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Die Predigt vom 9. April 2004 (Karfreitag):
»Die Zeche ist bezahlt«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Am Karfreitag bedenken die Christen den Tod Jesu und seine Bedeutung. Von der Epistel her (s.u.), die auch Predigttext war, ist sein Thema die Versöhnung zwischen Gott und Mensch. Evangelium des Tages ist die Darstellung der Passion nach Johannes. Epistel und Predigttext aus 2. Korinther 5:
Predigttext
Sie können den Text auch online nachlesen. Weitere Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.
Der Predigttext
19 Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. 20 So sind wir nun Botschafter an Christi Statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott! 21 Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.
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Die Predigt

Versöhnung

"Versöhnung" ist der Kern dieser Worte, ja auch der Kern des Karfreitags. Karfreitag, das ist für die Christen das, was die Juden als den "großen Versöhnungstag", Jom Kippur, feiern.

Besinnen Sie sich kurz: Wann haben Sie sich zum letzten mal mit jemand versöhnt. - Wer war es? - Wie war es? - Was ging dem voraus? - Wie ging es ihnen hinterher? ...

Wie ist das, wenn Menschen sich versöhnen? In Bildern gesprochen:
Versöhnung ist wie ein Brückenschlag, da wo keine Brücke mehr ist.
Versöhnung ist, wie wenn eine Tür aufgemacht wird, die lange verschlossen war. Versöhnung ist, wie wenn eine Grenze niedergerissen wird, die zwei zwischen sich aufgerichtet hatten. Versöhnung ist, wenn einer dem anderen wieder in die Augen schauen kann. Versöhnung ist, wenn einer dem anderen wieder die Hand reicht.

Verhärtete Fronten

Was steht vor einer Versöhnung? Einer Versöhnung geht ein Bruch, gar ein Abgrund voraus. Türen sind zugeschlagen worden. Grenzen wurden gezogen, Abstand gewahrt. Gesichtszüge haben sich verhärtet. Diesen Bruch muss man erst nehmen, bevor es zu einer wirklichen Versöhnung kommen kann. Man kann ihn nicht vernachlässigen und so tun, als ob nichts gewesen wäre. Sonst bricht das Ganze beim kleinsten Anlass doch nur wieder auf, weil es nicht wirklich ausgesprochen und in Ordnung gebracht war.

Was ist das Schwere auf dem Weg zu einer Versöhnung? Einer wartet auf den anderen: "Der muss den ersten Schritt tun: Weil er den größeren Anteil der Schuld hat. Oder: Weil er angefangen hat." "Ich wäre ja bereit zur Versöhnung. Aber ist er es wirklich auch? Das muss er mir erst beweisen. Ich habe Zeit."
Man belauert sich. Keinem darf ein Zacken aus der Krone fallen. Jeder muss der Stärkere bleiben. Den ersten Schritt tun, ist das nicht ein Zeichen von Schwäche?

Den alten Adam ersäufen

Versöhnung: Ein durch und durch menschliches Thema. Wer könnte sagen, dass er noch nichts damit zu tun gehabt hat? Paulus nun in seinem Brief an die Korinther überträgt das Ganze auf das Verhältnis zwischen Menschen und Gott: Warum braucht es Versöhnung zwischen Gott und Mensch? Weil da immer wieder wie zwischen Mensch und Mensch ein Bruch ist, ein Graben, eine geschlossene Tür, ein verweigerter Handschlag.

Der Mensch ist und bleibt heillos egoistisch. Und das gilt auch für den glaubenden Menschen, der wie Luther sagt, immer ein Sünder und Gerechtgesprochener zugleich ist. Oder dessen alter Adam, wie er sagt, jeden Tag neu ersäuft werden muss. Dass auch der Glaubende ein Egoist ist und bleibt, heißt nicht, dass er ein moralisch schlimmer Mensch wäre. Von seinen Taten her, von seinem Handeln her merkt der, dessen Glaube
wächst und sich festigt, dass auch sein Lebenswandel davon geprägt wird. Doch der Egoismus bleibt. Ja, je mehr jemand im Glauben vorankommt, entdeckt er im allgemeinen seinen Egoismus erst so richtig. Je größer einem die Gnade Gottes wird, desto deutlicher, ehrlicher und schonungsloser sieht man auch sein eigenes Selbst.

Gott tut den ersten Schritt

Was nun? Wie kann es Versöhnung und Brückenschlag zwischen Gott und Mensch geben? Was wäre, wenn es menschlich zuginge? Der Mensch könnte sagen: Was? Versöhnung? Ich soll den ersten Schritt tun? Was habe ich denn getan? Ich bin doch kein Verbrecher? Ich bin doch immer anständig gewesen. Soll ich wohl vor Gott zu Kreuze kriechen, damit er mir gnädig die Hand hinstreckt?
Und Gott könnte sagen: Wer bist du? Was bildest du dir ein, Mensch, dass dein Schöpfer den ersten Schritt tun sollte?

Gott sei Dank, es ist bei Gott nicht so wie bei den Menschen: dass einer auf den anderen wartet, dass einer den anderen belauert, dass keiner einen ersten Schritt tun will, dass jeder denkt, es könne ihm ein Zacken aus der Krone fallen.
Wie sagt es Paulus: "Gott versöhnte die Welt mit sich selber." Gott, der Schöpfer, tut selber den ersten Schritt. Er, der ist nicht nötig gehabt hätte, reicht dem Menschen die Hand, öffnet dem Menschen die Tür, schlägt die Brücke über den Abgrund.
Hören wir genauer hin. Nicht: Gott versöhnt sich mit uns. Sondern: Gott versöhnt uns mit sich. Weil Versöhnung von uns ausgehen müsste, tritt er in auf unsere Seite, um uns mit sich zu versöhnen. Ein Gedanke, den man wohl nie recht zu Ende denken kann.

Sünde und Schuld beim Namen nennen

Wie soll das gehen? Wieder Paulus: "Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber." Gott, der weiß, dass der egoistische Mensch
seine Hand nie ausstrecken kann, sondern bockig weiter warten wird, der tritt in dem Menschen Jesus an die Seite der Menschen. Und so versöhnte Gott selber damals durch das heilende Handeln und durch das heilende Reden Jesu den Menschen. Und er tut es auch heute noch.
Sieht er damit über unseren heillosen Egoismus, über den alten Adam in uns einfach so hinweg? Nein. Versöhnung geschieht nicht durch Verharmlosung. Wenn zwei Menschen sich versöhnen, indem sie gegenseitige Schuld ausklammern oder ein Mäntelchen drüber decken, machen sie sich etwas vor. Mit den Worten des Paulus: "Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu." Sünde bleibt Sünde. Schuld bleibt Schuld. Was einer zum Zerwürfnis beigetragen hat, muss auch den Tisch. Doch Gott rechnet es dem Menschen nicht an. Er begleicht es selber.

Die Zeche ist bezahlt

So macht Gott im großen Stil, was auch unter uns Menschen, Gott sei Dank, immer wieder einmal im Kleinen geschieht: Da wird einem, der am
Abend nach Hause will, und seine Zeche nicht zahlen kann, von einem guten Freund ohne Aufhebens aus der Patsche geholfen.
Die Redensart, dass jemand die Zeche zahlen müsse, wird ja leider meistens negativ verwendet: Einer frisst etwas aus, und der andere muss ungerechterweise nun die Zeche zahlen. Aber das gibt es ja dankbarerweise auch, dass einer dem anderen freiwillig und gerne und freudig seine Zeche bezahlt.

Freiwillig unsere Zeche bezahlen, das hat in einem übertragenen Sinne Jesus damals gemacht, als er die Verurteilung auf sich genommen hat. Mit den Worten des Paulus: "Gott hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt."

Helfer zwischen den Fronten

Wenn Nachbarn, wenn Ehepartner, wenn Arbeitskollegen, wenn Eltern und Kinder, wenn Arbeitgeber und Gewerkschaften nicht aus eigener Kraft aufeinander zugehen können, braucht es Vermittler. Menschen, die bereit sind, sich zwischen die Fronten zu stellen und werbend in beide Richtungen zu reden. Da, wo es schwer fällt, dass einer dem anderen die Hand reicht, tut einer gut, der beide bei der Hand nimmt und ihnen hilft, sich langsam näher zu kommen.
In einer solchen Rolle versteht sich der Apostel Paulus im Blick auf uns Menschen, wenn er sagt: "So sind wir (damit meint er sich selbst) nun Botschafter an Christi Statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!" Paulus, der Vermittler, der zwischen den Fronten hin und her geht und der einen Seite die Friedensbotschaft der anderen Seite ausrichtet, mit der Bitte, doch einzuschlagen in die ausgestreckte Hand.

Der große Versöhnungstag

Die Zeche ist bezahlt. Es ist Frieden. Gott hat in Jesus Frieden gemacht zwischen dir und sich. Diese Botschaft muss uns Menschen immer wieder neu ausgerichtet werden. Warum immer wieder neu? Eine Friedensbotschaft braucht offene Ohren. Allen von uns ist dieser Frieden mit Gott verkündigt worden bei unserer Taufe. Er gilt, aber wir haben ihn nicht gehört, weil wir zu klein waren. Das ist und bleibt ein Problem unserer Taufe von Säuglingen.
Gottes Frieden ist uns verkündigt worden bei unserer Konfirmation. Er gilt, aber wie viele von uns haben ihn damals wirklich gehört? Die Brücke über den tiefen Graben dankbar annehmen: Das kann nur der, der den tiefen Graben wirklich empfindet. In Gottes Hand einschlagen. Das kann
vielleicht nur der, der einmal sehnsüchtig nach seiner Hand gesucht hat.

"Lasst euch versöhnen mit Gott." sagt Paulus. "Hört die Botschaft von dem Frieden, der schon längst geschlossen ist. Schlagt ein in die ausgestreckte Hand Gottes. Wenn nicht heute am großen Versöhnungstag, wann denn sonst?"

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de