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predigt[e].de

Die Predigt vom 13. Juni 2004 (1. Sonntag nach Trinitatis):
»Liebe wird nur durch Geliebtwerden gelernt«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging den 1. Sonntag nach Trinitatis. Sein offizielles Thema ist das Hören auf Apostel und Propheten, sein heimliches Thema die Liebe. Evangelium dieses Sonntags ist das Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus. Epistel und Predigttext (s.u.) standen im 1. Johannesbrief im 4. Kapitel:
Predigttext
Sie können den Text auch online nachlesen. Weitere Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.
Der Predigttext
16b Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. 17 Darin ist die Liebe bei uns vollkommen, dass wir Zuversicht haben am Tag des Gerichts; denn wie er ist, so sind auch wir in dieser Welt. Furcht ist nicht in der Liebe, 18 sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht rechnet mit Strafe. Wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der Liebe. 19 Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt. 20 Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht? 21 Und dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe.
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Die Predigt
Schlingensief und die „Kirche der Angst“

Vielleicht haben Sie es auch in der Wochenendausgabe der Tageszeitung gelesen: Als Ort für Gespräch und Begegnung entsteht eine "Kirche der Angst" vor dem Bayreuther Jugendkulturzentrum. Angst und Kirche. Das macht neugierig. Das provoziert. Dahinter steht Christoph Schlingensief, einer der gerne mit Provokationen arbeitet, um Menschen aufmerksam
zu machen und aufzurütteln. Vielleicht muss man heute provozieren, wenn man etwas Wichtiges zu sagen hat. Sonst wird man bei den vielen, vielen Meldungen gar nicht mehr wahr genommen.
"Kirche der Angst": Das meint, Menschen sollen sich ihrer Angst bewusst werden. Sie sollen zu ihrer Angst stehen und sie nicht unterdrücken. Das ist bei Schlingensief v.a. politisch gemeint. Wir sollen eine gesunde Angst, eine gesunde Skepsis haben bei den Argumenten, mit denen der Krieg im Irak gerechtfertigt wird.
"Kirche der Angst" heißt auch, Menschen sollen sich zusammentun und über ihre Ängste reden. Sie sollen Einzelgemeinden dieser Kirche der Angst gründen. Angst darf nicht lähmen, darf nicht zum Rückzug führen, zur Vereinzelung.

Die christliche Kirche und die Angst

"Kirche der Angst" ist aber auch ein Vorwurf. Eine neue Kirche braucht es nur, wenn die alte versagt. Den christlichen Kirchen wird vorgeworfen, dass sie sich eben nicht um die Ängste der Menschen kümmern, ja dass man in der Kirche keine Angst haben dürfe.

Wenn das wirklich so wäre, wenn die Kirche die Menschen alleine lassen würde mit ihrer Angst, dann wäre diese sog. "Kirche der Angst" ja wirklich dringend notwendig. Unabhängig von dem, was die Bibel zur Angst sagt, ist Angst erst einmal etwas Positives. Angst ist ein Warnsignal. Gesunde Angst zeigt an, wo es gefährlich werden könnte.
Angst vor den Folgen der Strahlungen des Mobilfunks. Angst vor Feldern mit genmanipulierten Pflanzen. Angst vor Überfremdung durch Menschen anderer Völker oder anderen Glaubens. Angst vor Arbeitslosigkeit, vor Krankheit oder der Zukunft überhaupt. Kirche muss solche Ängste ernst nehmen. Sie muss sich die Ängste der Menschen anhören. Sie muss zuallererst unterscheiden helfen, was eine berechtigte Angst und was nur Hysterie ist. Und Kirche muss mehr zu sagen haben als die Botschaft der "Kirche der Angst", die da lautet: "Ihr dürft Angst haben. Tut euch zusammen und unternehmt was."

Worte gegen die Angst

Ich denke an das Wort Jesu beim Abschied von seinen Jüngern: "In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden." (Joh 16,33b) Das ist erst einmal eine Antwort auf die Kritik, Kirche würde die Angst verbieten. Natürlich gehört die Angst zum Menschsein. Natürlich kennt auch der Glaubende Angst. Aber er kennt auch einen, der stärker ist als alle seine Angst.

"Kirche der Angst", das ist vielleicht auch eine heimliche Kritik daran, dass die christliche Kirche ja wirklich im Mittelalter einmal eine Kirche der Angst war. Eine Kirche, die Menschen in Angst gehalten hat bzw. die die Angst der Menschen ausgenutzt hat, um Geld daraus zu schlagen.
Aber Angst darf kein Instrument der Kirche sein. Eine Kirche, die Angst macht, ist keine Kirche. Denn Gott ist Liebe. Womit wir beim heutigen Predigttext wären, in dem es ja auch um die Angst geht. Doch hier wird nicht die Angst überhaupt abgelehnt, sondern nur die Angst vor Gott:

16 Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. 17 Darin ist die Liebe bei uns vollkommen, dass wir
Zuversicht haben am Tag des Gerichts; denn wie er ist, so sind auch wir in dieser Welt. Furcht ist nicht in der Liebe, 18 sondern die
vollkommene Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht rechnet mit Strafe. Wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der Liebe.


Gott ist kein Gott der Angst

Eindeutiger kann man es nicht sagen: Gott ist Liebe. Wer das erkannt hat, der braucht keine Angst vor dem Ausgang seines Lebens zu haben. Und wer immer noch Angst hat, der hat Gottes wahres Wesen noch nicht erkannt. Der hat sich im Glauben noch nicht genug in Gott vertieft.
Das ist auch die Botschaft Martin Luthers. Martin Luther – wie alle Menschen damals in Angst aufgewachsen, aus Angst Mönch geworden – will den Menschen seiner Zeit ganz bewusst die Angst vor Gott nehmen. Gott ist ein glühender Backofen voller Liebe, der von der Erde bis an den Himmel reicht. So können wir es unter den Texten unseres Gesangbuchs beim Lied 216 lesen.
Gott ist kein Gott der Angst. Deswegen darf auch die Kirche keine Kirche der Angst sein: Keine Kirche, die Angst macht. Aber unbedingt eine Kirche, die die Angst der Menschen ernst nimmt und eine Gute Botschaft gegen die Angst hat.

Dass Gott ein Gott der Liebe und nicht ein Gott der Angst ist, ist vor allem bei der Erziehung wichtig: Wenn Gott zum aufpassenden und strafenden Gott gemacht wird, zum Helfershelfer der Eltern, dann ist das gegen die
Bibel. "Der liebe Gott sieht alles und straft alles. Auch alles, was die Eltern nicht sehen. Er sieht ins Verborgene. Er sieht auch unter die Bettdecke."
Wer in der Erziehung einen solchen Gott erlebt, der wirft ihn weg, sobald er kann. Ja, einen solchen Gott muss man wegwerfen. Das Problem ist nur, dass Menschen dann an diesem Punkt stehen bleiben und dann nicht mehr zum wahren und eigentlichen Gott finden.

Ist der liebe Gott immer lieb?

Gott ist die Liebe. Wie ist das zu verstehen, wenn der sog. "liebe Gott" einmal nicht so lieb ist? Gott ist die Liebe, heißt nicht, dass Gott immer lieb zu mir wäre, wenigstens nicht in dem Sinn, wie ich mir vorstelle, dass er sein müsste, wenn er wirklich lieb wäre. Wo ist der liebe Gott, wenn es mir schlecht geht und er scheinbar nur zuschaut? Das wäre ein eigenes Thema. Das wäre eine eigene Predigt.

Gott ist die Liebe. Das haben die Theologen immer in zwei Richtungen verstanden, einmal mehr theoretisch und einmal mehr praktisch. Und
solche Antworten der Theologen als Vordenker sind dazu da, dass Gemeindeglieder dann überlegen, was sie sich davon zu Eigen machen
wollen, was sie nachsprechen können und was nicht.

Gott will nicht alleine sein

Gott ist die Liebe. Das wurde immer erst einmal theoretisch verstanden: Dass Gott Liebe ist, dass sein ganzes Sein und Wesen Liebe ist, kann man daran erkennen, dass er als Gott nicht allein bleiben wollte. Er hätte als Gott alleine in seinem Himmel bleiben können. Es hätte keine Erde und keine Menschen gebraucht. Aber nein: Er wollte das Gegenüber. Er wollte die Schöpfung. Er wollte den Menschen. Gott ist nicht auf das "Ich", sondern auf das "Du" hin angelegt. Und dann der entscheidende Schritt vom Alten zum Neuen Testament: Gott schafft sich nicht nur den Menschen zum Du und bietet ihm das Du an. Er sucht selber in dem Menschen Jesus die Nähe zu den Menschen.

Gott ist Liebe. Das heißt deswegen praktisch: Alles, was man von Gott sagen kann, muss man an Jesus und seinem Verhalten ablesen: Liebe ist, wie Jesus sich der Ausgestoßenen und Randsiedler seiner Zeit angenommen hat. Wie er aber auch die Frommen nicht hat links liegen lassen. Wie er ohne Berührungsängst mit den körperlich und psychisch Kranken umgegangen ist.

Der liebesbedürftige Mensch

Und dann die entscheidende Folgerung des Johannesbriefs: So wie Gott ist, so muss auch sein Gegenüber Mensch sein. So wie Gott auf das Du hin angelegt ist, so auch der Mensch. So wie Gott Liebe ist, muss auch der Mensch Liebe sein.
16 Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. 19 Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt. 20 Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht? 21 Und dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe.

Der genaue Hintergrund für diese Worte ist nicht ganz klar: Es scheint in der Gemeinde, an die die Johannesbriefe gerichtet sind, Gemeindeglieder gegeben zu haben, die in ihrer Gotteserkenntnis und Gottesliebe schon so
vergeistigt waren, dass sie mehr oder weniger schon im Himmel waren, dass sie darüber die Welt und den Menschen neben sich vergessen haben. Und dazu Johannes ganz eindeutig: Wer unter den Menschen solche Liebe nicht kennt, wie sie Jesus gelebt hat, der kennt auch Gott nicht – und umgekehrt.

Durchlauferhitzer der Liebe

19 Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt. Diese Übersetzung Martin Luthers ist nicht ganz richtig. Hier steht im Urtext nicht: "Lasst
uns lieben." sondern "Wir lieben." "Wir lieben, weil Gott uns zuerst geliebt hat." Man kann zur Liebe eigentlich nicht auffordern. Man kann sie nicht befehlen. Entweder man liebt, weil man selber geliebt wird, weil man Liebe erfahren hat, oder jede noch so gut gemeinte Aufforderung bringt nichts. Liebe wird nur durch Geliebtwerden gelernt. Wenn jemand Liebe erlebt, dann wirkt sie von allein. Das gilt für Gottes Liebe, die jemand erlebt, und es gilt für menschliche Liebe.
In einem technischen Bild zum Schluss und zum Weiterdenken: Menschen sind eine Art Durchlauferhitzer empfangener Liebe. Wo sich jemandes Liebe nur auf sich selbst richtet oder nur auf Gott, da entsteht ein Kurzschluss. Die Kraft muss und will weiterströmen auf den Mitmenschen.

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de