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Die Predigt |
In was für
einer Zeit leben wir?
In was für einer Zeit leben wir? 12 Und weil die Ungerechtigkeit
überhand nehmen wird, wird die Liebe in vielen erkalten.
Ja, in bestimmter Hinsicht sind die Zeiten kälter geworden. Die
Verteilung der Lasten und der Güter in der Gesellschaft ist ungerechter
geworden. Von "sozialer Kälte" spricht man mittlerweile.
Der Staat hat nicht mehr so viele
Wohltaten zu verteilen wie früher. Die Schere zwischen Reichen
und Armen wird größer. Die Mittelschicht, die das Land
immer ausmachte, wird kleiner. Der Arbeitsplatzabbau hat auch Bayreuth
erreicht. Manche traurige Nachricht gab es in der vergangenen Woche.
Ist die Gesellschaft kälter geworden?
Und doch kann und will ich nicht einstimmen in das Jammern über
die kälter gewordene Welt: Ob es kalt ist in der Gesellschaft
hängt meiner Meinung nach nicht so sehr daran, ob Staat oder
Arbeitgeber weniger tun, sondern daran, wie wir Menschen miteinander
umgehen. Es gibt Länder auf dieser Erde, da konnte der Staat
noch nie Wohltaten verteilen, da gibt es kein soziales Netz, aber
die Wärme zwischen den Menschen gibt es doch. Ist es vielleicht
auch deswegen kälter geworden, weil uns der Sozialstaat in den
letzten 30 Jahren so verwöhnt hat, dass wir vergessen haben,
dass die Wärme nur aus unseren eigenen Händen kommen kann?
In was für einer Zeit leben wir? Manches aus den Worten des Lukas
klingt bekannt. Fast wie eine aktuelle Beschreibung. Anderes wieder
ist weiter weg von uns. Von außen und von innen werden die Menschen,
werden die christlichen Gemeinden bedrängt, so beschreibt er:
6 Ihr werdet hören von Kriegen und Kriegsgeschrei; ... 7
Denn es wird sich ein Volk gegen das andere erheben und ein Königreich
gegen das andere; und es werden Hungersnöte sein und Erdbeben
hier und dort.
In der Rubrik "Weltnachrichten" können wir das heute
täglich hören und sehen. In der Rubrik "Lokalnachrichten"
Gott sei Dank nicht. Kriege, Aufstände, Hunger und Erdbeben sind
fast alltäglich. Die Medien tragen sie uns live ins Haus. Aber
sie sind doch weit weg. Auch wenn wir gestern und vorgestern gehört
haben, wie weit der Arm des Terrorismus vielleicht doch reichen kann.
Leben wir in der Endzeit?
Bedrängnis von außen und auch von innen:
9 Dann werden sie euch der Bedrängnis preisgeben und euch
töten. Und ihr werdet gehasst werden um meines Namens willen
von allen Völkern. 10 Dann werden viele abfallen und werden sich
untereinander verraten und werden sich untereinander hassen.
Es gibt Christenverfolgung. Es gibt Hass gegen Christen. Aber auch
das gehört in die Rubrik "Weltnachrichten" und geschieht
nicht in unserer Nähe. Auch dass in der Gemeinde Menschen durch
den Druck von außen abfallen, sich untereinander denunzieren
und anschwärzen, untereinander hassen, das ist nicht unsere Realität.
Dass Glaube erlahmt, wenn es den Menschen gut geht, ist eine alte
Erfahrung. Dass Christen die Minderheit in einer Gesellschaft sind,
auch.
Aber mit der Bedrängnis und dem Abfall ist in den Worten Jesu
Schlimmeres gemeint.
In was für einer Zeit leben wir also? Ist diese Zeit des weltweiten
Terrorismus, diese Zeit der Globalisierung, in der der einzelne immer
weniger zählt, diese Zeit steigernder Erderwärmung aber
größerer innerer Kälte ... Ist das die Endzeit? Geht
es nun dem Ende entgegen?
Nein, sagt Jesus, das ist nicht die Endzeit. 6 ... seht zu und
erschreckt nicht. Denn das muss so geschehen; aber es ist noch nicht
das Ende da.
Oder zwei Verse weiter mit anderen Worten: 8 Das alles aber ist der
Anfang der Wehen.
Der Alltag ist der Ernstfall
Also: Die Zeichen der Zeit, die wir sehen, sind nicht Zeichen der
Endzeit. Es ist nicht Endzeit, in der wir leben, sondern eigentlich
normale Zeit. Es ist der Alltag, aber – und das ist wichtig
– der Alltag als eine Zeit, die auf die Endzeit zuläuft.
Diese Nüchternheit und Klarheit, mit der Jesus die Zeit ansieht,
gefällt mir. Sie straft all die Lügen, die zu ihrer Zeit
schon immer
meinten, jetzt sei es wirklich so weit. Jede Zeit und jede Generation
sieht ihre Bedrängnisse als die größten an. Im Vergleich
dazu haben wir schon gar keinen Grund für Endzeitklagen:
Wenn wir z.B. mit der Zeit der Christenverfolgung vergleichen. Oder
mit den
finsteren Seiten des Mittelalters, als auch die Päpste und mit
ihr die Kirche ganz verweltlicht waren, der Durchschnittsbürger
ein Leibeigener, klein gehalten durch die Angst vor der Hölle.
Oder wenn wir an den Dreißigjährigen Krieg denken, wo durch
Krieg und Pest zwei Drittel der deutschen Bevölkerung umkamen,
wo ein Paul Gerhardt drei Kinder und seine Frau verlor und trotzdem
Glaubenslieder dichtete. Oder die Zeit nach dem 1. Weltkrieg, die
die Bahn bereitete für den nächsten großen Verführer.
Nüchtern bleiben!
Was ist das Gefährliche, wenn Menschen eine Zeit nicht als den
Alltag, sondern als Endzeit einordnen? Die Kirchengeschichte hat gezeigt,
dass Menschen dann alles stehen und liegen lassen. Der Alltag und
die Verantwortung füreinander sind nicht mehr wichtig. Nach dem
Motto "Rette sich, wer kann." will jeder nur seine Haut
retten. Wie bei einer Panik stürmt
man über die Langsamen und die am Boden Liegenden hinweg.
Und: Endzeit ist Zeit der Verführbarkeit. Zeit für die,
die ihr eigenes Süppchen kochen wollen, weil Menschen in Hysterie
und in Jammerstimmung nicht mehr klar denken. 4 Jesus aber antwortete
und sprach zu ihnen: Seht zu, dass euch nicht jemand verführe.
5 Denn es werden viele kommen unter meinem Namen und sagen: Ich bin
der Christus, und sie werden viele verführen.
Nein, Nüchternheit und klare Gedanken sind gefragt: Sich nicht
verführen lassen. Sich nicht von der Hysterie und dem Gejammer
mitreißen lassen. In was für einer Zeit leben wir? Es ist
normale Zeit, in der wir leben. Aber nicht
normale Zeit in dem Sinn, dass man einfach so weiterwursteln könnte.
Der normale Alltag ist sozusagen der Ernstfall.
Das ist die Herausforderung: Den Mittelweg finden zwischen Achselzucken
und Hysterie. Zwei Dinge sind entscheidend, sagt Jesus:
Der Alltag ist Bewährungszeit: 13 Wer aber beharrt bis ans
Ende, der wird selig werden.
Und: Es geht gut hinaus: Die Bedrängnisse sind nur Durchgangsstation,
sind die Geburtswehen für eine neue Welt.
Menschliche Wärme gegen die kalte Zeit
Der Alltag als Bewährungszeit: Bewährung gilt gerade im
Alltag. Bewährung kann und darf nicht auf die Endzeit verschoben
werden so auf die Art: Jetzt wird's ernst. Es bewährt sich, sagt
Jesus, wer beharrlich ist, wer durchhält.
Der bewährt sich, bei dem die Liebe gerade nicht erkaltet.
Das könnte das Gute daran sein, dass der Staat nicht mehr so
viele Wohltaten verteilen kann: Dass wir selber als Menschen, als
Familien, als Nachbarn für die Wärme in der Gesellschaft
sorgen müssen und es nicht achselzuckend dem Staat überlassen
können.
Das ist Advent: Der dunklen Welt Licht entgegensetzen. Der kalten
Welt und der menschlichen Kälte Wärme entgegensetzen. Nicht
über die Dunkelheit jammern, sondern Lichter anzünden. Nicht
über die kälter gewordene Welt
jammern, sondern mit eigenen Händen Wärme verbreiten.
Denn: Christen wissen: Es geht gut hinaus. "Seht auf und
erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht."
So der Wochenspruch und der zentrale Satz des Sonntagsevangeliums.
Nicht das Ende naht, sondern Jesus Christus naht. Nicht etwas kommt
auf uns zu, sondern er kommt. Der, an den wir jetzt schon glauben,
kommt. Wir kennen ihn aus der Bibel. Wir kennen ihn aus dem Gebet
und dem Gottesdienst. Wir kennen ihn. Wir brauchen keine Angst vor
ihm zu haben. |
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