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Die Predigt |
Zeugnistag
Am Freitag gab es Zeugnisse und da und dort wohl auch die üblichen
Tragödien und Tränen. Am Tag zuvor konnte man die genauso
üblichen Ratschläge der Schulpsychologen lesen zum rechten
Umgang mit den Kindern und den Überraschungen, die sie mitbringen.
Dazu gehören so einfache Dinge wie, dass es eigentlich keine
Überraschungen geben kann, wenn man sich schon während des
Jahres für seine Kinder interessiert. Oder dass man, wenn man
schon Grund zu Kritik oder Strafe hat, da schon früher hätte
ansetzen müssen. Oder auch der kleine Hinweis, dass man, bevor
man sich äußert, erst einmal seine eigene Schulzeit und
seine eigenen Leistungen in der Stille bedenken sollte.
Aber dann auch die wirklich entscheidenden, ja die biblischen Ratschläge:
Der Wert eines Kindes hängt nicht an seinen Leistungen. Die Liebe
zu ihm darf davon nicht abhängig sein. Durch jede noch so berechtigte
Kritik muss die Liebe hindurchscheinen. Eine Liebe auch, die nicht
in erster Linie sieht, was fehlt, sondern was schon da ist. Wenn ein
Weg zum Besseren nötig ist, dann stehen an seinem Anfang die
Liebe und das Lob.
Am Anfang steht das Lob
„Am Anfang steht das Lob.“ So könnte man es in einem
Slogan zusammenfassen. „Am Anfang steht das Lob.“ Das
gilt auch für die Worte des Apostels Paulus, die Sie vorhin gehört
haben. Sie sind gerichtet an seine Gemeinde in der griechischen Stadt
Philippi, die erste Stadt, in die er gekommen ist, als er auf seiner
Missionsreise den Sprung nach Europa gewagt hat. Sie war und blieb
sozusagen seine erste Liebe. Das lässt sich aus vielen Zeilen
herauslesen. (Phil 1,3; 4,15)
Paulus möchte, dass sich diese seine Lieblingsgemeinde zum Positiven
ändert. Wie macht er es? Er beginnt mit einem Lob:
1 Ist nun bei euch Ermahnung in Christus, ist Trost der Liebe,
ist Gemeinschaft des Geistes, ist herzliche Liebe und Barmherzigkeit
...
Das heißt: So ist es bei euch in Philippi. Das gibt es schon.
Es gibt Ermahnung. Also: Ihr habt echtes Interesse aneinander. Einer
weist den anderen in Liebe auf seine Fehler hin.
Es gibt Trost. Also: Ihr seid aufmerksam. Einer tröstet den anderen
und richtet ihn auf.
Es gibt Gemeinschaft des Geistes, also geistliche Gemeinschaft, die
mehr ist als nur zusammen essen und trinken.
Es gibt herzliche Liebe. Es gibt Barmherzigkeit.
Kann man einer christlichen Gemeinde ein größeres Lob aussprechen:
Barmherzigkeit, Liebe, Gemeinschaft, Trost.
Auch ich werde manchmal von Gemeindegliedern und Außenstehenden
gefragt, wie ich denn mit meiner Gemeinde zufrieden bin. Und dann
zähle ich auf, worüber ich mich freue: Über die Vielfalt
der Gruppen und Kreise. Über die Bereitschaft, sich zu engagieren.
Über das Interesse der Neuzugezogenen, die sich so schnell in
die Gemeinde integriert haben. Über den im Vergleich zu anderen
guten Gottesdienst- und besonders den guten Kindergottesdienstbesuch.
Über die Spendenbereitschaft.
Am Anfang steht das Lob. Ich müsste, du müsstest, wir müssten
es eigentlich viel öfter tun: loben.
Loben, und dann?
1 Ist nun bei euch Ermahnung in Christus, ist Trost der Liebe,
ist Gemeinschaft des Geistes, ist herzliche Liebe und Barmherzigkeit,
2 so macht meine Freude dadurch vollkommen, ...
Paulus freut sich und er zählt alles auf, worüber er sich
freut, aber ... Und jetzt kommt nach dem Lob das große, freundliche
aber, hinter dem halt doch der erhobene Zeigefinger noch ein wenig
heraus schaut: Ich freue mich über euch, aber ich könnte
mich noch viel mehr freuen, wenn Ihr ...
Gemeinsam Gemeinde sein
2 so macht meine Freude dadurch vollkommen, dass ihr eines Sinnes
seid, gleiche Liebe habt, einmütig und einträchtig seid.
Anscheinend gab es in der Gemeinde in Philippi, die ja aus Menschen
und nicht aus Engeln bestanden hat, Defizite in der Gemeinschaft.
Sie waren nicht immer eines Sinnes. Sie haben ihre Liebe untereinander
nicht gleich verteilt. Sie haben ihre Ziele nicht einmütig und
einträchtig verfolgt.
Ich frage mich: Geht das überhaupt bei der Vielzahl verschiedener
Menschen und Charaktere in einer Gemeinde? Ich frage mich: Geht das
bei uns heute, wenn es schon bei den damaligen kleinen Gemeinden nicht
so einfach war? Die Forscher sagen uns, dass wir uns die Christen
damals in kleinen Hausgemeinden vorstellen müssen. Mit höchstens
zweistelligen Mitgliederzahlen. Höchstens so viele wie in unseren
heutigen Freikirchen, wo es familiär zugeht und einer den anderen
kennt. Wir aber mit unseren fast 2.000?
Aber als Fernziel will ich es trotzdem nicht aus dem Auge verlieren:
So viele wir auch sind und so verschieden, das Bewusstein muss wachsen,
muss in allen Gemeinden wachsen: Wir sind nicht verschiedene begabte
und engagierte Einzelne, sondern wir sind eine Gemeinde.
Es hilft nichts, über das Erstarken anderer Religionen zu jammern,
gar das Schreckgespenst einer islamischen Gesellschaft an die Wand
zu malen. Wir müssen uns unsererseits unseres Christseins und
seiner verbindenden Kraft bewusster werden.
Den alten Adam ersäufen
Paulus weiter:
3 Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen.
Paulus lobt die Gemeinde für Barmherzigkeit, Liebe, Gemeinschaft,
Trost und Ermahnung. Es ist gut, dass es das gibt. Aber die heimliche
Gefahr ist da, dass es um seiner selbst willen geschieht: Ich ermahne,
und es geht mir weniger um die Fortschritte, die der andere macht,
sondern darum, dass ich recht behalte. Ich tue Gutes, aber ich will
dabei gesehen und dafür gelobt werden.
Auch unter Christen gibt es den Egoismus. Unser alter Adam, der Egoist
tief in uns, der theoretisch durch die Taufe überwunden ist,
muss nach den Worten Martin Luthers täglich neu ersäuft
werden.
Das Ziel wird nicht von heute auf morgen erreicht. Wie kann man praktische
kleine Schritte tun zu mehr Gemeinschaft? Paulus sagt zwei Dinge:
Es geht erst einmal um die innere Einstellung und dann um das richtige
Sehen.
„Ich bin o.k. und du bist o.k.“
3 Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen, sondern
in Demut achte einer den andern höher als sich selbst.
Wie sehe ich mich und wie sehe ich den anderen? Wie viel bin ich wert
und wie viel ist der andere wert? Bevor ich überhaupt auf einen
anderen zugehe, habe ich eine innere Einstellung. Die Psychologen
nennen uns die vier verschiedenen Möglichkeiten:
„Ich bin o.k.“ - „Du bist nicht o.k.“ Wer
nur so auf jemand anders zugehen kann, der kann gleich aufhören.
Schuld sind immer nur die andern. Ändern müssen sich immer
nur die anderen.
„Ich bin nicht o.k.“ - „Du bist o.k.“ Wer
das Leben so einseitig sieht, wer sich dauernd selbst klein macht,
wer meint, er kann nichts und ist nichts und taugt nichts, der hat
noch nicht wirklich erfahren, dass Gott ihn liebt, und dass er ein
wertvoller Mensch ist – mit allen seinen Fehlern.
„Ich bin nicht o.k.“ - „Du bist nicht o.k.“
Die ganze Welt ist schlecht. Es hat ja doch alles keinen Wert. Depressiv
und missmutig wurstelt ein jeder so vor sich hin. Es braucht keine
Ziele und auch keine Anstrengungen. Es ändert sich ja sowieso
nichts.
„Ich bin o.k.“ - „Du bist o.k.“ Das ist im
Psychologendeutsch das christliche Wissen, dass Gott dich und mich
gleichermaßen geschaffen hat. Das christliche Bekenntnis, dass
Christus für dich und mich gleichermaßen gestorben ist.
Dass wir vor Gott gleich, gleich bedürftig und gleich wertvoll
sind.
Wer mit dieser Grundeinstellung auf den anderen zugeht, der kann eigentlich
schon gar nichts mehr falsch machen.
Richtig sehen lernen
Und dann noch der praktische Hinweis des Paulus: Neben der Grundeinstellung
geht es ums rechte Sehen.
4 ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was
dem andern dient.
Mit den Augen des anderen sehen lernen. Mit den Ohren des anderen
hören lernen. Mit dem Herzen des anderen fühlen lernen.
Bevor ich etwas sage, überlegen: Wie könnten diese Worte
beim anderen ankommen?
Bevor ich etwas tue oder unterlasse, mir bewusst machen: Wie könnte
es auf den anderen wirken?
Ich weiß, und ich weiß es natürlich von mir selber:
Leicht gesagt und schwer getan. Aber ohne solche Ziele und ohne kleine
Schritte geht es gar nicht. Und Gott sei Dank: Es tut sich doch immer
etwas. Es gibt doch die kleinen Schritte – oder nicht? |
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