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Die Predigt |
Was mache ich aus
der Zeit, die mir bleibt?
„Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf
dass wir klug werden.“ So haben wir vorhin aus den Psalmen miteinander
gebetet.
Beides bringt der letzte Sonntag im Kirchenjahr mit sich: Als Totensonntag
(oder im kirchlichen Sprachgebrauch: Gedenktag der Entschlafenen)
erinnert er uns an unsere Verstorbenen. Als Ewigkeitssonntag macht
er uns aufmerksam auf die Endlichkeit unseres Lebens.
Die Bibelworte zum Nachdenken für den heutigen Tag sind mehr
auf das letztere hin ausgerichtet. Kern der folgenden Worte ist für
mich das Weisheitswort: „Der heutige Tag ist der erste vom Rest
deines Lebens.“ Oder anders gesagt: Frage nicht so sehr: Wie
viel Zeit habe ich noch? Sondern frage besser: Was mache ich aus der
Zeit, die mir bleibt?
Aus dem 2. Brief des Petrus im 3. Kapitel:
(siehe oben)
Damals war die Lage anders
Was machen wir aus der Zeit, die uns bleibt? Die Worte aus dem Petrusbrief
antworten nicht genau auf unsere Frage: Die ersten Christen richteten
sich aus auf das Ende der Welt und das Kommen Gottes. Sie waren auf
kurze Zeit eingestellt.
Wenn wir über das Ende nachdenken, dann nicht so sehr über
das Ende der Welt, sondern über das Ende unseres eigenen Lebens.
Gut, bei manchen ist mit der Finanzkrise oder auch mit dem Klimawandel
so eine Art Endzeitstimmung entstanden. Aber dennoch ist den meisten,
wenn ich das recht sehe, das Ende des eigenen Lebens näher als
das Ende der Schöpfung.
Und: Wer ist wie die ersten Christen wirklich auf kurze Zeit eingestellt?
Sie haben so gelebt wie heute nur der, der genau weiß, dass
er nur noch kurze Zeit zum Leben hat. sie haben verkauft und verschenkt.
Sie haben radikal zwischen Wichtigem und Unwichtigem unterschieden.
Was ist die Zeit?
Aber auch bei den ganz unterschiedlichen Umständen und Lebensgefühlen
damals und heute bleibt doch die grundsätzliche Frage: Was mache
ich mit der Zeit, die mir noch bleibt? Die Frage ist wichtig, wenn
ich, wie ich hoffe, noch lange Zeit habe. Und die Frage ist wichtig,
wenn ich, was ich ja nicht weiß, vielleicht nur noch kurze Zeit
habe.
Zeit. Was ist Zeit? Zeit ist relativ, lese ich hier:
8 Eins aber sei euch nicht verborgen, ihr Lieben, dass ein Tag
vor dem Herrn wie tausend Jahre ist und tausend Jahre wie ein Tag.
Aus dem Psalm 90, den wir miteinander gebeten haben, hat der Petrusbrief
diese Erkenntnis genommen: „Tausend Jahre sind vor dir wie der
Tag, der gestern vergangen ist.“ Gott andere Vorstellungen von
Zeit.
Zeit ist Gnadenzeit
Alles Philosophieren über die Zeit oder die bange Frage: Wie
viel Zeit habe ich noch? führen für den Schreiber vom Thema
weg: Frage nicht, wie viel Zeit du noch hast, sondern frage, was du
aus dieser Zeit machst. Oder noch einmal mit dem Weisheitswort: Der
heutige Tag ist der erste vom Rest deines Lebens.
Oder mit den Worten des Petrusbriefs: Die Zeit, die bleibt, ist Gnadenzeit.
„Der Herr verzögert nicht die Verheißung, wie
es einige für eine Verzögerung halten; sondern er hat Geduld
mit euch und will nicht, dass jemand verloren werde, sondern das jedermann
zur Buße finde.“
Die zweite und die dritte Generation von Christen hatten damals damit
zu kämpfen, dass das ganz nah erwartete Ende der Schöpfung,
das sichtbare Kommen Gottes und die Gerechtigkeit viel länger
ausblieben als gedacht. Der Petrusbrief versteht das als Gnade Gottes:
Als einen geduldigen und langmütigen Gott stellt er Gott vor.
Absichtlich schiebt Gott sein Kommen hinaus, damit die, die ihr Leben
bisher verfehlt haben, weiter eine Chance haben, noch zu der Liebe
zu Gott und zum Mitmenschen und damit zu einem Sinn ihres Lebens zu
finden.
So ähnlich heißt es in Jesu Gleichnis vom Feigenbaum, das
wir am Buß- und Bettag gehört haben. Ein Feigenbaum, der
keine Früchte bringt, soll gefällt werden. Und dann bittet
der Gärtner den Besitzer des Gartens um Aufschub: „Hab
noch ein Jahr Geduld. Ich will noch einmal um ihn herum umgraben und
düngen. Vielleicht bringt er doch noch Frucht. Wenn nicht, kannst
du ihn immer noch umhauen.“
Gott ist einer, der Geduld hat, sagt Jesus. Gott ist einer, der sich
durch Bitten und Gebete erweichen lässt, einer der ein Herz hat.
Keine falsche Sicherheit
Aber: Man könnte Gottes Geduld auch überstrapazieren. Wer
fragt: Wie viel Zeit habe ich noch? könnte ja auf die Idee kommen:
Ach, ich habe noch viel Zeit.
„Es wird aber des Herrn Tag kommen wie ein Dieb; dann werden
die Himmel zergehen mit großem Krachen; die Elemente aber werden
vor Hitze schmelzen, und die Erde und die Werke, die darauf sind,
werden ihr Urteil finden.“
Nein, bitte nicht die Frage: Wie viel Zeit habe ich noch? Sie ist
in zwei Richtungen verführerisch. Sie kann dazu führen,
dass jemand da sitzt wie das sprichwörtliche Kaninchen vor der
Schlange: ängstlich und gelähmt. Und sie kann dazu führen,
dass sich jemand immer nur beruhigt: Umsteuern kann ich immer noch.
Irgendwann.
So führt beides zu Untätigkeit und Gleichgültigkeit.
Also noch einmal. Nicht: Wie viel Zeit habe ich noch? Sondern: Was
mache ich mit der Zeit, die ich noch habe? Oder mit den Worten aus
dem Petrusbrief:
Es gibt verpasste Gelegenheiten
„Wenn nun das alles so zergehen wird, wie müsst ihr
dann dastehen in heiligem Wandel und frommem Wesen.“
Heilig sollen wir leben: also so, wie es sich für Menschen gehört,
die um ihre Verantwortung vor Gott wissen. Dass nach unserem christlichen
Glauben unser Leben einmalig ist und einmal unweigerlich ein Ende
hat, bedeutet ja, dass es auch vertane Chancen und Gelegenheiten am
Ende geben wird. Fernöstliche Ideen wie die Reinkarnation, die
Wiedergeburt, die Vorstellung also, dass ein Mensch öfter lebe,
verwässern diesen Ernst wieder. Wer als Christ dieser asiatischen
Lehre zuneigt, muss sich dessen bewusst sein: Mein Leben hier und
meine Verantwortung vor Gott heute werden gleichgültig, wenn
da noch ein oder mehrere Leben kommen, wo ich nachholen kann, was
ich hier versäumt habe.
Nein, es gibt vertane Chancen und verpasste Gelegenheiten. Und nicht
wenige Angehörige leiden nach dem Tod eines Menschen auch darunter,
dass manches Wort nicht mehr gesprochen und manche Vergebung nicht
mehr gesagt werden konnte.
Den Tag als Geschenk nehmen
Eine von den Seniorinnen sagt mir einmal so ungefähr: „Jeden
Abend, wenn ich ins Bett gehe, bete ich mein Vaterunser und bitte
Gott um Vergebung. Ich bringe alles so in Ordnung, auch zwischen mir
und Menschen, dass ich jede Nacht mein Leben abschließen könnte.
Wenn ich dann am anderen Morgen wieder erwache, bin ich dankbar und
freue mich über diesen einen neuen Tag.“ Das hat mich sehr
beeindruckt. Ja, so müsste es sein, habe ich mir gedacht, nicht
nur bei einem alten Menschen.
Jawohl, dieser eine neue Tag, dieser Tag heute ist der erste vom Rest
meines Lebens. Ich darf ihn nutzen, ich soll ihn nutzen, dass es ein
wenig gerechter zu geht auf dieser Welt. Die große Gerechtigkeit,
die wird ja Gott erst schaffen:
13 Wir warten aber auf einen neuen Himmel und eine neue Erde nach
seiner Verheißung, in denen Gerechtigkeit wohnt. |
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