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Die Predigt |
Man sieht nur mit
dem Herzen gut
„Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für
die Augen unsichtbar.“ Diese Erkenntnis aus dem Buch „Der
kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry gilt auch
für die Geschichten vom Beginn des Lebens Jesu. „Man sieht
nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“
Jesus ist ganz Mensch durch und durch. Und nur wer Augen dafür
hat, entdeckt hinter dem äußeren Augenschein seine göttliche
Natur.
Unsere Bibel erzählt uns von seinen Anfängen nicht viel
und so schreitet auch das Kirchenjahr in Riesenschritten voran: An
Weihnachten hören wir von seiner Geburt; am Sonntag nach Weihnachten
von seiner Darstellung im Tempel und der Begegnung mit Simeon und
Hanna; am 2. Sonntag nach Weihnachten schon vom zwölfjährigen
Jesus. Epiphanias lenkt mit der Anbetung der Weisen noch einmal auf
Weihnachten zurück. Und heute am 1. Sonntag nach Epiphanias geht
es um den Beginn seiner Wirksamkeit mit seiner Taufe durch Johannes.
„Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für
die Augen unsichtbar.“ Die Hirten sehen nur ein armseliges Kind,
aber sie entdecken in ihm den Retter der Welt. Die Weisen sind im
Stall am Ziel ihrer Suche und bringen ihm Geschenke, die nur eines
Königs würdig sind. Der alte Simeon kann getrost sterben,
weil er in ihm den Heiland entdeckt hat.
Wer keine Augen dafür hat, sieht einen Menschen durch und durch,
noch dazu einen, der sich ganz unterordnet: Er wird armselig geboren
und schon als Kind verfolgt. Am Ende der Erzählung von zwölfjährigen
Jesus im Tempel heißt es: „Und er ging mit ihnen hinab
und kam nach Nazareth und war ihnen untertan.“ (Lk 2,51)
[Derselbe Jesus wird dann später seinen Jüngern sagen: „Wer
unter euch groß sein will, der sei euer Diener." (Mt 20,26)
Er wird auf einem Esel, dem Reittier der Armen, in Jerusalem einziehen.
(Mt 21,5) Er wird bei der Gefangennahme dem Petrus sagen, dass er
sein Schwert wegstecken soll und dass er auf die Hilfe von zwölf
Legionen Engel verzichtet. (Mt 26,52f)]
Jesus ordnet sich unter
Jesus ordnet sich unter. In diese Reihe gehört auch die Erzählung
von seiner Taufe, die sie vorhin als Evangelium gehört haben:
Jesus kommt zu Johannes, um sich von ihm taufen zu lassen, inmitten
einer großen Menge, so als wäre er einer von vielen. Und
Johannes, der hinter die Kulissen schaut, der mit dem Herzen sieht,
protestiert sofort.
Lange war in der frühen Kirche diese Erzählung gar nicht
beliebt: Wenn die Menschen vor Johannes ihren verkehrten Lebensweg
bekennen, wenn seine Taufe Vergebung der Sünden zusagt, wie kann
der sündlose Jesus sich von ihm taufen lassen? Es passte nicht
ins Konzept. Es passte nicht ins Bild. Und was nicht sein darf, das
nicht sein kann!
15 Jesus aber antwortete und sprach zu ihm: Lass es jetzt geschehen!
Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen.
Da ließ er's geschehen.
Johannes vertritt mit seinem Protest sozusagen die menschliche Logik,
die sagt: So kann Jesus nicht sein! Wie kann er sich so unterordnen?
Eine Logik, die auch heute fragt: Wenn Gott Gott ist, wie kann er
nur ... Er müsste doch ...
Und Jesus verweist ihn auf die göttliche Gerechtigkeit, die erfüllt
werden soll: Gott hat ganz anderes vor. Er hält einen anderen
Weg für gerecht, für recht, für richtig, für angebracht.
Er will nicht den machtvollen Weg gehen, sondern den sanftmütigen.
Er will nicht den machtpolitischen Weg gehen, sondern den persönlichen.
Gott geht nicht den Weg der Macht
16 Und als Jesus getauft war, stieg er alsbald herauf aus dem
Wasser. Und siehe, da tat sich ihm der Himmel auf, und er sah den
Geist Gottes wie eine Taube herabfahren und über sich kommen.
Und schon wieder: Für Jesus allein tut sich der Himmel auf. Er
allein sieht, wie Gott sich zu ihm bekennt. Er allein erfährt,
dass Gott ihm die Kraft seines Heiligen Geistes zur Erfüllung
seiner Aufgabe schenkt.
Und dann fragt natürlich menschliche Logik wieder: Hätte
Gott das nicht ganz anders richten können? Hätte diese machtvolle
Demonstration nicht für das ganze Volk sichtbar und hörbar
sein können? Dann hätten doch alle gewusst, woran sie mit
Jesus sind.
Aber nein: Zweimal werden im gleichen Evangelium die Pharisäer
von Jesus ein solches göttliches Beglaubigungszeichen erbitten,
und beide Mal bekommen sie es nicht. (Mt 12,39; 16,4)
Jesus ist kein Sozialrevolutionär
Ich kann das alles nicht anders verstehen, als dass der Auftrag Jesu,
der da mit seiner Taufe beginnt, nicht in machtvollen öffentlichen
Demonstrationen der Macht Gottes bestehen sollte. Jesus hatte offenbar
keinen politischen Auftrag. Es ging auch nicht, so enttäuschend
das sein mag, um die Herstellung gerechter Zustände in der damaligen
Gesellschaft.
Was aber sonst? Wenn ich über Matthäus hinaus das ganze
Neue Testament hernehme, dann geht es bei der Sendung Jesu um das
persönliche Leben: Er, der geliebte Sohn, ist dazu da, das gestörte
oder gebrochene Verhältnis der Söhne und Töchter Gottes
zu ihrem Vater im Himmel in Ordnung zu bringen.
Jesus hört zwar: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich
Wohlgefallen habe." Aber auch alle anderen sind nach Matthäus
Kinder Gottes, z.B. wenn sie Frieden stiften. (Mt 5,9) Und Jesus bringt
seinen Jüngern das Vaterunser bei und lehrt sie damit, Gott als
ihren Vater anzureden. (Mt 6,5ff) Lukas erzählt vom verlorenen
Sohn und wie ihn der Vater bei seiner Rückkehr in die Arme schließt.
(Lk 15,11ff) Und Johannes und Paulus gehen dann noch weiter und ermutigen
alle Getauften, sich als Kinder Gottes zu verstehen.
Das politische Evangelium
Ist das Evangelium also nur eine rein persönliche Angelegenheit?
Geht es im Glauben nur um Frömmigkeit und Innerlichkeit, um das
Verhältnis zwischen Gott und Mensch im stillen Kämmerlein?
Ich glaube nicht, denn: Wer ernsthaft Gott als seinen Vater versteht,
entdeckt automatisch in seinen Mitmenschen Schwestern und Brüder.
Und da geht es dann selbstverständlich um die Gerechtigkeit.
Ja, da wird es auch politisch. Denn wenn der andere genauso wie ich
ein Kind Gottes ist, dann steht ihm dasselbe zu wie mir. Bis hin zu
diese unbequemen Sätzen Jesu:
Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, damit
ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne
aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über
Gerechte und Ungerechte. (Mt 5,44f)
und
40 ... Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern,
das habt ihr mir getan. (Mt 25,40)
Töchter und Söhne Gottes
Das ist für mich die Botschaft dieser Taufgeschichte, wenn ich
sie im Ganzen des Evangeliums anschaue: Auch wir sind wie Jesus durch
unsere Taufe geliebte Töchter und Söhne Gottes.
„Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe."
Das gilt auch uns. Genauso wie wir Weihnachten gehört haben:
„Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den
Menschen, an denen Gott Wohlgefallen hat.“
Wenn wir Gott als Vater schon kennen, dann sollen wir dieses Verhältnis
im Gespräch mit ihm immer mehr vertiefen.
Wenn wir ihn noch nicht kennen, werden wir eingeladen, ihn kennenlernen.
Wenn wir uns pubertär und trotzig von ihm entfernt haben, sollen
wir wieder zu ihm zurückfinden wie der verlorene Sohn, der genauso
auch eine verlorene Tochter gewesen sein könnte.
Wenn uns vielleicht der leibliche Vater enttäuscht hat, dürfen
wir hören, dass Gott in einem guten Sinne Vater ist und nicht
enttäuscht.
Und nicht zuletzt: Wenn wir an einen Vater im Himmel glauben, dann
sollen wir in dem Menschen neben uns unsere Schwester oder unseren
Bruder erkennen und auch so behandeln. |
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