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Die Predigt |
Menschen ohne festen
Arbeitsplatz
Wir hören von einem Weinbergsbesitzer in Israel zur Zeit Jesu.
Ein Weinbauer. Ein Winzer. Zur Weinlese braucht er zusätzliche
Arbeitskräfte. Er holt sie sich unter den sogenannten Tagelöhnern.
In weiten Teilen der Welt gibt es noch heute Männer, die sich
am Morgen auf den Markt stellen in der Hoffnung, für diesen Tag
eine Arbeit zu bekommen, für diesen Tag ihre Familie ernähren
zu können. Oder sie ziehen als Wanderarbeiter in Scharen vom
Land in die Städte und sehen ihre Familien manchmal monatelang
nicht.
Tagelöhner kennen wir bei uns praktisch nicht, aber die Saisonarbeiter,
ohne die in der Erntezeit, z.B. bei der Spargelernte, nichts ginge.
Oder die sogenannten Leiharbeiter, die die Firmen zeitlich begrenzt
einstellen, wenn es die Auftragslage zulässt.
„Früh am Morgen“, also bei Sonnenaufgang, sagen wir
einmal so gegen sechs Uhr, stellt der Weinbergsbesitzer die ersten
Arbeiter ein. „Um die dritte Stunde“ nach orientalischer
Rechnung, also um 9 Uhr geht er noch einmal. Und dann um 12 Uhr und
nachmittags um 3 Uhr und schließlich noch einmal um 5 Uhr, eine
Stunde vor Feierabend.
Gerechte Belohnung?
Ein Silberstück, der römische Denar, die griechische Drachme,
das war der übliche Tageslohn. Der Lohn, mit dem man so recht
und schlecht eine Familie ernähren konnte. Eine Art sozialer
Mindeststandard. Zehn bis zwölf Fladenbrote bekam man damals
dafür. Ein Lamm kostete schon drei bis vier Denare.
Mit denen, die früh am Morgen ihre Arbeit begonnen haben, hat
der Weinbauer diesen üblichen Tageslohn vereinbart. Denen, die
später eingestellt wurden, sagt er: „Ich will euch geben,
was recht ist.“ Also: Ich will euch gerecht, ich will euch angemessen
bezahlen. Was ist nun gerecht, wenn jemand nicht den ganzen Tag arbeitet?
Ich vermute, die Männer haben nicht mit einem ganzen Tageslohn
gerechnet, sondern nur mit einem Teil.
Nach Feierabend bekommen die Tagelöhner sofort ihren Lohn. So
war es im Alten Testament vorgeschrieben. (5. Mose 24,14f; 3. Mose
19,13) Eine Arbeitsschutzmaßnahme, so würden wir heute
sagen. Als es also nun ans Auszahlen geht, bekommen die mit einer
Stunde Arbeit überraschend den vollen Tageslohn. Wie sie reagiert
haben, steht nicht da. Vermutlich haben sie einen Luftsprung gemacht,
denn damit rechnen konnte sie nicht. Vielleicht ist ihnen schon die
ganze Zeit durch den Kopf gegangen, wie sie es am Abend Frau und Kindern
erzählen sollen, dass sie wieder einmal hungern müssen.
Sie waren ja nicht faul. Sie haben sich bemüht. Aber sie hatten
beim besten Willen nicht genügend Arbeit.
Und genauso ging es denen, die drei, die sechs und die neun Stunden
gearbeitet hatten. Jeder bekam den Tageslohn. Beschwert haben sie
sich sicher nicht. Es war mehr, als sie hoffen konnten.
Ist das gerecht?
Dass die, die seit dem frühen Morgen auf den Beinen waren, nun
damit gerechnet haben, dass sie gerechterweise mehr bekommen, ist
doch wohl kein Wunder. Oder? Sie murren, doch der Weinbauer erinnert
sie an die Vereinbarung: Ein Tag Arbeit für einen Tageslohn.
Sie haben bekommen, was ausgemacht war, nicht mehr und nicht weniger.
Dass er den anderen mehr gibt, ist seine Sache, ist sein Geld.
„Mein Freund, ich tu dir nicht Unrecht. Bist du nicht mit
mir einig geworden über einen Silbergroschen? Nimm, was dein
ist, und geh! Ich will aber diesem letzten dasselbe geben wie dir.
Oder habe ich nicht Macht zu tun, was ich will, mit dem, was mein
ist? Siehst du scheel drein, weil ich so gütig bin?“
Zwei verschiedene Verständnisse von Gerechtigkeit: Rechnerisch
gerecht war es nicht, mathematisch gerecht, von der Leistung her,
von der Arbeit her. Vom gesunden Menschenverstand her war es eher
willkürlich. Vor dem Arbeitsgericht hätte so ein Vorgehen
heute vermutlich keinen Bestand.
Doch der Weinbauer, der gesagt hat: „Ich will euch geben, was
recht ist.“ meint eine andere Gerechtigkeit. Er entscheidet
nicht nach Leistung, sondern er entscheidet vom Menschen her. Er entscheidet
als sozialer Arbeitgeber, oder wie es hier heißt: als gütiger
Arbeitgeber: Jeder dieser Männer hat Familie. Jeder dieser Männer
hat sich um Arbeit bemüht. Jeder soll seine Familie ernähren
können und nicht mit leeren Händen nach Hause gehen.
Gott belohnt nicht nach Lesitung
Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Jesus will seinen Zuhörern
ja nicht in erster Linie etwas von sozialen Beschäftigungsverhältnissen
erzählen. Und je länger die Geschichte gedauert hat, haben
die Hörer auch gemerkt, dass es um etwas anderes geht. Denn so
planlos wie in dieser Erzählung hat sich kein Arbeitgeber verhalten.
Jesus spitzt zu. Er übertreibt. Er baut bei seinen Hörern
Spannung auf. Er will auf etwas anderes raus.
„Das Himmelreich gleicht einem Hausherrn, der früh
am Morgen ausging, um Arbeiter für seinen Weinberg einzustellen."
In einem Vergleich redet Jesus, in einem sog. Gleichnis. Was es mit
dem Gott auf sich hat, der „höher ist alle Vernunft“,
kann man nur mit Bildern beschreiben. „Hört mir zu: Ich
will euch etwas von Gott erzählen, vom Reich der Himmel, vom
Reich Gottes, davon, wie es zugeht, wenn Gottes Herrschaft einmal
angebrochen sein wird."
Die Zuhörer damals haben’s gemerkt. Auch Sie als Predigthörer,
denke ich, haben's entdeckt: Von Gott erzählt Jesus in der Person
des Weinbergsbesitzers. Von einem Gott, der eine andere Vorstellung
von Gerechtigkeit hat. Der nicht nach Leistung belohnt und urteilt,
sondern der den Menschen im Blick hat. Ein Gott mit sozialem Gesicht,
ein gütiger Gott, der weiß, was die Menschen brauchen.
Ist das wirklich gerecht?
Wen hatte Jesus damals im Blick? Die Frommen vielleicht, die sich
auf ihre Frömmigkeit etwas eingebildet haben, die herabgeschaut
haben auf die einfachen Leute, die die Heilige Schrift nicht kannten,
und sie alleine deswegen nicht einhalten konnten. Die oft genannten
Schriftgelehrten und Pharisäer, die andere als Zöllner und
Sündern abqualifiziert und damit auch endgültig abgeschrieben
haben. Sie hören am Ende des Gleichnisses: Es könnte sein,
dass bei der Abrechnung, dass dann, wenn Gott sein Urteil spricht,
die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sind.
Und wir heute, wenn wir dieses Gleichnis hören, wo ordnen wir
uns ein? Bei denen vielleicht, die schon viel für Gott getan
haben, die zu den regelmäßigen Gottesdienstbesuchern gehören,
zu den fleißigen Mitarbeitern? Könnten andere nicht auch
mal etwas tun? Könnten andere nicht auch öfter kommen? Warum
sieht man sie nur an Weihnachten?
Und was ist mit dem und jenem: Im Alter, so kurz vor Toresschluss
wird er plötzlich fromm.
Oder sieht sich jemand eher bei denen, die Gott relativ spät
in ihrem Leben entdeckt haben? Die etwas von der Geduld Gottes erzählen
können und sehr froh sind darüber.
Gott braucht jeden – früher oder später
Gott braucht Menschen, so wie der Weinbergsbesitzer Arbeiter gebraucht
hat. Gott ruft Menschen. Er ruft sie zum Glauben. Und er ruft sie
damit in seinen Dienst.
Jeder, der getauft ist, wird auch gerufen, wird auch gebraucht. Gehöre
ich eher zu denen, die er am Anfang schon erreicht hat: Als Kind,
als Konfirmand oder Jugendlicher. Oder erst später oder ganz
spät? Habe ich schon früh in meinem Leben begriffen, was
Gott von mir will? Oder erst im Lauf des Lebens? Oder sehr spät,
doch nicht zu spät?
Niemand wird getadelt in Jesu Geschichte, dass er faul gewesen wäre
oder sich vor dem Ruf gedrückt hätte. Die einen hat der
Ruf eher erreicht, die anderen später. Dass es ihre eigene Schuld
wäre, oder wer Schuld hat, das ist nicht das Thema. Gott ruft
– die einen eher, die anderen später. Es ist seine Sache.
Oder er hat gerufen, und ich habe nicht hören können: durch
die Erziehung, durch die Familienverhältnisse, wegen Schicksalsschlägen,
Eigensinn, dem schlechten Vorbild anderer …
Und wenn dann abgerechnet wird ...
Und wie wird’s dann sein am Feierabend? Am letzten, am endgültigen
Feierabend, wenn es ans Lohnauszahlen geht? Dann, so sagt Jesus, werden
wir einem Herrn begegnen, der nicht kleinlich vorrechnet. Sondern
der uns überraschen wird, so dass die einen Luftsprünge
machen und die anderen eher ein Gesicht ziehen. Wenn dann jeder bekommt,
nicht was ihm zusteht, sondern was er zum Leben braucht, zum ewigen
Leben wohlgemerkt.
„Mancher, der sich vor dem Gerichte Gottes zu sehr gefürchtet
hat, wird sich in der Ewigkeit ein klein wenig schämen müssen,
dass er dem Herrn nicht noch mehr Gnade zugetraut hat.“
(Johann Albrecht Bengel) (Gesangbuch S. 229) |
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