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Die Predigt |
Was ist mit Frömmigkeit
gemeint?
„Habt acht auf eure Frömmigkeit.“
Frömmigkeit – damit ist hier nicht nur die Frömmigkeit
im sprichwörtlichen stillen Kämmerlein gemeint. Gebet, Bibellese,
Stille. Heute wird auch oft das Wort „Spiritualität“
gebraucht. Nein, was im stillen Kämmerlein beginnt, muss auch
zur Tat werden. Drei Dinge gehörten für den jüdischen
Glauben z.Zt. Jesu unbedingt hinzu: Almosen geben, Beten und Fasten.
Alle drei behandelt Jesus in der Bergpredigt: das Almosengeben hier
in diesem Abschnitt, das Beten und Fasten dann in den folgenden Abschnitten.
Christsein mit Kopf, Herz und Hand
„Habt acht auf eure Frömmigkeit, dass ihr die nicht
übt vor den Leuten, um von ihnen gesehen zu werden."
Almosengeben, Beten und Fasten gehören zum Glauben, aber sie
sollen um Gottes Willen geschehen, nicht um der eigenen Ehre willen.
Mit anderen Worten: „Gib von deinem Besitz ab, aber nicht, um
dich vor anderen hervorzutun. Bete zu deinem Vater, aber stell dich
nicht vor anderen in den Mittelpunkt. Übe das Verzichten und
Loslassen, aber prahle nicht damit, sonst sind alle deine Erfolge
umsonst.“
Wie ist das bei uns heute? Ich denke, wir müssen heute weniger
davor warnen, dass Menschen sich mit ihrer Frömmigkeit vor anderen
hervortun. Wir müssen wohl eher wieder verstärkt darauf
hinweisen, dass zum Glauben auch das rechte Handeln gehört. Glauben
und Leben gehören zusammen. Christsein ist Christsein mit Kopf,
Herz und Hand.
Almosen damals und heute
„Wenn du nun Almosen gibst ...“
Beim Thema Almosengeben, Beten und Fasten geht Jesus also an dieser
Stelle auf das erstere ein, das Almosengeben:
Was ist hier mit Almosen gemeint? In unserem Wortschatz ist Almosen
der geringe Betrag, den ich einem Notleidenden, einem Bettler oder
Stadtstreicher am Straßenrand gebe oder auch nicht gebe. Bei
dem, was Martin Luther hier mit Almosen übersetzte, geht es um
mehr. Es geht um die Armenfürsorge, die Sozialfürsorge der
Juden zur Zeit Jesu. Die Menschen damals gaben ein Vielfaches mehr
als das, was wir unter Almosen verstehen. Den Armen und Notleidenden,
den Witwen, Waisen und Fremdarbeitern zu helfen, war Glaubenspflicht.
Es gab keine Sozialversicherung, keine Renten- und Krankenversicherung.
Die Menschen gaben den zehnten Teil ihres Einkommens, annähernd
zumindest, für die Armen in ihrem Heimatort. In Geld und in Naturalien.
Die Freikirchen, bei denen es ja keine Kirchensteuer gibt, finanzieren
sich auch heute noch nach diesem biblischen Vorbild. Ein durchschnittliches
evangelisches Gemeindeglied unter uns kommt, wenn man Kirchensteuer,
Kirchgeld und Spenden zusammenrechnet, im allgemeinen nie auf einen
Betrag in seiner solchen Höhe. Ich sage das nicht als Kritik,
sondern einfach nur als nüchterne Feststellung.
Sich selbst auf die Schulter klopfen
Wenn du nun Almosen gibst, sollst du es nicht vor dir ausposaunen
lassen, wie es die Heuchler tun in den Synagogen und auf den Gassen,
damit sie von den Leuten gepriesen werden. Wahrlich, ich sage euch,
sie haben ihren Lohn schon gehabt.
Von einer tiefen menschlichen Versuchung redet Jesus hier, einer Versuchung,
vor der niemand gefeit ist damals wie heute: Es ist die Versuchung,
nach Lob und Anerkennung zu schielen für das Gute, das man tut.
Jesus übertreibt hier. Es ist nicht bekannt, dass damals große
Geldspenden im wörtlichen Sinne mit Posaunenspiel veröffentlicht
worden wären. Aber Möglichkeiten, jemand öffentlich
zu ehren oder die Ehre zu suchen, gab es schon. Zum Beispiel konnte
man in der Synagoge einen Ehrenplatz erhalten. „Ausposaunen“
ist hier eher übertragen gemeint. Wir haben diesen Ausdruck ja
aus der Bibel in unsere Umgangssprache übernommen. Da hängt
jemand seine Spendenfreudigkeit an die große Glocke, würden
wir vielleicht sagen. Da ist z.B. immer wieder einmal ein Geschäftsinhaber
mit Bild in der Tageszeitung zu sehen, weil er einen Betrag für
einen guten Zweck übergibt, von dem ich weiß, dass ihn
Privatleute ohne Aufhebens geben.
Aber wer kann schon sagen, dass er vor dieser Versuchung wirklich
ganz und gar frei wäre. Wir Menschen leben von der Anerkennung.
Wir leben vom Lob. Gott sei Dank gibt es immer wieder Gelegenheiten,
anderen spontan zu helfen, etwas Gutes zu tun. Wer hat sich da noch
nicht bei dem Gedanken erwischt: „Wenn mich jetzt jemand dabei
gesehen hat, ist mir das auch nicht unrecht.“ Oder denken wir
nur an die Art und Weise, wie manche etwas in die Büchsen oder
den Klingelbeutel tun.
Die linke Hand soll nicht wissen, was die rechte tut
Ernst und hart geht Jesus um mit uns und unseren Versuchungen: Heuchelei
ist das, sagt er, wenn du nur die Aufmerksamkeit anderer suchst. Gott
kannst du damit nicht imponieren. Er hat dich durchschaut. Die Ehre
der Menschen magst du haben, aber von ihm brauchst du dafür keinen
Lohn zu erwarten, so gut und so großzügig deine Hilfsbereitschaft
auch war. Ganz anders soll es bei euch sein.“ Und dann kommt
wieder eines dieser harten Worte aus der Bergpredigt:
Wenn du aber Almosen gibst, so lass deine linke Hand nicht wissen,
was die rechte tut, damit dein Almosen verborgen bleibe.
Dass Almosen im Verborgenen, ohne Zuschauer, gegeben werden, wurde
schon damals immer wieder geraten: Man legte seine Gaben z.B. in einem
Raum des Tempels in einem Kasten ab. Notdürftige wurden dann
daraus versorgt. Geber und Empfänger sollten sich nicht kennen.
Der Geber sollte nicht groß heraustreten. Und der Empfänger
sollte nicht in aller Öffentlichkeit als Hilfsempfänger
bloßgestellt werden.
Jesus geht hier noch einen Schritt weiter: nicht nur, ohne dass andere
Menschen zuschauen, sollen wir geben, sondern, ohne dass wir uns selber
dabei zuschauen.
Wörtlich gesehen geht das ja nicht, dass meine eine Hand nicht
weiß, was die andere tut, dass die Augen nicht zuschauen, wenn
die Hand hilft. Da hätten wir eine gespaltene Persönlichkeit.
Wie könnte das also gemeint sein, dass ich selber nicht Mitwisser
meiner guten Tat bin? Manche Ausleger sagen: Dass meine linke Hand
nicht wissen soll, was die rechte tut, heißt, dass nicht einmal
mein nächster Verwandter, nicht einmal mein Ehepartner es wissen
soll. Es heißt wohl auch, dass ich selber mich nicht dauernd
innerlich auf die Schulter klopfen soll für das Gute, das ich
getan habe.
Vielleicht ist das mit der linken und der rechten Hand aber auch so
gemeint wie im Gleichnis vom Gericht. Da lobt Jesus die Menschen,
die ihm Zeit ihres Lebens geholfen haben. Und die sagen: Wir wüssten
gar nicht, wo wir dir begegnet sind. Wir erinnern uns an diese Hilfe
gar nicht mehr.
Kennen Sie das nicht auch: Da erzählt ihnen einer viel später:
„Du weißt gar nicht, wie du mir damals in jenem Moment,
als ich so am Boden war, geholfen hast.“ Und wir wissen es wirklich
nicht. Ein zufälliger Anruf, eine zufällige Begegnung, gar
nicht geplant, können für andere zum Segen werden.
Wer beschenkt ist, kann auch schenken
Doch auch das ist für mich noch nicht der Kern dieses Abschnittes
aus der Bergpredigt. Das Geheimnis liegt im letzten Satz:
„Dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten."
„Dein Vater", das sind die zwei Schlüsselworte. Die
harten Forderungen der Bergpredigt, an denen viele zweifeln oder verzweifeln,
über die manche nur verwundert den Kopf schütteln, kann
ich nur von daher verstehen: Jesus, der seinen Vater im Himmel respektlos
mit „Abba“, also „Papa“ anredete, lädt
seine Jünger ein, sich genauso voll und ganz auf ihn einzulassen
wie er.
Nur wenn ich Gott so voll und ganz vertrauen und damit mich selber
loslassen lerne, kann überhaupt wahr werden, was da alles in
der Bergpredigt steht: Niemanden zürnen, sogar den Feind bedingungslos
lieben, auch noch die rechte Backe hinhalten, sich nicht von der Sorge
um Essen und Trinken zerfressen lassen, usw.. Sonst sind es übermenschliche
Forderungen.
Genauso hier: Von Herzen abgeben kann ich nur, wenn ich weiß,
dass ich selbst ein Beschenkter bin. Was ich habe, ist mir von Gott
geschenkt. Und er schenkt mir mehr, als ich bei Licht besehen, verdient
habe und brauche. Und ich erfahre: Wenn ich davon abgebe, sogar viel
abgebe, reicht es doch immer noch und ich werde nicht ärmer.
Manche habe sogar das Empfinden, sie wurden reicher dadurch. Amen |
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