Heils." (Wochenspruch 2. Kor 6,2b) Heute lebst du. Und heute lebst du richtig oder verkehrt, ängstlich oder zuversichtlich, zweifelnd oder gelassen. Heute lebst du. Verschiebe das Leben nicht auf morgen.

Meditieren: ver-innerlichen

Hier und heute bin und bleibe ich allein in Gottes Hand. Diese Botschaft des Paulus kann, so meine ich, ihre Kraft nur entfalten, wenn man sie meditiert. Meditieren, das heißt: Eine Botschaft nicht nur mit den Ohren hören oder mit dem Verstand auffassen. Nicht nur denken, sondern be-denken. Sie ver-innerlichen. Sie im Herzen bewegen, wie es von Maria am Ende der Weihnachtsgeschichte heißt: "Und sie behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen." Meditieren: Im Kreisen um ein bedenkenswertes Wort zur Mitte finden, Antworten finden. Antworten, die kein anderer stellvertretend für mich finden kann. Antworten auf die Fragen, die keiner stellvertretend für mich beantworten kann.

Hier und heute bin und bleibe ich allein in Gottes Hand. Was heißt das heute oder morgen: Wenn jemand mich einordnen oder beurteilen will? Wenn ich vor Vorgesetzten oder Kollegen stehe? Wenn jemand eine Hilfe von mir braucht? Wenn ich eine unliebsame Arbeit erledigen muss? Wenn ich krank bin? Wenn ich mir Gedanken um die Zukunft mache, um meine oder um die anderer? Wenn ich um jemand trauere? Wenn ich fröhlich und dankbar bin? Wenn ich zu Hause sitze oder unterwegs bin mit dem Auto? Wenn ich mich abends zur Ruhe lege?

Hier und heute bin und bleibe ich allein in Gottes Hand.
7 Niemand von uns lebt für sich selbst, und niemand stirbt für sich selbst. 8 Wenn wir leben, leben wir für den Herrn, und wenn wir sterben, sterben wir für den Herrn. Wir gehören dem Herrn im Leben und im Tod. 9 Denn Christus ist gestorben und wieder lebendig geworden, um Herr zu sein über alle, Tote wie Lebende. (Übersetzung der Guten Nachricht). Amen

Nachdem eine telefonische Anfrage zum Originalzitat Martin Luthers kam, hier der Text:

Luther in einer Predigt zum Sonntag Judica über Joh 8,46-59
(Aland, Gesammelte Werke Bd. 8, S. 153 = WA 37, 328-329)

Der Gottlosen Reim ist: Ich lebe und weiß nicht wie lang, ich muß sterben und weiß nicht wann, ich fahr' von dannen, weiß nicht wohin; mich wundert, daß ich fröhlich bin. Die sinds, die den Tod sehen, fühlen und erfahren, denn sie glauben dem Wort Christi nicht. Darum müssen sie sich vor dem Tod fürchten und entsetzen, können ihm doch nicht entlaufen, sondern müssen im ewigen Tode bleiben, weil sie die kräftige, allmächtige Arznei nicht haben, Gottes Wort, welches aus dem Tod ein ewiges Leben macht, ja auch hier in dieser Zeit das ewige Leben anfängt. Der Christen und Gläubigen Reim ist: Ich lebe, so lang Gott will, ich sterbe, wann und wie Gott will, ich fahr und weiß gewiß wohin, mich wundert, daß ich traurig bin. Die sinds, die den Tod nicht sehen noch fühlen. Wenn sie auch ein wenig vor dem Tod erschrecken (denn sie müssen auch, wie alle Adamskinder, sterben und den Tod leiden), sollen sie dennoch nicht ewig tot sein noch des Todes Stachel im Herzen erfahren, sondern einschlafen ohne Ängste und Sorgen.

[Martin Luther: Sonntag Judica. Joh. 8,46-59. Martin Luther: Gesammelte Werke, S. 5321-5322 (vgl. Luther-W Bd. 8, S. 153) (c) Vandenhoeck und Ruprecht]

kopiert aus: Martin Luther, Gesammelte Werke. Herausgegeben von Kurt Aland. Mit einer illustrierten Lebenschronik und einer Einführung in Werk und Theologie. Directmedia • Berlin 2002. Digitale Bibliothek Band 63

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

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