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Die Predigt |
Karfreitag der
höchste Feiertag?
Das liest man öfter und das hört man öfter, dass der
Karfreitag der höchste evangelische Feiertag sei. Sicher, Karfreitag
ist lebenswichtig und glaubenswichtig, wenn man begriffen hat, dass
durch das Kreuz die Versöhnung zwischen Gott und Mensch geschehen
ist. Eine Versöhnung, die wir aus eigener Kraft nicht hätten
schaffen können.
Aber Karfreitag und Ostern gehören doch untrennbar zusammen.
Auch wenn wir hier in unserer Auferstehungskirche kein Bild des Gekreuzigten
haben, sondern ganz bewusst den Auferstandenen, würde ich trotzdem
nicht sagen wollen, Ostern sei der höchste Feiertag. Es gibt
Karfreitag nicht ohne Ostern, und es gibt Ostern nicht ohne den Karfreitag.
Man kann das eine nicht ohne das andere verstehen.
Karfreitag durch die Brille von Ostern
Das ist wichtig für das heutige Evangelium, das auch Predigttext
ist: Der Evangelist Johannes sieht und beschreibt den Karfreitag sozusagen
durch die Brille von Ostern. Er schrieb das letzte, das jüngste
der Evangelien. Er schrieb etwa 60-70 Jahre nach Jesu Tod. Er schrieb
für Menschen, die die anderen Evangelien kannten. Und so kam
es ihm nicht so sehr auf die nochmalige und genaue Beschreibung der
Geschehnisse an. Sondern er gewichtete, er deutete und interpretierte
das Geschehen auf seine Weise. Das hat nun nichts mit Ungenauigkeit
oder historischer Verfälschung zu tun: Wir haben die Beschreibung
eines Glaubenden vor uns, nicht den Bericht eines neutralen und unbeteiligten
Geschichtsschreibers. Die Göttlichkeit Jesu steht für Johannes
im Mittelpunkt. Aus allem, was Jesus tut und sagt, leuchtet schon
das Licht der Auferstehung hervor:
So lässt er die Schmerzen, die Verhöhnung, die Verlassenheit,
die wir aus den anderen Evangelien kennen, weg. Jesus bewahrt seine
Hoheit und Göttlichkeit bis zum letzten Atemzug. Auf diese Weise
lehrt Johannes seine Leser und Hörer, das Kreuz Jesu nicht als
ein Scheitern, sondern als Sieg zu begreifen.
Jesus führt selbst die Regie
Sie nahmen ihn aber, 17 und er trug sein Kreuz und ging hinaus
zur Stätte, die da heißt Schädelstätte, auf hebräisch
Golgatha. 18 Dort kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere zu beiden
Seiten, Jesus aber in der Mitte.
Die Hinrichtungsstätte lag traditionell außerhalb der Stadtmauern.
Wer hingerichtet wurde, wurde dadurch ganz bewusst entehrt und aus
der Gemeinschaft ausgestoßen. Erst später, als sich die
Stadt Jerusalem weiter ausdehnte, befand sich die Gegend innerhalb
der Stadtmauern, an der Stelle, wo heute die Grabeskirche steht.
In der aramäischen Sprache der Zeit Jesu nannte man die Stelle
Golgotha, auf Deutsch „Schädel“: Offenbar nach jenem
schädelförmigen Felsen, der dort in einer Art Steinbruch
stand. Wir haben keinen vernünftigen Grund, daran zu zweifeln,
dass es der Felsen ist, den man jetzt noch als Jerusalempilger unter
der Grabeskirche sehen kann.
Nach römischem Brauch musste der Verurteilte den Querbalken seines
Kreuzes selbst zur Hinrichtung tragen. Nach Johannes tut Jesus das
auch, während die anderen Evangelien davon erzählen, dass
er zu schwach war und Simon von Kyrene dazu vom Straßenrand
geholt wurde. Offenbar liegt es Johannes am Herzen, Jesus als den
aktiv Handelnden und nicht den passiv Leidenden darzustellen. Er lässt
sich nicht beugen. Er behält bis zuletzt die Initiative. In einem
anderen Bild: Es scheint nur so, als sei er das Opfer, das mitspielen
muss in diesem grausamen Spiel. In Wirklichkeit führt er die
Regie.
Jesus ist der eigentliche König
19 Pilatus aber schrieb eine Aufschrift und setzte sie auf das
Kreuz; und es war geschrieben: Jesus von Nazareth, der König
der Juden. 20 Diese Aufschrift lasen viele Juden, denn die Stätte,
wo Jesus gekreuzigt wurde, war nahe bei der Stadt. Und es war geschrieben
in hebräischer, lateinischer und griechischer Sprache.
Aus der römischen Geschichtsschreibung wissen wir, dass solche
Tafeln den zum Kreuzestod Verurteilten vorausgetragen bzw. um den
Hals gehängt wurden. In drei Sprachen war der Verurteilungsgrund
abgefasst: In der aramäischen Landessprache, in der lateinischen
Verwaltungssprache und in der griechischen Welt- und Bildungssprache
der damaligen Zeit. Wenn Johannes das gegenüber den anderen Evangelien
so deutlich heraushebt, will er damit offenbar sagen, dass der Tod
Jesu eine weltumspannende Bedeutung hat, dass sein Heil für die
ganze damals bekannte Welt gilt.
21 Da sprachen die Hohenpriester der Juden zu Pilatus: Schreib
nicht: Der König der Juden, sondern, dass er gesagt hat: Ich
bin der König der Juden. 22 Pilatus antwortete: Was ich geschrieben
habe, das habe ich geschrieben.
Eine tiefe Spitzfindigkeit des Evangelisten Johannes: Der Heide Pontius
Pilatus bekennt, ohne es zu wollen und natürlich ohne es zu glauben,
mit dieser Überschrift Jesus beharrlich und trotzig als den König
und Herrn der Welt, während die jüdische Obrigkeit ihn bis
zuletzt ablehnt.
Sie können ihm nicht seine Würde nehmen
23 Als aber die Soldaten Jesus gekreuzigt hatten, nahmen sie seine
Kleider und machten vier Teile, für jeden Soldaten einen Teil,
dazu auch das Gewand. Das war aber ungenäht, von oben an gewebt
in einem Stück. 24 Da sprachen sie untereinander: Lasst uns das
nicht zerteilen, sondern darum losen, wem es gehören soll. So
sollte die Schrift erfüllt werden, die sagt: »Sie haben
meine Kleider unter sich geteilt und haben über mein Gewand das
Los geworfen.« Das taten die Soldaten.
Deutlicher als die anderen Evangelien, deutlicher als alle Kreuzesdarstellungen
der christlichen Kunst, sagt uns Johannes, dass Jesus hat nackt sterben
müssen. Fast kein Künstler in der Geschichte hat sich aus
Ehrfurcht getraut, das auch darzustellen. Aber es entsprach den schrecklichen
Gepflogenheiten: Nackt und entblößt wurde er der gaffenden
Menge zur Schau gestellt. Nicht nur seiner Kleider, sondern auch seiner
menschlichen Würde wollten sie ihn berauben.
Dass ihnen das nicht gelingt, dass sie ihm trotz seiner Nacktheit
seine Hoheit und Göttlichkeit nicht nehmen können, das sagt
Johannes zwar nicht extra, aber es ist überdeutlich.
Jesus denkt bis zuletzt nicht an sich
25 Es standen aber bei dem Kreuz Jesu seine Mutter und seiner
Mutter Schwester, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala.
26 Als nun Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den
er lieb hatte, spricht er zu seiner Mutter: Frau, siehe, das ist dein
Sohn! 27 Danach spricht er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine
Mutter! Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.
Nach den Berichten der anderen Evangelien waren die Frauen die einzigen,
die den Mut hatten, Jesus zur Hinrichtung zu begleiten. Johannes erzählt
davon, dass auch der sogenannten Lieblingsjünger Johannes neben
seiner Mutter unter dem Kreuz stand. Bis zuletzt, so will er uns deutlich
machen, hat Jesus nur Augen für die Menschen um sich herum. Um
sich sorgt er sich nicht. Seine Sorge gilt denen, für die er
vorher schon da gewesen ist. Bis zuletzt, bis zum letzten Atemzug
bleibt er seiner Sendung und seinem Auftrag treu.
Jesus bleibt seiner Sendung treu
28 Danach, als Jesus wusste, dass schon alles vollbracht war,
spricht er, damit die Schrift erfüllt würde: Mich dürstet.
29 Da stand ein Gefäß voll Essig. Sie aber füllten
einen Schwamm mit Essig und steckten ihn auf ein Ysoprohr und hielten
es ihm an den Mund. 30 Als nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach
er: Es ist vollbracht! und neigte das Haupt und verschied.
Noch einmal wird bei diesem letzten Atemzug deutlich, wie hier mit
Johannes ein Glaubender schreibt, der von der Auferstehung her schaut:
„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen." Mit
den Worten des 22. Psalms auf den Lippen stirbt Jesus nach dem Markusevangelium.
„In deine Hände befehle ich meinen Geist." Mit dem
Abendgebet des frommen Juden geht Jesus nach dem Lukasevangelium in
den Tod. „Es ist vollbracht." So schreibt Johannes, um
deutlich zu machen, dass Jesus seine Sendung im Auftrag seines Vaters
bis zum letzten Atemzug durchhält und nun zur Vollendung bringt.
Deswegen auch kann Johannes in seinem Evangelium von der Erhöhung
Jesu an das Kreuz sprechen, weil er mit dem Kreuz unmittelbar verbunden
auch seine Auferstehung und sein Sitzen zur Rechten Gottes mitbedenkt.
Eine theologische, keine geschichtliche Darstellung
Nun könnte jemand sagen: Ist das recht, entspricht es dem damaligen
Geschehen, wenn Johannes den Schrecken und Ernst des Kreuzes, die
Verlassenheit Jesu und seine Schmerzen so in den Hintergrund stellt
und Jesus, den Sieger, so in den Vordergrund?
Von unseren heutigen Medien her könnte man vielleicht sagen:
Johannes hat kein Interesse an Reality-TV, an Gerichtssendungen, nachgestellten
Verkehrsunfällen oder Kriegsberichterstattung, an der ausführlichen
Schilderung medizinischer Vorgänge. Er hat kein Interesse, Zuschauern
das Leid um des Leides willen vor Augen zu führen. Wer es zu
oft sieht, wird abgestumpft und es rührt ihn zuletzt gar nichts
mehr. Er sitzt in seinem Lehnsessel, legt die Beine hoch, knabbert
seine Chips und trinkt sein Bier. Und Leiden und Sterben und Krieg
werden so belanglos wie die Werbung in den Zwischenpausen.
Dass wir nicht Zuschauer sein und bleiben dürfen, sondern dass
dieses Kreuz und dieser Jesus mit dir und mir zu tun haben, dieses
Entscheidende führt uns Johannes vor Augen.
Der Gekreuzigte auf der Seite derer, die ihr Kreuz tragen
Das wird bei Johannes überdeutlich: Jesus ist in Wirklichkeit
der Stärkere. Jesus ist der Sieger. Bis zuletzt ist er aktiv
und führt er Regie. Bis zuletzt steht er ganz eindeutig auf der
Seite der Schwachen und der Leidenden. Auf der Seite der Ausgelieferten.
Auf der Seite der Mutlosen und Verzweifelten. Auf der Seite der Sterbenden.
Auf der Seite der Trauernden. Auf der Seite der Hinterbliebenen.
Der Gekreuzigte steht auf der Seite derer, die heute ihr Kreuz tragen
müssen.
Aus diesem Grund gibt es Kreuze, die man als Seelsorger oder Besucher
ins Krankenhaus mitnehmen kann oder zu Sterbenden oder Traurigen …
Sie haben bewusst runde Formen und sind schön anzufassen. (Hochhalten)
Auf den ersten Blick ist das ja eigentlich unangemessen, dass das
Kreuz so weich gemacht wird und dass ihm seine Ecken, Kanten und Spitzen
genommen werden.
Aber es geht darum, dass man das Kreuz ganz fest an sich nehmen, spüren
und festhalten kann. Das man sich am Kreuz festhalten kann. Dass man
den Beistand des Gekreuzigten nicht nur hören, sondern auch fühlen
kann.
„Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir,
wenn ich den Tod soll leiden, so tritt du dann herfür;
wenn mir am allerbängsten wird um das Herze sein,
so reiß mich aus den Ängsten kraft deiner Angst und Pein.“
Amen |
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