|
Die Predigt |
„Hauptsache
gesund!?“
Bei einer Frage würden wir untereinander vermutlich ganz schnell
Einigkeit erzielen. Bei einer Frage würden die meisten von Ihnen
als Predigthörer wohl still mit dem Kopf nicken: Zu den wichtigsten
Gütern im Leben zählt die Gesundheit. Oder in zwei Worten:
„Hauptsache gesund.“ So höre ich es bei vielen Besuchen.
Hauptsache gesund? Ich muss Sie enttäuschen: Sie haben Unrecht.
Oder genauer: Der Apostel Paulus sagt, Sie haben Unrecht. Die leibliche
Gesundheit, die äußere Gesundheit sind nicht das Wichtigste
im Leben. Aber - was denn sonst? Ich verstehe Paulus in dieser Richtung:
Gesundheit und Zufriedenheit
Kennen Sie nicht auch Menschen, die scheinen geradezu vor Gesundheit
und Kraft zu strotzen. Sie pflegen sich und tun alles für ihr
Äußeres. Sich geben sich der Wellessbewegung hin. Und doch
beschleicht einen eine gewisse Unsicherheit, wie viel Fadheit und
Leere, ja vielleicht Sehnsucht nach dem Eigentlichen doch hinter dieser
schönen Fassade stecken mag.
Und da ist auf der anderen Seite jener alte und kranke Mensch, jener
womöglich an Stuhl oder Bett Gefesselte in Ihrer Nachbarschaft,
der doch für uns gesunde Zuschauer eigentlich todunglücklich
sein müsste. Und aus seinen Augen und seinem Gesicht strahlt
eine tiefe Zufriedenheit.
Wie oft erzählen Menschen, die Kranke besuchen, davon, dass sie
letztlich mehr geschenkt bekommen als geben.
Oder da gibt es Menschen, deren Alter man gar nicht mehr so recht
schätzen kann, weil sie eine Menge Geld in die Reparatur ihres
Äußeren gesteckt haben. Sie wollen den unweigerlichen Verfall
ihres Körpers mit seinen Falten, Runzeln, Glatzen und Pfunden
bremsen oder doch wenigstens verschleiern. Und dann schaut einen beim
näheren Hinsehen ein Gesicht an, das eher einer Statue gleicht
als einem lebendigen Geschöpf Gottes.
Und dann wiederum auf der anderen Seite der, der sich seiner Falten,
seiner Runzeln, seines Bauches und seiner Glatze nicht schämt
und seinen Frieden damit geschlossen hat. Seine Zufriedenheit und
sein Glück sind davon unabhängig.
Worauf kommt es an?
Der Apostel Paulus stellt unser „Hauptsache gesund“ in
Frage. Mit unseren alltäglichen Worten würden wir vielleicht
sagen: Auf die Zufriedenheit kommt es an, und die ist nicht unbedingt
abhängig von der Gesundheit.
Hören Sie als Predigttext ein paar Sätze aus seinem 2. Brief
an die Gemeindeglieder in Korinth. Sie sind aus einem größeren
Zusammenhang genommen. Paulus hat sich gegen Angriffe zu verteidigen,
er habe als Apostel rein äußerlich ein klägliches
und kränkliches Bild abgegeben. Das gibt er gerne zu und warnt
die Gemeindeglieder in Korinth nur auf das Äußere zu schauen
und sich vielleicht gar davon blenden zu lassen:
„Wir werden nicht müde; sondern, wenn auch unser äußerer
Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert.
Denn unsere Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schafft eine
ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit, uns,
die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare.
Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist,
das ist ewig.“
Vom äußeren und inneren Menschen
Da redet ein Mensch, der viel durchgemacht hat an weiten beschwerlichen
Reisen, an Krankheiten, Entbehrungen, Anfeindungen und menschlichen
Enttäuschungen. Ein Mensch, der offenbar eine unheilbare Krankheit
hatte, die ihn immer wieder schlug. Äußerlich kein Adonis
und vermutlich auch nicht mit einer sehr überzeugenden Redegabe.
Wer mag, kann das alles ausführlich nachlesen in diesem 2. Korintherbrief.
Paulus, ein Mann, der wirklich allen Grund hatte, körperlich
müde zu sein, sagt hier von sich und den Christen überhaupt:
Wir werden trotz allem nicht müde. Oder wie man das hier Stehende
auch übersetzen kann: Wir werden nicht mutlos, wir resignieren
nicht. Und er unterscheidet in diesem Zusammenhang den sogenannten
äußeren und inneren Menschen in uns. Der äußere
Mensch mag müde werden, der innere nicht. Was meint er damit?
Der äußere Mensch: das ist unser Leib, der unweigerlich
dem Altern und schließlich dem Sterben unterworfen ist. Der
innere Mensch: das ist nicht so einfach zu beschreiben. „Seele“
sagt man manchmal. Aber doch nicht die Seele als Psyche, denn die
kann ja auch altern, krank werden, leiden und an Spannkraft verlieren.
Der innere Mensch, das ist der vom Glauben getragene Mensch. Mein
Ich, mein glaubendes Ich.
Wir sterben Tag für Tag
Vom äußeren Menschen, also von unserem Körper sagt
Paulus: Unweigerlich ist er früher oder später dem Tod verfallen.
Tag für Tag stirbt er in Krankheiten und Leiden immer wieder
kleine Tode. Die Biologen sagen es uns: Ab einem bestimmten Punkt
im Leben setzt in uns ein Zellverfall ein, den niemand zu stoppen,
höchstens ein wenig zu bremsen vermag.
Alter und Tod zu bremsen: Wie viel phantasiereiche Filme wurden zu
diesem Menschheitstraum schon gemacht? Wie viele Ärzte und Wissenschaftler
mögen sich damit beschäftigen? Wie viel Geld mögen
Schönheitschirurgen durch diese Sehnsucht verdienen? Wie viel
innere Kraft mag bei Menschen verloren gehen, indem sie sich gegen
diese Wahrheit stemmen und sie aus dem Leben verdrängen wollen?
Wir reifen Tag für Tag
Setzt eure Kraft für etwas ganz anderes ein, würde Paulus
vielleicht sagen. Konzentriert euch auf das in eurem Leben, wo ihr
wirklich vorwärts kommt, wo ihr Fortschritte machen könnt
noch bis zu Stunde eures Todes. Denn auch als Christen könnt
Ihr den Verfall des Körpers nicht aufhalten. Konzentriert euch
auf den inneren Menschen, der nicht dem Tod unterworfen ist. Während
der Körper unweigerlich altert und verfällt, kann der innere
Mensch Tag für Tag neu werden, wachsen und reifen bis zum Ende.
Über den eigenen Schatten springen?
Ein anderes Sprichwort sagt: „Niemand kann über seinen
Schatten springen.“ Ich verwende es auch öfter, wenn ich
mich oder andere damit trösten will, dass Gott uns halt so gemacht
hat, wie wir sind, dass wir ihm recht sind mit allen unseren Grenzen.
Aber vielleicht sollen wir vorsichtiger sein mit diesem Wort, weil
wir damit Gottes Möglichkeiten einschränken. Warum sollten
nicht deutliche Veränderungen möglich sein? Ist es vielleicht
mehr die Angst vor der Veränderung?
So viel Wahrheit liegt ganz bestimmt in diesem Sprichwort: Wir können
uns nicht aus eigener Kraft grundlegend ändern. Wir können
nicht aus eigener Kraft unseren Schatten, unsere dunklen und schwachen
Seiten überspringen. Aber warum sollten Gott solche Veränderungen
nicht möglich sein, wenn wir sie ihm nur zutrauen?
Veränderung ist möglich ...
So heißt es im Wochenspruch: „Ist jemand in Christus,
so ist er eine neue Kreatur – eine neue Schöpfung -; das
Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“ Das heißt
doch: Die Schöpfung ist noch nicht zu Ende. Gott hat mich zwar
durch Vererbung, durch Erziehung, durch Einflüsse und Vorbilder
von verschiedenen Seiten so werden lassen, wie ich bin. Aber ich muss
nicht bleiben, der ich bin. Erneuerung ist möglich. Veränderung
ist möglich. Dem Schöpfer sind sie möglich. Aber wie?
„Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Schöpfung.“
Neuwerden, Veränderung sind möglich, wenn jemand seine Christusbeziehung,
seine Gottesbeziehung pflegt. Oder in dem Bild des heutigen Evangeliums,
wo Jesus unsere Gottesbeziehung im Bild vom Weinstock und seinen Reben
plastisch beschreibt: Dran bleiben an dem Stamm, der mich trägt,
an der Wurzel, die mich nährt, in der Gemeinschaft, die mich
hält.
Nicht erst dann, wenn die Not mich treibt, sondern regelmäßig.
So wie das Auto seine Pflege, seine Inspektion und seinen TÜV
braucht; so wie der Garten und das Haus ihren Frühjahrsputz brauchen,
genauso auch der innere Mensch. Von nichts kommt nichts.
... aber ich muss es wollen und zulassen
Veränderung, Neuwerden, Schatten loswerden, das liegt allein
bei Gott, dem Schöpfer. Aber Veränderung wollen, Gott Veränderung
zutrauen, sich öffnen, dass er an einem arbeiten kann, das liegt
auch in unserer Hand. Gott vergewaltigt niemand. Er braucht unser
Ja.
Und er braucht ein wenig unserer Zeit: Fünf Minuten, zehn Minuten,
eine Viertelstunde am Tag vielleicht. Schon fünf Minuten sind
viel, wenn wir nur ganz da, ganz aufmerksam sind. Fünf Minuten,
in denen wir nicht gleich wieder selber reden, sondern auch Gott die
Chance zum Reden einräumen: Durch einen Bibelabschnitt oder durch
ein Losungswort. In meditativer Stille, wo wir unserem Lebensatem
oder dem Schlag unseres Herzens und damit dem Schöpfer lauschen.
„Darum, du Gott der Gnaden, du Vater aller Treu, wend allen
Seelenschaden und mach mich täglich neu; gib, dass ich deinen
Willen gedenke zu erfüllen, und steh mir kräftig bei.“
Amen |
|