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Die Predigt vom 25. März 2005 (Karfreitag):
»Und alle schauten zu«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Kirche beging den Karfreitag. Sein Thema ist die Kreuzigung und der Tod Jesu mit ihrer Bedeutung. Evangelium (1. Lesung) war der Bericht des Johannes dazu und Epistel (2. Lesung) der Aufruf des Paulus, die angebotene Versöhnung anzunehmen. Der Predigttext dieses Sonntags (s.u.) war der Kreuzigungsbericht nach Lukas Kapitel 23:
Predigttext
Sie können den Text auch online nachlesen. Weitere Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.
Der Predigttext
33 Und als sie kamen an die Stätte, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie ihn dort und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur Linken. 34 Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun! Und sie verteilten seine Kleider und warfen das Los darum.
35 Und das Volk stand da und sah zu. Aber die Oberen spotteten und sprachen: Er hat andern geholfen; er helfe sich selber, ist er der Christus, der Auserwählte Gottes. 36 Es verspotteten ihn auch die Soldaten, traten herzu und brachten ihm Essig 37 und sprachen: Bist du der Juden König, so hilf dir selber! 38 Es war aber über ihm auch eine Aufschrift: Dies ist der Juden König. 39 Aber einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte ihn und sprach: Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns! 40 Da wies ihn der andere zurecht und sprach: Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist? 41 Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsre Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. 42 Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst! 43 Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein. 44 Und es war schon um die sechste Stunde, und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde, 45 und die Sonne verlor ihren Schein, und der Vorhang des Tempels riß mitten entzwei. 46 Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und als er das gesagt hatte, verschied er. 47 Als aber der Hauptmann sah, was da geschah, pries er Gott und sprach: Fürwahr, dieser ist ein frommer Mensch gewesen! 48 Und als alles Volk, das dabei war und zuschaute, sah, was da geschah, schlugen sie sich an ihre Brust und kehrten wieder um. 49 Es standen aber alle seine Bekannten von ferne, auch die Frauen, die ihm aus Galiläa nachgefolgt waren, und sahen das alles.
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Die Predigt
Der Karfreitag und die Warum-Frage

"Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Die Warum-Frage Jesu am Kreuz ist die Karfreitagsfrage vieler Menschen. Nicht nur beim Karfreitag Jesu, sondern auch bei den anderen Karfreitagen der Geschichte und des eigenen Lebens. Die Karfreitage haben nicht aufgehört und hören nicht auf. Durch die 60. Jahrestage sind uns die Bombardierung Dresdens
und jetzt Würzburgs wieder vor Augen geführt worden. Fassungslos sind wir durch die Einzelheiten des Prozesses an das Martyrium des kleinen Mädchens erinnert worden, das von seinen Eltern zu Tode gequält wurde. Schon wieder hat ein Jugendlicher lächelnd ein Massaker angerichtet. Und da sind die namenlosen Karfreitage im Leben Einzelner, die nicht nach
außen dringen, sondern die jeder mit sich selber ausmacht.

Die Passion aus verschiedener Sicht

Die vier Evangelisten, die die Passion Jesu beschreiben, jeder aus seiner Sicht, lehren den Umgang mit dem Leid. "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" So beendet Jesus nach den Worten des Markusevangeliums sein Leben am Kreuz. Jesus fragt "warum?" Er kennt das Gefühl der Gottverlassenheit und weiß doch, er ist nicht verlassen. "Mein Gott, mein Gott." Er bleibt an Gott und gibt sich ihm trotz aller seiner Fragen in die Hände.
Der Evangelist Johannes, dessen Evangelium wir vorhin gehört haben, hebt den Sieg Jesu hervor. Bis zuletzt, bis zum letzten Atemzug, ist er seiner Sendung treu geblieben. "Es ist vollbracht!" Er diente den Menschen, und er
diente ihnen bis zum Tode.
Heute sind wir eingeladen, die Passion nach dem Evangelisten Lukas zu bedenken. Für ihn ist noch entscheidender als wie für Johannes, dass Jesus sich treu bleibt: dass der, der zu Lebzeiten für die Menschen da war, auch in
seinen letzten Stunden für andere da ist. Da ist keine Warum-Frage. Jesus setzt sich nicht mit seinem eigenen Leiden auseinander, sondern er hat Augen nur für die, die um ihn sind. Drei der sog. sieben Worte am Kreuz, die sich nur bei Lukas finden, sind der Kern und zeigen seine Sicht der Dinge:

Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!
Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.
Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!

... und das Volk stand da und schaute zu

33 Und als sie kamen an die Stätte, die da heißt Schädelstätte, kreuzig¬
ten sie ihn dort und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen
zur Linken. 34 Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen; denn sie
wissen nicht, was sie tun! Und sie verteilten seine Kleider und warfen
das Los darum. 35 Und das Volk stand da und sah zu.


Eigentlich ist ja Jesus das Opfer und die anderen sind die Täter: Die Soldaten und das Volk. Und doch ist es andersherum: Der Ohnmächtige am Kreuz ist der Tätige, der Handelnde. Und die Umstehenden sind eigentlich
die Ohnmächtigen, die Passiven: "Das Volk stand da und sah zu." Und die Soldaten, sie gehorchten ihren Befehlen und fragten nicht viel. Wer weiß,
ob sie überhaupt gerne mitgegangen sind. Man musste ihnen die Arbeit versüßen, indem sie sich hinterher die wenigen Habseligkeiten des Toten
teilen durften.

"Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun." Die Soldaten sind
Befehlsempfänger. Sie machen ihre Arbeit wie viele andere, die heute als Befehlsempfänger ihrer Pflicht nachgehen. Und das Volk, es steht da und gafft. So wie es heute noch den Verkehr behindert, wenn auf der anderen Autobahnspur etwas passiert ist. So wie es auch heute noch den Rettern im Weg steht.
Wie geht Jesus mit seinem Leiden um? Das Leid macht ihn nicht ohnmächtig. Es lässt ihn handeln. Es öffnet ihm die Augen für die anderen. Für die Zwänge, in denen sie stehen und für ihre Ohnmacht. Leid ist nicht dazu da, theoretisch durchdacht zu werden. Leid ist da, dass man anpackt.

Der Spott trifft ihn nicht

Aber die Oberen spotteten und sprachen: Er hat andern geholfen; er helfe sich selber, ist er der Christus, der Auserwählte Gottes. 36 Es verspotteten ihn auch die Soldaten, traten herzu und brachten ihm Essig 37 und sprachen: Bist du der Juden König, so hilf dir selber! 38 Es war aber über ihm auch eine Aufschrift: Dies ist der Juden König.

Die dritte Gruppe neben den Befehlsempfängern, die ihre Pflicht tun, und
neben den ohnmächtigen Zuschauern: Die Spötter. Die, die sich über dem Leiden der anderen noch das Maul zerreißen. Die Oberen. Die Oberen des
Volkes, die Jesus loshaben wollen, und die Drecksarbeit andere machen lassen. Die auf Kosten des Volkes und auf Kosten der Soldaten spotten. "Hilf dir selber." spotten sie und kosten ihre teuflische Macht aus. Und Jesus
lässt die Spötter gewähren und geht nicht auf sie ein.
Auch das wirft nach Lukas ein Licht auf den Umgang Jesu mit dem Leiden: Er könnte sich helfen. Er könnte sich von Gott helfen lassen. Aber er würde seine Sendung verraten, denn dann wäre er im Mittelpunkt und nicht die Menschen, um die es ihm geht.

Auch wir haben mitgemischt

39 Aber einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte ihn und sprach: Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns! 40 Da wies ihn der andere zurecht und sprach: Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist? 41 Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsre Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. 42 Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst! 43 Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.

Jesus bleibt sich treu: Anstatt auf das Gespött der Menge einzugehen, anstatt auf das Gespött des einen Verbrechers einzugehen, nimmt er sich des anderen Verurteilten an. Ob die beiden Verurteilten Gute oder Böse waren, ob sie aus heutiger Sicht Freiheitskämpfer oder Terroristen waren, wissen wir nicht. Das ist auch nicht entscheidend, denn der eine der beiden redet sich ja nicht heraus. Er versucht sich nicht zu ent-schuldigen, sondern er bekennt im Gegensatz zur gaffenden Menge, im Gegensatz zu den Befehlsempfängern, im Gegensatz zu den Oberen: Ich habe mitgemischt. Ich bin in Schuld verflochten. Ich kann mich nicht herausreden.
Leid ist also nach Lukas nicht da, dass man sich entschuldigt, sondern dass man seine Verflechtung in die Dinge wahrnimmt und bekennt, ob man es nun wirklich hätte ändern können oder nicht.
Behörden und Nachbarn, die über Jahre hinweg nicht merken oder nicht gemerkt haben wollen, wie ein Kind gequält wird. Verwandte, Mitschüler und Nachbarn, die nicht spüren, welche unheilvolle Entwicklung sich in einem
Jugendlichen anbahnt. Oder die Verflechtungen der modernen Zeit, an denen wir alle teilhaben: Als Autofahrer an der Feinstaubkonzentration, die in Bayreuth die höchste ist. Als Bürger der westlichen Welt, die zuschaut bei Völkermorden und Hunger in Afrika.

Jesus bleibt sich und Gott treu

44 Und es war schon um die sechste Stunde, und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde, 45 und die Sonne verlor ihren Schein, und der Vorhang des Tempels riss mitten entzwei. 46 Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und als er das gesagt hatte, verschied er.

Die Menschen merken nicht, was da geschieht, so könnte man sagen. Sie schauen zu. Sie spotten. Sie reden sich heraus. Sie waschen ihre Hände in Unschuld. Doch die Schöpfung, die Natur trauert mit. Sie nimmt Anteil am Tod Jesu. Zur sechsten Stunde, also mittags um 12, will die Sonne nicht mehr scheinen. Und mit Psalm 31, dem Abendgebet des frommen Juden, gibt Jesus sein Leben in Gottes Hände.

Offene Augen trotz des eigenen Leids

Jesus bleibt sich treu bis zuletzt. Jesus bleibt Gott treu bis zuletzt. Ein Teil der Umstehenden, so lesen wir, begreift:

47 Als aber der Hauptmann sah, was da geschah, pries er Gott und sprach: Fürwahr, dieser ist ein frommer Mensch gewesen! 48 Und als alles Volk, das dabei war und zuschaute, sah, was da geschah, schlugen sie sich an ihre Brust und kehrten wieder um. 49 Es standen aber alle seine Bekannten von ferne, auch die Frauen, die ihm aus Galiläa nachgefolgt waren, und sahen das alles.

Karfreitage sind nicht dazu da, unbeteiligt zuzuschauen oder sich herauszureden. Sie sind da, sich an die Brust zu schlagen und umzukehren. Umkehren, das hieß nur vordergründig: Wieder nach Hause gehen. Mancher
hat offenbar gelernt aus diesem Geschehen.

Ich hoffe inständig, dass uns solche Karfreitage erspart bleiben, wo Kinder in
unserer Nachbarschaft missachtet werden, wo wir die unheilvolle Entwicklung Jugendlicher nicht spüren, wo wir die Anzeichen eines sich anbahnenden Suizids nicht erkennen, wo Menschen in unserer Nähe leiden und ungetröstet bleiben. Ich hoffe, dass es dann nicht nachträglich heißen muss: "Und das Volk stand da und sah zu." Gott schenke, dass wir trotz eigenen Leids offene Augen haben wie Jesus am Kreuz für das Leid der Menschen um uns herum.

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de